Schwerkraft-Signale künden von Erdbeben
Verfahren könnte Erdbeben-Frühwarnsysteme verbessern.
Seit Jahrhunderten schätzen Menschen die Entfernung eines Gewitters aus der Zeit zwischen Blitz und Donner ab. Je größer der zeitliche Abstand zwischen beiden Signalen ist, desto weiter entfernt ist der Beobachter vom Ort des Blitzes. Denn der Blitz breitet sich beinahe ohne Zeitverzögerung mit Lichtgeschwindigkeit aus, der Donner mit der viel langsameren Schallgeschwindigkeit von etwa 340 Metern pro Sekunde. Auch Erdbeben senden Signale aus, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten und lange vor den relativ langsam seismischen Wellen aufgezeichnet werden können. Allerdings handelt es sich bei den lichtschnellen Signalen nicht um Blitze, sondern um plötzliche Änderungen der Schwerkraft, hervorgerufen durch eine Verlagerung der Masse im Erdinneren. Erst vor kurzer Zeit wurden diese PEGS-Signale mit seismischen Messungen nachgewiesen. Mit ihnen ließe sich eventuell sehr früh vor dem Eintreffen der zerstörerischen Erdbeben- oder Tsunamiwellen erkennen, dass ein Erdbeben stattgefunden hat.
Allerdings ist die Gravitationswirkung bei diesem Phänomen sehr klein. Sie beträgt weniger als ein Milliardstel der Gravitation der Erde. Daher konnten PEGS-Signale bisher nur für die allerstärksten Erdbeben aufgezeichnet werden. Zudem ist der Prozess ihrer Erzeugung komplex: Sie entstehen nicht nur direkt am Erdbebenherd, sondern auch fortwährend bei der Ausbreitung der Erdbebenwellen durch das Erdinnere.
Bisher gab es keine direkte und exakte Methode, um die Erzeugung der PEGS-Signale verlässlich im Computer zu simulieren. Forscher des Helmholtz-
Ein Erdbeben verlagert ruckartig Gesteinsschollen im Erdinnern und damit die Massenverteilung in der Erde. Bei starken Erdbeben kann diese Verlagerung sogar mehrere Meter betragen. „Da die lokal messbare Gravitation von der Massenverteilung in der Umgebung der Messstelle abhängt, erzeugt jedes Erdbeben eine kleine, aber unmittelbar wirkende, Änderung der Gravitation“, sagt Wang.
Jedes Erdbeben erzeugt aber auch Wellen in der Erde selbst, die wiederum für kurze Zeit die Gesteinsdichte und damit die Gravitation ein wenig verändern – die Schwerkraft der Erde schwingt gewissermaßen im Takt des Erdbebens. Weiter erzeugt diese schwingende Gravitation eine kurzzeitige Kraftwirkung auf das Gestein, die wiederum sekundäre seismische Wellen auslöst. Ein Teil dieser gravitativ ausgelösten sekundären Erdbebenwellen kann bereits vor der Ankunft der primären Erdbebenwellen beobachtet werden.
„Wir standen vor dem Problem diese mehrfachen Wechselwirkungen zu integrieren, um genauere Abschätzungen und Vorhersagen über die Stärke der Signale zu machen“, sagt Torsten Dahm, Leiter der Sektion Erdbeben und Vulkanphysik am GFZ. „Rongjiang Wang hatte die geniale Idee, einen bereits früher bei uns entwickelten Algorithmus auf die Fragestellung des PEGS anzupassen – und hatte damit Erfolg.“
Die Forscher haben den neuen Algorithmus zuerst auf das Tohoku-
In Zukunft könnte man mit diesem Verfahren durch die Auswertung der Gravitationsänderungen viele hundert Kilometer entfernt vom Epizentrum eines Erdbebens vor der Küste bereits während des Erdbebenbruchs feststellen, ob es sich um ein Starkbeben handelt, das einen Tsunami auslösen könnte. „Allerdings ist es noch ein langer Weg bis dorthin“, sagt Wang, „die Messgeräte heute sind noch nicht empfindlich genug, und die umweltbedingten Störsignale sind zu groß, als dass sich die PEGS-Signale unmittelbar in ein funktionierendes Tsunami-
GFZ / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Zhang et al.: Prompt elasto-gravity signals (PEGS) and their potential use in modern seismology, Earth Planet. Sci. Lett. 536, 116150 (2020); DOI: 10.1016/j.epsl.2020.116150 - Sektion Erdbeben- und Vulkanphysik (T. Dahm), Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches Geoforschungszentrum