01.06.2023

Quantenpfade für kohärente Phononen

Neues Konzept zur Anregung und Abtastung von kohärenten Phononen in Kristallen.

Die Atome in einem Kristall bilden ein regelmäßiges Gitter, in dem sie sich über kurze Distanzen aus ihren Gleichgewichts­positionen bewegen können. Solche Phonon­anregungen entsprechen Quanten­zuständen. Eine Überlagerung von Phononzuständen definiert ein Phononen­wellenpaket, das mit kollektiven kohärenten Schwingungen der Atome im Kristall verbunden ist. Kohärente Phononen lassen sich durch Anregung des Kristalls mit einem Femto­sekunden-Lichtimpuls erzeugen und ihre Bewegungen in Raum und Zeit durch Streuung eines ultrakurzen Röntgen­impulses am angeregten Material verfolgen. Das Muster der gestreuten Röntgen­strahlen gibt direkten Einblick in die momentane Position der Atome und die Abstände zwischen ihnen. Die schnelle Folge solcher Moment­aufnahmen liefert einen Film atomarer Bewegungen.

Abb.: Beugung der harten Femto­sekunden-Röntgen­impulse an den Gitterebenen...
Abb.: Beugung der harten Femto­sekunden-Röntgen­impulse an den Gitterebenen des Bismut-Kristalls. (Bild: M. Runge, MBI)

Die physikalischen Eigenschaften kohärenter Phononen werden durch die Symmetrie des Kristalls bestimmt, der eine periodische Anordnung identischer Einheits­zellen darstellt. Eine schwache optische Anregung ändert die Symmetrie­eigenschaften des Kristalls nicht. In diesem Fall werden kohärente Phononen mit identischen atomaren Bewegungen in allen Einheits­zellen angeregt. Im Gegensatz dazu kann eine starke optische Anregung die Symmetrie des Kristalls brechen und Atome in benachbarten Einheits­zellen unterschiedlich schwingen lassen. Dieser Mechanismus birgt das Potenzial auch andere Phononen anzuregen, ist bisher jedoch noch nicht untersucht worden.

Nun haben Forscher des Max-Born-Instituts in Berlin in Zusammen­arbeit mit Kollegen der Universität Duisburg-Essen ein neuartiges Konzept zur Anregung und Abtastung von kohärenten Phononen in Kristallen mit vorüber­gehend gebrochener Symmetrie vorgestellt. Der Schlüssel zu diesem Konzept liegt in der Reduktion der Symmetrie eines Kristalls durch geeignete optische Anregung, wie nun für das proto­typische kristalline Halbmetall Bismut (Bi) demonstriert.

Die Anregung von Elektronen durch ultrakurze Lichtimpulse im mittleren Infrarot­bereich in Bi verändert die räumliche Ladungsverteilung und reduziert damit vorübergehend die Kristallsymmetrie. In der reduzierten Symmetrie eröffnen sich neue Quantenpfade für die Anregung kohärenter Phononen. So führt die Symmetrie­verringerung zu einer Verdoppelung der Größe der Einheitszelle mit zwei Bi Atomen zu einer Struktur mit vier Bi Atomen. Zusätzlich zu der unidirek­tionalen atomaren Bewegung erlaubt die Einheitszelle mit vier Bi-Atomen kohärente Phononen­wellenpakete mit bidirek­tionalen atomaren Bewegungen.

Die direkte Untersuchung der transienten Kristall­struktur mittels Femtos­ekunden-Röntge­nbeugung zeigt Oszillationen der Beugungsintensität, die auf einer Pikosekunden-Zeitskala bestehen bleiben. Die Oszillationen entstehen durch kohärente Wellenpaket­bewegungen entlang der Phononkoordinaten im Kristall mit reduzierter Symmetrie. Ihre Frequenz von 2,6 Terahertz unterscheidet sich von der Frequenz der Phononen­schwingungen bei niedrigen Anregungs­dichten. Interessanterweise tritt dieses Verhalten nur oberhalb eines Schwellenwerts der optischen Anregungs­dichte auf und spiegelt den hochgradig nichtlinearen, nicht-pertur­bativen Charakter des optischen Anregungs­prozesses wider.

Zusammen­fassend lässt sich festhalten, dass sich durch die optisch induzierte Symmetrie­brechung das Anregungs­spektrum eines Kristalls auf ultrakurzen Zeitskalen verändern lässt. Diese Ergebnisse könnten den Weg für die transiente Kontrolle von Material­eigenschaften und damit für neue Anwendungen in der Optoakustik und beim optischen Schalten bereiten.
 

MBI / JOL

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