Aufwändige Simulationen zeigen, dass die „gewöhnliche“ Materie nicht ausreicht, um die Entstehung der Strukturen im Universum zu erklären. (vgl. S. 35, Bild: Illustris Collaboration / Illustris Simulation)
Physik Journal 11 / 2014
Meinung
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Aktuell
USA
Optik und Photonik fördern / Noten für Planetenmissionen / Bessere Berufsaussichten
Leserbriefe
High-Tech
Brennpunkt
„Livestream“ aus dem Sonneninneren
Das Borexino-Experiment hat die niederenergetischen Neutrinos, die bei der Proton-Proton-Fusion in der Sonne entstehen, in Echtzeit detektiert.
Mit Kanonen auf Tröpfchen
Erstmals ist es gelungen, Suprafluidität in ultrakalten Helium-Tröpfchen anhand von Quantenwirbeln nachzuweisen.
Überblick
„Für alle Zeiten ... und Culturen“
Dem internationalen System der Einheiten SI steht eine Neudefinition bevor.
Auf der Basis von Beschlüssen der Generalkonferenz für Maß und Gewicht ist zu erwarten, dass 2018 das internationale Einheitensystem, das SI, einer fundamentalen Änderung unterzogen wird. Hierfür werden die Zahlenwerte von sieben „Definierenden Konstanten“ exakt festgelegt. Für die drei SI-Basiseinheiten Sekunde, Meter und Candela bedeutet dies keine grundsätzliche Veränderung, wohl aber für Kilogramm, Ampere, Kelvin und Mol und somit auch für alle von diesen Basiseinheiten abgeleiteten Einheiten.
Dem gegenüber dürfte es nicht ohne Interesse sein zu bemerken, dass mit Zuhülfenahme der beiden … Constanten a und b die Möglichkeit gegeben ist, Einheiten für Länge, Masse, Zeit und Temperatur aufzustellen, welche, unabhängig von speciellen Körpern und Substanzen, ihre Bedeutung für alle Zeiten und für alle, auch ausserirdische und aussermenschliche Culturen notwendig behalten und welche daher als ‚natürliche Maasseinheiten‘ bezeichnet werden können“ [1]. Diese visionäre „Bemerkung“ von Max Planck stellt die höchste Stufe der Abstraktion dar, auf welche man ein konsistentes Einheitensystem gründen kann. Als Kurator der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR), die 1887 als erstes Metrologie-Institut weltweit gegründet wurde und Vorläuferin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ist, aber auch als Wissenschaftler war ihm die Bedeutung der Einheiten für Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft präsent und geläufig. Fundamentale Konstanten, die auf unserem derzeitigen theoretischen Verständnis der Natur basieren und deren Werte sich für alle Zeiten und im gesamten uns bekannten Universum nach heutigem experimentellen Wissen nicht oder allenfalls für praktische Belange nur unmerkbar wenig ändern, sollen idealerweise die Grundlage bilden. Bei den „Planck-Einheiten“, wie sie heute auch genannt werden, waren dies die Planck-Konstante h (b in obigem Zitat), die Boltzmann-Konstante kB (a = h/kB), die Lichtgeschwindigkeit c sowie die Gravitationskonstante G.
Diesem Prinzip wollen nun die 56 Mitglieds- und 39 assoziierten Staaten der Meterkonvention folgen, um das weltweit gültige und harmonisierte internationale Einheitensystem, das SI, grundlegend zu verbessern. Der formale Beschluss zur Neudefinition wird für die 25. Sitzung der Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM) 2018 erwartet, mehr als hundert Jahre nach Plancks Vision! ...
Das Geheimnis der Dunklen Materie
Die Jagd nach Teilchen der Dunklen Materie kommt in ihre bisher spannendste Phase.
Zahlreiche kosmologische und astrophysikalische Beobachtungen legen die Existenz großer Mengen an Dunkler Materie nahe. Allerdings ist deren Natur noch gänzlich unbekannt. Völlig unterschiedliche Experimente versuchen, den Teilchen der Dunklen Materie auf die Schliche zu kommen. Einige von ihnen werden in den kommenden Monaten oder Jahren die vielversprechendsten Teilchenmodelle überprüfen.
