25.10.2024

Neuartige Filter für Mikroplastik

Bioinspiriertes Filtersystem kann Großteil von Mikroplastik aus einer Probe abtrennen.

Majestätisch schwimmt er durch die tropischen Ozeane: der Riesenmanta. Mit wellenförmigen Schwingungen seiner Flossen bewegt sich der bis zu acht Meter lange und sieben Meter breite Meeresbewohner fort – ein bisschen wie ein Vogel mit seinen Flügen. Diese Art Teufelsrochen kann bis zu zwei Tonnen wiegen und ernährt sich unter anderem von winzigem Zooplankton. Das filtert der Riese während seiner Wanderung einfach aus dem Wasser. Damit das möglich ist, hat er in seinem Inneren ein ausgeklügeltes System, wodurch er die Kleinstlebewesen vom Wasser trennt.


Abb.: Tim Robertino Baumann forscht an Mikroplastikfiltern in den Laboren der...
Abb.: Tim Robertino Baumann forscht an Mikroplastikfiltern in den Laboren der Biophysik an der Universität Bielefeld. Er ist Teil des gemeinsamen Transferprojekts der Universität Bielefeld und Hochschule Bielefeld.
Quelle: P. Pollmeier / HSBI

Genau dieses Filtersystem ist aus biophysikalischer Sicht hoch spannend für die Separation von Mikroplastik aus Flüssigkeiten. Tim Robertino Baumann, Doktorand an der Universität Bielefeld, beschäftigt sich jetzt seit fast zwei Jahren damit, diese Methode zu übertragen. Der Biophysiker ist zusätzlich Technologiescout im Transferprojekt InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions der Hochschule Bielefeld (HSBI) und der Universität Bielefeld. Die Idee für seine Forschung hat er aus einer wissenschaftlichen Publikation aus den USA, doch die Forscher dort haben ihren Ansatz bisher nicht weiter verfolgt. Baumann sah mehr Potenzial als seine amerikanischen Kollegen – und das zu Recht. In seinem Projekt „Bluewater“, wie er seine Masterarbeit nannte, konnte er zeigen, dass die Methode funktioniert. Jetzt will er diese Filter optimieren.

Als Mikroplastik werden feste und in Wasser unlösliche Partikel und Fasern bezeichnet, die aus synthetischen oder biologischen Polymeren bestehen und häufig mit Additiven versetzt sind. Ihr Durchmesser beträgt einen Mikrometer bis fünf Millimeter – alles, was kleiner ist, gehört zur Kategorie Nanoplastik. Auf der in der Regel recht rauen Oberfläche der Partikel können sich sogar Kontaminanten, wie pathogene Erreger oder Toxine, anlagern. Da Mikroplastik mit herkömmlichen Filtermethoden durch Kläranlagen flutscht, ist es mittlerweile fast überall nachgewiesen: In landwirtschaftlich genutzten Böden, in Klärschlämmen, in Meeres- und Flusswässern, in der Atmosphäre, im Schnee, in arktischem Eis und der Tiefsee.

Wo soll man da anfangen? Tim Robertino Baumann hat sich entschieden: im Wasser. Schaut man sich das Mikroplastik im Meer an, lässt sich feststellen, dass 35 Prozent der Partikel aus synthetischer Kleidung kommen, 28 Prozent vom Reifenabrieb und 24 Prozent aus städtischem Feinstaub. Der Rest entspringt etwa Straßenmarkierungen, Schiffsbeschichtungen und Kosmetik. Der größte Emittent ist also Kleidung. Studien zufolge besteht diese heute aus sechzig Prozent Kunstfasern. Insbesondere, wenn die Textilien gewaschen werden, können sich Partikel und Fasern lösen und so ins Wasser gelangen. Laut Umweltbundesamt geraten bis zu 2000 Kunstfasern aus Fleece-Kleidungsstücken pro Waschgang über Fließgewässer in die Meeresumwelt. Wie man dem entgegenwirken kann: Verbraucher könnten zum Beispiel weniger schleudern, die Textilien weniger heiß waschen und vermeiden, Fleece-Stoffe mit „harten“ Kleidungsstücken wie Jeans zu waschen. Am größeren Hebel sitzt in dem Kontext jedoch die Industrie: Sie könnte – wie in Frankreich ab 2025 vorgeschrieben – Waschmaschinen mit Mikroplastikfiltern anbieten. Doch dafür braucht es eine sehr gut funktionierende Technik.

