Überschätzter Magnetsturm

Neue Erkenntnisse zum Ringstrom geladener Teilchen um die Erde.

Geladene Teilchen aus dem Weltraum werden vom Magnetfeld der Erde eingefangen. Sie fließen dann auf einer kreis­förmigen Bahn um die Erde und bilden den Ringstrom. Das Wissen um seine Dynamik ist wichtig, weil er wiederum das Erdmagnet­feld und die Atmosphäre beeinflusst und gefährliche Bedingungen für Satelliten schaffen kann. Insbesondere das Verhalten während geomagne­tischer Stürme, die von verstärkter Sonnen­aktivität verursacht werden, ist bislang nicht vollständig verstanden. Hierfür genutzte Modelle haben die Stärke des Ringstroms bisher systematisch überschätzt. Das haben Forscher vom Deutschen Geoforschungs­zentrum jetzt gezeigt. Sie analysierten die Teilchen­bahnen während geomagne­tischer Stürme und identi­fi­zierten einen bislang nicht berück­sichtigen Teilchen-Verlust-Prozess durch Streuung an Plasmawellen.

Abb.: Vergleich der simu­lierten Elek­tro­nen­flüsse im Ring­strom um die...
Abb.: Vergleich der simu­lierten Elek­tro­nen­flüsse im Ring­strom um die Erde zu einem fixen Zeit­punkt. Links die Simu­la­tion auf Basis bis­he­riger Modelle, rechts mit dem neuen Modell. Hoher Elek­tro­nen­fluss in Rot, ge­rin­ger Elek­tro­nen­fluss in Blau. Rechts in Braun (neues Modell) markiert ist der Bereich vor Mitter­nacht, in dem er­höh­ter Elek­tro­nen­ver­lust not­wen­dig ist, um die Sa­tel­li­ten­daten zu re­pro­du­zie­ren. (Bild: B. Haas, GFZ)

Der Weltraum ist erfüllt vom inter­planetaren Medium, einem Mix aus Protonen, Elektronen und anderen geladenen Teilchen, die unter anderem von der Sonne ausgestoßen werden. Ein Teil dieser geladenen Partikel wird vom Magnetfeld der Erde eingefangen. Sie fließen dann als Ringstrom auf einer kreis­förmigen Bahn in der Äquatorebene im Abstand von einigen Erdradien um die Erde. Je nach Sonnen­aktivität kann sich der Ringstrom dynamisch verändern. Eine möglichst genaue Kenntnis darüber ist wichtig, weil der Ringstrom diverse Auswirkungen auf die Erde und ihre Umgebung hat: Er kann gefährliche Oberflächen­ladungs­effekte auf Satelliten verursachen, was deren Betrieb und Funktions­weise erheblich beeinträchtigen kann.

Ringstromelektronen können über Streuprozesse in die Atmosphäre gelangen und dort über die Bildung von Stickoxiden zur Zerstörung von Ozon beitragen. Und nicht zuletzt kann der Ringstrom das Netto­magnet­feld der Erde schwächen. Um das Magnetfeld im Erdinneren möglichst genau studieren zu können, muss man äußere Einflüsse wie den des Ringstroms rechnerisch entkoppeln.

Der Ringstrom kann seit langem im Weltraum und von der Erde aus gemessen werden. Solche Messungen wurden erstmals 1806 von Alexander von Humboldt in Berlin durchgeführt. Er prägte auch den Begriff „Magnetsturm“ für die von verstärkter Sonnen­aktivität verursachten Änderungen des Erdmagnet­felds.

Obwohl der Ringstrom seit Jahrzehnten wissen­schaftlich untersucht wird – sowohl mit Messungen als auch über Modellierung und Computer­simulation –, ist noch immer nicht vollständig verstanden, wie er sich während geomagne­tischen Stürmen verändert. Das liegt daran, dass es viele verschiedene Prozesse gibt, die auf unter­schied­lichen Zeitskalen zu seinem Verhalten beitragen.