Zahlreiche kosmologische und astrophysikalische Beobachtungen legen die Existenz großer Mengen an Dunkler Materie nahe. Allerdings ist deren Natur noch gänzlich unbekannt. Völlig unterschiedliche Experimente versuchen, den Teilchen der Dunklen Materie auf die Schliche zu kommen. Einige von ihnen werden in den kommenden Monaten oder Jahren die vielversprechendsten Teilchenmodelle überprüfen. Beim Blick an das nächtliche Firmament drängt sich die Frage auf: Welche Geheimnisse birgt das Universum? Dass es nicht nur leuchtende, sondern auch dunkle Materie beinhaltet, ist in der Astronomie schon lange klar. Jacobus Kapteyn verwendete bereits 1922 den Begriff der Dunklen Materie und bezeichnete damit Masse, deren Existenz lediglich aus Beobachtungen der Kinematik von Himmelskörpern abgeleitet wird. Heute bezeichnet der Begriff im engeren Sinne nichtbaryonische Materie, also solche, die nicht aus Quarks aufgebaut ist. Da sie nicht an der elektromagnetischen Wechselwirkung teilnimmt, sollte sie besser transparente Materie heißen, aber der eingebürgerte Name ist für diese Spitzfindigkeit wohl zu populär.
Verschiedene kosmologische Beobachtungen deuten auf Unmengen Dunkler Materie hin. In der primordialen Nukleosynthese – zwischen 3 und 15 Minuten nach dem Urknall – fanden sich in guter Näherung alle Neutronen mit Protonen zu stabilen 4He-Kernen zusammen. Die restlichen Protonen bildeten den Wasserstoff, der das sichtbare Universum beherrscht. Andere Elemente waren stark unterdrückt, bieten aber eine empfindliche Methode, um die baryonische Dichte des Universums Ωb zum Zeitpunkt der Nukleosynthese zu bestimmen. War zum Beispiel die Dichte des Universums niedriger, so verpassten mehr vereinzelte Deuterium-Kerne die Fusion zum stabilen 4He und blieben übrig. Aus Messungen dieses primordialen Deuteriums lässt sich daher berechnen, dass die Baryonen zur durchschnittlichen Gesamtdichte unseres Universums von 8 × 10–27 kg/m3 (das entspricht etwa fünf Wasserstoff-Atomen pro Kubikmeter) nur Ωb=(5,0 ± 0,4)% beitragen. Schon wenige Minuten nach dem Urknall zeigt sich demnach, dass nur wenige Prozent des Universums aus bekannter Materie bestehen.
380 000 Jahre später hatte sich das Universum so weit abgekühlt, dass sich Elektronen und Kerne zu neutralen Atomen verbinden konnten, ohne gleich wieder ionisiert zu werden. Damit wurde das Universum für Photonen transparent. Die zu diesem Zeitpunkt ausgesandten Photonen sehen wir heute, stark gekühlt in den Mikrowellenbereich verschoben, als kosmische Hintergrundstrahlung. Sie ist in exzellenter Näherung isotrop und homogen, aber Präzisionsbeobachtungen machen winzige Temperaturschwankungen in der Größenordnung von nur 10–5 sichtbar. Diese haben ihren Ursprung in Dichteschwankungen im frühen Universum: Je nach Stärke des Gravitationspotentials haben die Photonen der Hintergrundstrahlung etwas mehr oder weniger Energie, also eine etwas höhere oder niedrigere Temperatur (Sachs-Wolfe-Effekt). Um diese Dichteschwankungen quantitativ zu analysieren, wird aus der Himmelskarte ein Leistungsspektrum berechnet. Hierzu wird die Karte in eine Reihe aus Kugelflächenfunktionen entwickelt, aus deren Koeffizienten sich das Leistungsspektrum ableitet. Die dort gezeigten Schwankungen entsprechen den akustischen Schwingungen: Während die Schwerkraft Materie jeder Art zusammenklumpt, erfährt baryonische Materie eine entgegengesetzte Kraft aus dem Strahlungsdruck der Photonen. Wie immer, wenn sich zwei Kräfte gegenüberstehen, resultiert eine Schwingung mit einer charakteristischen Frequenz. Insbesondere aus der unterschiedlichen Höhe des ersten und dritten Peaks im Leistungsspektrum lässt sich die baryonische Dichte des Universums zu Ωb = (4,9 ± 0,1)% berechnen. Um jedoch die Stärke der Peaks zu erklären, benötigt dieser Datensatz zusätzliche Materie, die zwar gravitativ klumpt, aber nicht mit dem Photonenbad wechselwirkt. Die Dichte dieser Dunklen Materie beträgt ΩDM= (26,6 ± 0,7)% – rund fünfmal mehr als die bekannte baryonische Materie. Die restlichen ΩΛ=(68,6 ± 2,0)% werden der Dunklen Energie zugeschrieben. ...