Das Projekt InCamS@BI, in dem Baumann zusätzlich zu seiner Promotion tätig ist, ist sehr interdisziplinär und hat sich auf die Optimierung der zirkulären Wertschöpfungskette – insbesondere im Hinblick auf Kunststoffe – spezialisiert. Mikroplastikfilter passen thematisch perfekt dazu, da Mikroplastik oft ein Enderzeugnis von Kunststoffen ist – und dessen Wiederbeschaffung ist nicht trivial. Werden Kunststoffprodukte nicht fachgerecht entsorgt, enden die Produkte schlimmstenfalls in der Umwelt und degradieren hier zu Mikroplastik. So entstehende Partikel werden als sekundäres Mikroplastik bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird primäres Mikroplastik schon so klein hergestellt und beispielsweise in Kosmetika oder Scheuermitteln eingesetzt.

Mikroplastik ist ein akutes allgegenwärtiges Risiko – nicht nur für die Umwelt, sondern auch für Tiere und Menschen. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO hat Mikroplastik Auswirkungen auf das Verdauungs-, Atemwegs-, Herzkreislauf- und Fortpflanzungssystem, auf Nieren, Leber und Schilddrüse. Da es weder chemisch in Wasser gelöst, noch biologisch abgebaut werden kann (außer von speziellen Bakterien oder Pilzarten), verweilt Mikroplastik sehr lange im Kreislauf und lagert sich im Laufe der Zeit in und um Zellen sowie an zellulären Bestandteilen an. Dies ist besonders kritisch, wenn sich am Kunststoff angelagerte Toxine und Erreger oder schädliche Additive herauslösen und so zu Entzündungen führen. „Ohne gezielte Versuche der Rückgewinnung bleibt Mikroplastik im Wasser und stellt ein totes Ende im Kunststoffkreislauf dar“, verdeutlicht Tim Robertino Baumann. „Mit zielgerichteter Grundlagenforschung jedoch kann dieser Teil des Kreislaufs geschlossen und durch den anschließenden Transfer von der Forschung in die Industrie übertragen werden. So können wir Probleme direkt am Ansatz lösen.“

Seit seiner Entscheidung hat Tim Baumann viele Monate in den Laboren der Fakultät für Physik an der Universität Bielefeld verbracht. Der Anfang war für den 26-Jährigen am schwierigsten: „Ich habe so viele Materialien ausprobiert, mit verschiedenen Klebemethoden gearbeitet, bin einem Fehler nach dem anderen auf den Grund gegangenen – das war oft sehr frustrierend“, erinnert er sich. „Aber dann kam dieser eine Tag nach neun oder zehn Monaten Arbeit, an dem ich bei meiner damaligen Mentorin Martina Viefhues im Büro saß, richtig demotiviert, weil nichts geklappt hat. Sie riet mir, weiterzumachen, war immer optimistisch. Ich bin dann also zurück ins Labor – und auf einmal hat es funktioniert. Ich war sprachlos und sehr glücklich“, berichtet Baumann von seinem Durchbruch.

Die Filter, die er hergestellt hat, sehen etwas ungewöhnlich aus und ähnelt einem Kanalsystem: Zwischen einem eigens hergestellten und geformten Silikon und einer Glasplatte befindet sich der Strömungskanal, durch den das mit Mikroplastik versetzte Wasser von einer Seite mit zehn bar Druck – vier bis fünf Mal so viel wie in einem Autoreifen – gepumpt wird. Die Partikel wandern geradeaus durch den Kanal und landen zusammen mit etwas Wasser im „Waste“-Behälter. Das restliche, reine Wasser, sucht sich einen anderen Weg und zwar links und rechts der Mitte um eine Art Lamellen herum. Aufgrund des Drucks fließt es nicht wieder zurück, sondern in ein zweites Gefäß, den „Filtrat“-Behälter.

Am PC fertigt Baumann zunächst ein Modell an und simuliert den Wasserdurchfluss. Wenn am Computer alles funktioniert, startet er die reale Produktion. Das bedeutet, er erstellt zunächst eine Maske, mit der er einen Masterwafer mittels Photolithographie erzeugt. Dadurch entsteht ein negatives Relief der Struktur, das mit weichem Silikon abgeformt wird, Das Material mischt der Wissenschaftler selbst an. Anschließend wird das Silikon zurechtgeschnitten, gestanzt und mit einem speziellen Verfahren auf ein Glas geklebt, das Plasmaoxidation genannt wird. Danach kann das eigentliche Experiment losgehen: Mit hohem Druck wird die Probe durch den Filter getrieben. Sie besteht aus Wasser, das mit Mikroplastikpartikeln versetzte ist. Zum Schluss wird die Partikelkonzentration der Filterausgänge, also der „Waste“ und das „Filtrat“, miteinander verglichen.

