Noch keine Erklärung für den kosmischen Materie-Überschuss
Das elektrische Dipolmoment des Neutrons ist erheblich kleiner als bislang angenommen.
Forscher des Paul-Scherrer-Instituts in der Schweiz haben eine Eigenschaft des Neutrons so genau wie noch nie vermessen. Dabei fanden sie heraus, dass das Elementarteilchen ein deutlich kleineres elektrisches Dipolmoment hat als bisher angenommen. Damit ist es auch unwahrscheinlicher geworden, dass dieses Dipolmoment dabei helfen kann, die Herkunft der gesamten, heute im Universum existierenden Materie zu erklären. Ihr Ergebnis erzielten die Forscher mithilfe der Quelle für ultrakalte Neutronen des PSI.
Beim Urknall entstanden Teilchen und Antiteilchen in gleicher Anzahl – so zumindest die gängige Theorie. Da sich diese allerdings gegenseitig auslöschen, muss ein Überschuss an Materie entstanden sein, der bis heute übrig blieb. Die Ursache für diesen Materie-Überschuss ist eines der großen Rätsel der Physik. Einen Hinweis auf das dahinterliegende Phänomen hoffen Forscher unter anderem mithilfe von Neutronen zu finden. Die Vermutung: Hätte das Neutron ein elektrisches Dipolmoment, kurz: nEDM, mit einem messbaren Betrag ungleich null, könnte dahinter das gleiche physikalische Prinzip stecken, das auch den Überhang an Materie nach dem Urknall erklären würde.
Schon lange ist klar, dass das Neutron ein magnetisches Dipolmoment hat. Sollte das Neutron zusätzlich auch ein elektrisches Dipolmoment haben, wäre dessen Wert sehr viel geringer – und daher ungleich schwieriger zu messen. Das haben bereits frühere Messungen anderer Forschungsgruppen ergeben. Daher mussten die Forscher am PSI bei ihrer jetzigen Messung das lokale Magnetfeld mit hohem Aufwand sehr konstant halten. Jeder Lastwagen, der auf der Landstraße neben dem PSI vorbeifuhr, störte das Magnetfeld in einer für dieses Experiment relevanten Größenordnung und musste daher aus den Versuchsdaten herausgerechnet werden.
Auch die Anzahl der beobachteten Neutronen musste entsprechend groß sein, um eine Chance zu haben, ihr nEDM zu messen. Am PSI liefen die Messungen daher über einen Zeitraum von zwei Jahren. Alle dreihundert Sekunden wurde für acht Sekunden ein Bündel mit über 10.000 ultrakalten Neutronen zum Experiment gelenkt und untersucht. Insgesamt vermaßen die Forscher 50.000 solcher Bündel. „Das war selbst für das PSI mit seinen Großforschungsanlagen eine ziemlich umfangreiche Studie“, sagt Philipp Schmidt-Wellenburg vom PSI. „Aber genau das ist heutzutage nötig, wenn wir nach Physik jenseits des Standardmodells suchen.“
„Unser Ergebnis hat einen Wert für nEDM ergeben, der zu klein ist, um ihn mit unseren bisherigen Instrumenten zu messen – der Wert ist zu nahe an Null“, sagt Schmidt-Wellenburg. „Es ist damit also unwahrscheinlicher geworden, dass das Neutron hilft, den Materie-Überschuss zu erklären. Aber ganz ausgeschlossen ist es weiterhin nicht. Und in jedem Fall ist die Wissenschaft am genauen Wert des nEDM interessiert, um zu erfahren, ob sich hierüber neue Physik entdecken lässt.“ Daher ist die nächste, noch genauere Messung bereits in Planung. Ab 2021 soll die nächste Messreihe des nEDM starten und die jetzige wiederum in ihrer Genauigkeit übertreffen.
PSI / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C. Abel et al.: Measurement of the permanent electric dipole moment of the neutron, Phys. Rev. Lett. (im Druck), Preprint: arXiv:2001.11966 [hep-ex] - Physik mit ultrakalten Neutronen, Labor für Teilchenphysik, FB für Forschung mit Neutronen und Myonen, Paul-Scherrer-Institut, Villigen, Schweiz