Wie Leptonen an Atomkernen streuen

Präzise theoretische Vorhersagen sind wichtig für künftige Neutrinoexperimente.

Einem Forscherteam der Uni Mainz ist es gelungen zu berechnen, wie Atomkerne des Elements Calcium sich verhalten, wenn sie mit Elektronen zusammen­prallen. Die Ergebnisse stimmen sehr gut mit vorhandenen experi­men­tellen Daten überein. Erstmals ist damit eine Berechnung auf Basis grund­legender Theorien in der Lage, Experi­mente für solch einen schweren Kern wie Calcium korrekt zu beschreiben. Von großer Bedeutung ist die Methode vor allem, um künftige Neutrino-Experimente wie beispiels­weise DUNE inter­pretieren zu können.

Abb.: Weitwinkel­aufnahme des Inneren von ProtoDUNE, dem Prototyp für das...
Abb.: Weitwinkel­aufnahme des Inneren von ProtoDUNE, dem Prototyp für das geplante Deep Under­ground Neutrino Experi­ment. (Bild: CERN)

Sonia Bacca von der Uni Mainz beschäftigt sich sehr erfolg­reich mit der Vorher­sage verschiedener Eigen­schaften des Atomkerns, die sich aus den Kräften zwischen den einzelnen Kern­bestand­teilen – den Nukleonen – und ihren Wechsel­wirkungen herleiten lassen und durch die chirale effektive Feldtheorie beschrieben werden. Ihre Forschung verfolgt das Ziel, eine solide Verbindung zwischen experi­men­tellen Beobach­tungen und der zugrunde liegenden funda­mentalen Theorie der Quanten­chromo­dynamik herzu­stellen.

Auch Atomkerne, die einem externen Feld ausge­setzt sind – zum Beispiel bestehend aus Elektronen oder anderen Teilchen – lassen sich auf dieser Basis theoretisch beschreiben. Dieser Ansatz wiederum ist der Schlüssel, um vorhandene Daten zu erklären und zukünftige Experimente zu inter­pretieren, etwa in der Neutrino­physik.

Mit neuen geplanten Experi­menten – wie dem DUNE Experiment in den USA – wollen Wissen­schaftler einige funda­mentale Neutrino-Eigen­schaften genauer unter­suchen, zum Beispiel das Phänomen der Neutrino-Oszillation. Hierfür brauchen sie wichtige Informationen aus theoretischen Berechnungen. Dabei geht es konkret um die Frage, wie Neutrinos mit den Atomkernen des Detektors wechselwirken.

Da experimentelle Daten zur Streuung von Neutrinos an Atomkernen rar sind, untersuchte das Forscherteam zunächst die Streuung eines anderen Leptons – des Elektrons –, für das bereits experi­mentelle Daten vorliegen. „Calcium-40 ist unser Testsystem“, erläutert Joanna Sobczyk von der Uni Mainz. „Mit unserer neuen ab-initio-Methode konnten wir sehr präzise berechnen, was bei dieser Streuung von Elektronen passiert und wie der Calcium-Atomkern sich verhält.“

Das ist ein großer Erfolg: Denn bisher war es nicht möglich, solche Berechnungen für ein schweres Element wie Calcium durchzuführen, dessen Atomkern immerhin aus vierzig Nukleonen besteht. „Wir freuen uns sehr, dass es uns gelungen ist, damit grund­sätzlich zu zeigen, dass unsere Methode verlässlich funktio­niert“, so Bacca, „denn nun beginnt eine Ära, wo wir ab-initio-Berechnungen nutzen können, um zu beschreiben, wie Atomkerne mit Leptonen – zu denen sowohl Elektronen als auch Neutrinos zählen – wechsel­wirken, sogar wenn vierzig Nukleonen beteiligt sind.“

„Eine der wertvollsten Eigen­schaften unserer Methode ist, dass sie es uns erlaubt, die mit unserer Berechnung verbundenen Unsicher­heiten zu quanti­fi­zieren. Das ist sehr zeit­auf­wändig, aber extrem wichtig, um Theorie und Experiment angemessen vergleichen zu können“, ergänzt Bijaya Acharya von der Uni Mainz.

Nachdem die Forscher für Calcium das Potenzial ihrer Methode zeigen konnten, will sich das Team zukünftig das Element Argon und dessen Wechsel­wirkung mit Neutrinos anschauen. Argon wird als Target in dem geplanten DUNE-Experiment eine bedeutende Rolle spielen – daher ist es besonders wichtig, diesen Streu­prozess theoretisch beschreiben zu können.

JGU / RK

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