18.12.2024

Simulationsmethode schärft Blick ins Erdinnere

Verfahren könnte auch in den Bereichen neuromorphes Rechnen und Datenspeicherung Anwendung finden.

Wie kommt die Erde zu ihrem Magnetfeld? Auch wenn die grundlegenden Mechanismen bekannt scheinen, sind noch Detailfragen offen. Ein internationales präsentiert jetzt ein Simulationsverfahren, das neue Erkenntnisse über den Erdkern verspricht. Es simuliert nicht nur das Verhalten von Atomen, sondern bildet auch die magnetischen Eigenschaften von Materialien nach. Die Methode ist bedeutend für die Geophysik dürfte bei der Weiterentwicklung des neuromorphen Rechnens helfen.

Abb.: Schematischer Aufbau der Erde.
Abb.: Schematischer Aufbau der Erde.
Quelle: B. Schröder, HZDR / GSFC Scientific Visualization Studio, NASA

Hervorgerufen wird das irdische Magnetfeld durch den Geodynamo-Effekt. „Wir wissen, dass der Erdkern hauptsächlich aus Eisen besteht“, erläutert Attila Cangi vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. „Wenn man sich dem Erdmittelpunkt nähert, steigen sowohl die Temperatur als auch der Druck.“ Der Temperaturanstieg führt zum Schmelzen der Stoffe, während der Druckanstieg dazu führt, dass die Stoffe fest bleiben. Aufgrund der Temperatur-Druck-Verhältnisse liegt der äußere Erdkern im geschmolzenen Zustand vor, der innere im festen Zustand.“ Angetrieben durch Erdrotation und Konvektionsströmungen bewegt sich das flüssige, elektrisch geladene Eisen um das feste Eisen. Diese Bewegung erzeugt elektrische Ströme, die dann wiederum das Magnetfeld unseres Planeten hervorrufen.

Doch bei den Details gibt es unbeantwortete Fragen: Wie ist der Erdkern im Einzelnen beschaffen? Und welche Rolle spielen andere Elemente, die es neben dem Eisen dort wahrscheinlich gibt? Beides dürfte den Geodynamo-Effekt signifikant beeinflussen. Einen gewissen Aufschluss darüber geben Experimente, bei denen Forscher seismische Wellen durch unseren Planeten schicken und deren Echos mit empfindlichen Sensoren auffangen. „Diese Versuche legen nahe, dass der Erdkern nicht nur Eisen enthält“, erklärt Svetoslav Nikolov von den Sandia National Laboratories in den USA. „Denn die Messwerte stimmen nicht mit Computersimulationen überein, die von einem reinen Eisenkern ausgehen.“

Fortschritte bei der Frage der Zusammensetzung des Erdkerns verspricht eine neue Simulationsmethode, die das Forschungsteam entwickelt und getestet hat. Die zentrale Innovation des Molekular-Spin-Dynamik-Verfahrens liegt in der Kombination zweier bislang getrennter Simulationsmethoden: der Molekulardynamik, die die Bewegung von Atomen beschreibt, und der Spindynamik, die die magnetischen Eigenschaften berücksichtigt. Durch die Kombination der beiden Methoden waren die Forscher in der Lage, den Einfluss des Magnetismus unter hohen Druck- und Temperaturbedingungen und über bisher nicht erreichbare Längen- und Zeitskalen zu untersuchen.

Konkret hat das Team das Verhalten von zwei Millionen Eisenatomen und deren Spins simuliert, um dadurch die dynamische Wechselwirkung zwischen mechanischen und magnetischen Eigenschaften zu analysieren. Dabei fanden auch KI-Methoden Verwendung: Durch den Einsatz maschinellen Lernens wurden die Kraftfelder – die Wechselwirkungen zwischen den Atomen – präzise bestimmt. Die Forscher generierten und trainierten ihre Modelle mithilfe von Hochleistungsrechnern.

Anschließend startete die eigentliche Simulation: Im Rechner erstellten die Wissenschaftler ein aus zwei Millionen Eisenatomen bestehendes Modell, das repräsentativ für den gesamten Erdkern ist. Dann setzten sie es Temperatur- und Druckverhältnissen aus, die im Erdinneren herrschen. Dafür ließen sie Druckwellen durch die Eisenatome laufen und simulierten so deren Erhitzung und Kompression. Wählten sie eine geringere Geschwindigkeit für diese Stoßwellen, blieb das Eisen fest und nahm unterschiedliche Kristallformen an. Waren die simulierten Stoßwellen schneller, wurde das Eisen weitgehend flüssig.

Bemerkenswert war die Erkenntnis, dass magnetische Effekte die Materialeigenschaften erheblich beeinflussen. „Unsere Simulationen stimmen gut mit experimentellen Daten überein“, sagt Mitchell Wood von den Sandia National Laboratories. „Und sie weisen darauf hin, dass sich in einem bestimmten Temperatur-Druck-Bereich eine spezielle Eisenphase stabilisieren könnte, die möglicherweise Einfluss auf den Geodynamo hat.“ Dieser Zustand, bcc-Phase genannt, wurde bei Eisen unter diesen Bedingungen bisher nicht experimentell beobachtet, sondern nur hypothetisch vermutet. Sollten sich die Ergebnisse des Molekular-Spin-Dynamik-Verfahrens bestätigen, dürften sich einige Fragen um den Geodynamo-Effekt klären.

Doch die Methode bietet nicht nur neue Einblicke in das Erdinnere, sondern hat auch das Potenzial technologische Innovationen in den Materialwissenschaften voranzutreiben. Konkret will Cangi das Molekular-Spin-Dynamik-Verfahren auf das neuromorphe Computing anwenden. Darunter versteht man eine neue Art von Hardware, die sich an der Funktionsweise des menschlichen Gehirns orientiert und die KI-Algorithmen künftig schneller und stromsparender abarbeiten könnte. Das neue Simulationsverfahren soll gezielt spinbasierte neuromorphe Systeme digital nachbilden und helfen, effizientere Hardware-Lösungen für maschinelles Lernen zu entwickeln.

Eine zweites Anwendungsfeld liegt in der Datenspeicherung: Magnetische Bereiche entlang von winzigen Nanodrähten könnten künftig als ein Speichermedium dienen, das schneller und energiesparender als die herkömmlichen Technologien ist. „Für beide Anwendungen gibt es noch keine präzisen Simulationsmethoden“, sagt Cangi. „Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unserem neuen Ansatz die physikalischen Prozesse realitätsgetreu nachbilden und damit die Entwicklung dieser IT-Innovationen deutlich beschleunigen können.“

HZDR / RK

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