Eines der Hauptmerkmale eines geomagnetischen Sturms ist ein verstärkter Teilchenfluss im Ringstrom. Allerdings wurde die Anzahl der Elektronen vor allem zu Beginn der Stürme von bisherigen Modellen systematisch überschätzt, insbesondere auf der Nachtseite der Erde. Das haben die Wissen­schaftler um Bernhard Haas und Yuri Shprits vom Deutschen Geoforschungs­zentrum und der Uni Potsdam jetzt in ihrer Studie gezeigt. Als Ursache ermittelten sie bislang nicht berück­sichtigte Teilchen­verlust­prozesse.

Ausgangspunkt für die Analysen der Forscher waren starke Diskrepanzen zwischen Modell­vorher­sagen und Messungen der inneren Magnetosphäre der Erde während starker geomagne­tischer Stürme. Für genauere Unter­suchungen betrachtete das Team des GFZ ein spezielles Magnetsturm-Event, den St.-Patricks-Day-Sturm vom 17. März 2013. Er wurde schon verschiedentlich studiert und zeigt eine klare Unterscheid­barkeit zwischen starker und schwacher geomagne­tischer Aktivität.

Grundsätzlich gibt es im Ringstrom eine permanente Partikel­fluktuation: Neue Partikel werden eingefangen, andere wieder ausgestoßen. Dafür spielt auch die Position im Ringstrom eine Rolle, also ob man zum Beispiel die der Sonne zugewandte Tag- oder die ihr abgewandte Nachtseite betrachtet. Denn die Magnetosphäre der Erde ist hier jeweils sehr unter­schiedlich ausgeprägt.

Die Forscher klärten zunächst, dass die Ursache der festge­stellten Überschätzung der Elektronen­anzahl nicht in der Model­lierung der Quellprozesse lag. Stattdessen fanden sie von bisherigen Modellen unberück­sichtigte Verlust­prozesse.

Hierfür analysierten sie die Bahnen von Elektronen nach ihrem Eintritt in den Ringstrom. Mithilfe von Simulations­rechnungen fanden sie heraus, dass ein Teil der Elektronen höchst­wahr­schein­lich durch Wechsel­wirkung mit Plasmawellen wieder aus dem Ringstrom in die Atmosphäre gestreut wird. Beispielsweise durch Schwankungen in der Teilchen­dichte entstehen Plasmawellen, die mit schwankenden elektrischen und magnetischen Feldern einhergehen und so wieder auf geladene Teilchen rückwirken können.

„Diese Prozesse wurden von bisherigen Modellen des Ringstroms nicht ausreichend genau erfasst“, erklärt Haas. „Mit unserem Ansatz konnten wir bislang nicht berück­sichtigte Elektronen-Verluste empirisch quantifizieren und zeigen, dass sie extrem stark sein müssen. Wir haben zwei Arten von Plasmawellen identifiziert, die für die Streuprozesse verantwortlich sein könnten. Der physikalische Mechanismus ist aber noch nicht vollständig verstanden und wird Gegenstand künftiger Studien sein. Eine genaue Lokali­sierung der Verlust­prozesse im Ringstrom ist mit unserer Methode nicht möglich, aber unsere Berechnungen deuten darauf hin, dass die Prozesse in dem Ringsektor stattfinden, der vor Mitternacht liegen muss.“

„Das ist ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der Dynamik von Teilchen in dieser Region des Weltraums und hilft uns, das Verhalten des Ringstroms während geomagne­tischer Stürme besser zu modellieren und vorher­zusagen“, betont Shprits. „Das ist wiederum die Voraus­setzung, um Satelliten vor den entsprechenden schädlichen Auswirkungen zu schützen, sowie das Magnetfeld der Erde in ihrem Inneren und die Auswirkungen dieser Teilchen auf die Atmosphäre und damit auch auf das Klima besser zu verstehen.“

GFZ / RK

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