Aktuell können mit der Methode etwa 81 Prozent der Partikel aus der Probe gefiltert werden. Die beiden Behälter (sauber und verunreinigt) sind nach den Versuchen stets ungefähr gleich voll. 25 Milliliter Flüssigkeiten werden pro Minute durch den Filter „gejagt“. In Zukunft möchte Baumann zeigen, dass die Technik auch mit einem geringeren Wasserdruck funktioniert. Denn: Im Haushalt fließt das Wasser in der Regel mit etwa 2,5 Bar, also nur einem Viertel dessen, was er aktuell in den Experimenten nutzt. Sein zusätzliches Ziel ist es, noch mehr sauberes Wasser zu erhalten.

Mittlerweile hat er Unterstützung im Labor: Ioannis Gkekas schreibt zurzeit seine Bachelorarbeit bei Tim Robertino Baumann. Gkekas verändert verschiedene Parameter im Filter, passt zum Beispiel die Lamellenform an oder variiert die Abstände. „Die Forschung hier ist cool, weil viel Potenzial in den Filtern steckt. Ich habe mir die Arbeit bewusst ausgesucht, weil die Belastung unserer Umwelt mit Mikroplastik gesellschaftlich einfach relevant ist“, so Nachwuchswissenschaftler Gkekas. Das wissenschaftliche Forschungsgebiet, auf der ihre Arbeit fußt, ist die Mikrofluidik.

Baumanns Masterarbeit ist abgeschlossen, jetzt promoviert er bei Dario Anselmetti zu dem Thema und ist in Teilzeit als Technologiescout im Transferprojekt InCamS@BI tätig. Dario Anselmetti erklärt, warum der Transfer von Forschung so wichtig ist: „Der Austausch von Wissen und der Transfer von Forschungsergebnissen sind die Grundlage für die langfristige und nachhaltige Weiterentwicklung unserer Bildungsgesellschaft auf Basis der faktenbasierten Wissenschaftlichkeit. Es ist eine der Hauptaufgaben der Hochschulen und ihrer Wissenschaftler als Teil dieser Gesellschaft, ihre neuen Erkenntnisse nicht nur in wissenschaftlichen Journalen zu veröffentlichen, sondern diese ebenfalls möglichst direkt den Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und der Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen“, so der Prorektor für Studium und Lehre der Universität Bielefeld. 

Erst das ermögliche die anwendungsorientierte Umsetzung des Wissens in innovative Produkte und Dienstleistungen und trage damit zur Stärkung der Wirtschaft und der Schaffung neuer zukunftsorientierter Arbeitsplätze bei. „Heute haben wir längstens erkannt, dass unser oft noch zu ressourcenintensiver Lebensstil unsere eigene Lebensgrundlage gefährdet, wobei der Mensch selbst zu einer Art geologischem Faktor geworden ist. Ein Ausdruck davon ist die Belastung unserer Umwelt mit Mikroplastik, die vor zehn Jahren kaum bekannt war. Hier innovative, das bedeutet schnelle und praktikable, Lösungen anzubieten ist herausfordernd und wissenschaftlich extrem spannend. Und da setzt auch die Arbeit von Tim Baumann an“, erklärt der Experte. Sein Doktorand, Mikrofluidik-Experte Baumann, fügt hinzu: „Als Wissenschaftler will ich den Herausforderungen nicht aus dem Weg gehen, sondern in sie hineinblicken.“

Baumann ist überzeugt: „In diesem Job muss man einsehen: Alles beginnt mit einem Problem und endet mit einem neuen.“ Wenn das Filtersystem dann mit verbesserten Eigenschaften im Labor funktioniert, muss die Technik natürlich den Weg in die Anwendung schaffen. Baumanns Traum ist es, so lange an den Filtern zu forschen, bis sie tatsächlich in Kläranlagen, Wasch- oder Spülmaschinen, Wiederaufbereitungsanlagen oder als Eingangsfilter für Hauswasserleitungen eingesetzt werden können. „Vielleicht gründe ich dann ja auch ein Unternehmen, wer weiß?“, überlegt er. Sein großes Ziel: eine gute und günstige Lösung für den Masseneinsatz zu entwickeln, bei der der Durchsatz möglichst hoch ist und eine große Bandbreite von Partikelgrößen extrahiert wird. Können in Zukunft auch Teilchen im kleinsten Mikrometerbereich gefiltert werden, sind auch Anwendungen abseits von Mikroplastik denkbar, zum Beispiel als Trinkwasserfilter gegen Mikroorganismen.

Für Baumann bis heute faszinierend: „Die Natur liefert oft die Lösung für Probleme, die sie betrifft“ – ohne das Vorbild der Riesenmantas wäre die Forschung vielleicht gar nicht auf diese Idee gekommen. Denn wenn Baumanns Filter irgendwann eingesetzt werden können und weniger Mikroplastik in die Meeresumwelt gelangt, profitieren nicht nur wir Menschen – sondern auch die Riesenmantas. 

U. Bielefeld / DE


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