Geschichte
Der Weg zu den „neuen Wissenschaften“
Galileo Galilei war kein heldenhafter Einzelgänger, sondern durchaus ein Kind seiner Zeit.
Vor 450 Jahren, genauer am 15. Februar 1564, erblickte Galileo Galilei in Pisa das Licht der Welt. Seine wissenschaftlichen Arbeiten machten ihn berühmt, heute gilt er geradezu als Idol der Wissenschaft. Galileis Abschwörung der opernikanischen Lehre am 22. Juni 1633 gilt als Schlüsselmoment in der Auseinandersetzung zwischen Religion und Wissenschaft. Doch um seinen Verdiensten für die Entstehung einer modernen Physik gerecht zu werden, darf man ihn nicht als heroisches Genie verklären.
Im Jahr 1616 hatte die katholische Kirche das Werk De revolutionibus orbium coelestium (1543) von Nikolaus Kopernikus auf den Index gesetzt. Als sich Galileo Galilei 1632 in seinem „Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme“ (Dialogo sopra i due massimi sistemi) für das kopernikanische heliozentrische System aussprach, verletzte er damit die kirchlichen Verordnungen. Papst Urban VIII. setzte noch im Erscheinungsjahr eine Kommission zur Begutachtung ein, die schließlich zum Prozess gegen Galilei führte, bei dem er öffentlich und feierlich der kopernikanischen Lehre abschwören musste.
Allein durch Galileis Eintreten für Kopernikus lässt sich der Fall seiner Abschwörung jedoch nicht verstehen. Ihre Geschichte verdeutlicht zudem die Besonderheiten von Galileis wissenschaftlicher Praxis, denn seine Gedanken bewegten sich innerhalb von Bereichen, die man zu seiner Zeit üblicherweise scharf voneinander trennte: Mathematik, Naturphilosophie und Theologie. Dass es Galilei nicht erlaubt war, in den Bereich der Theologie einzutreten, ist nicht verwunderlich, bedenkt man, dass die Kirche zu seiner Zeit noch eine säkulare Macht war. Ein tieferer Blick in die Geschichte offenbart, wie ein Konflikt zwischen Mathematik und Naturphilosophie entstehen konnte. Von großer Bedeutung war dabei Galileis Ansatz, das kopernikanische Weltsystem nicht allein als mathematische Hypothese aufzufassen, sondern als reales physikalisches System in der Natur. Gleichzeitig zeigte er in seinem Buch, dass das geozentrische aristotelisch-ptolemäische System insgesamt falsch und somit eine wörtliche Interpretation der Bibelworte „Und die Sonne stand still“ (Josua 10, 13–14) nicht zu halten war.
Die aus der kirchlichen Bibelexegese hervorgegangene naturphilosophische Auffassung war im 17. Jahrhundert oft noch das Resultat einer wörtlichen Auslegung des Textes. Dagegen stellte sich nun Galileo mit seiner „physikalischen“ Deutung des kopernikanischen Systems. Der Theologe Hans Bieri erklärte 2007, worin die grundsätzliche Problematik lag: Galilei selbst hatte zuvor versucht, eine eigene Interpretation der relevanten Bibelpassagen zu liefern [1]. Seine Auslegung hätte, wäre sie anerkannt worden, den nötigen Raum für die Befürwortung des kopernikanischen Systems geboten. Bereits 1613 hatte Galilei in einem Brief an seinen Schüler Benedetto Castelli suggeriert, dass die biblischen Beschreibungen und Erklärungen der Naturphänomene nicht wörtlich auszulegen seien.1) Sie zu erklären sei vielmehr Aufgabe der Wissenschaften und nicht der Theologie. Damit widersprach Galilei dem im Konzil von Trient verabschiedeten Dogma, das der Römischen Kirche das alleinige Recht auf die Auslegung der Bibel zusprach. ...