29.09.2023 • VakuumMesstechnikPhotonik

Neuer Primärstandard zur Messung von UHV-Drücken

Cold Atom Vacuum Standard (CAVS) soll Unzulänglichkeiten herkömmlicher Vakuumsensoren überwinden

Eine Vakuumkammer ist nie vollkommen leer. Es verbleibt immer eine kleine Anzahl von Atomen oder Molekülen, und die Messung des winzigen Drucks, den sie ausüben, ist von entscheidender Bedeutung. Halbleiter­produzenten stellen unter Ultra-Hoch­vakuum- (UHV-) Bedingungen beispiels­weise Mikro­chips in Vakuum­kammern her, die fast völlig frei von atomaren und molekularen Ver­un­reinigungen sein müssen. Daher müssen sie den Gasdruck in der Kammer überwachen, um sicher­zustellen, dass die Ver­un­reinigungs­werte akzeptabel niedrig sind.

Unlängst haben Wissen­schaftler des National Institute of Standards and Technology (NIST) ein neues Verfahren zur Messung extrem niedriger Gasdrücke validiert: den CAVS (Cold Atom Vacuum Standard). Dabei stellten sie fest, dass ihre Technik als Primär­standard dienen kann – mit anderen Worten, sie kann von sich aus genaue Messungen vornehmen, ohne dass zuvor eine Kali­brierung anhand von Referenz­druck­messwerten erforderlich ist.

Abb.: Die NIST-Forscher Dan Barker, Steve Eckel, Jim Fedchak, Julia...
Abb.: Die NIST-Forscher Dan Barker, Steve Eckel, Jim Fedchak, Julia Scherschligt und ihre Kollegen entwickelten und testeten den Cold Atom Vacuum Standard (CAVS), eine neue Methode zur Messung ultraniedriger Drücke. (Bild: NIST)

Nachdem die NIST-Forscher die Entwicklung des CAVS in den letzten sieben Jahren voran­getrieben hatten, unterzogen sie ihre Methode kürzlich genauen Tests. Ihre neuesten Unter­suchungen zeigen, dass die Ergebnisse von CAVS-Messungen mit der tradi­tionellen „Goldstandard“-Methode zur Messung niedriger Drücke übereinstimmen und sich CAVS-Messungen mit demselben Grad an Genauig­keit und Zuverlässigkeit durchführen lassen. 

CAVS kann nicht nur so gute Messungen wie herkömmliche Druck­messgeräte vor­nehmen, sondern auch die viel nie­drigeren Vakuum­drücke – ein Billionstel des atmosphärischen Drucks auf Meeres­höhe und darunter, also im Extremen Hoch­vakuum (XHV), – zuverlässig messen, wie sie beispiels­weise für die künftige Chipfertigung und die nächste Generation wissen­schaftlicher Experimente benötigt werden. Dabei hat CAVS den Vorteil, ohne Anpassungen oder Kali­brierung an andere Referenz­druck­quellen oder -techniken sofort genaue Mess­werte liefern zu können.

„Dies ist das krönende Ergebnis", freut sich die NIST-Physikerin Julia Scherschligt. „Wir haben schon vorher zahlreiche positive Entwick­lungen gehabt. Aber dies bestätigt die Tatsache, dass unser „kalter Atom-Vakuum-Standard“ wirklich ein Standard ist.“ 

Neben der Halbleiter­her­stellung kann die neue Methode auch für andere Anwendungen nützlich sein, die UHV- oder XHV-Umge­bungen benötigen, wie z.B. Quanten­computer, Gravitations­wellen­detektoren, Teilchen­beschleuniger und vieles mehr. 

Die CAVS-Technologie misst den Vakuum­druck mit­hilfe eines kalten Gases aus etwa hundert­tausend Lithium- oder Rubidium­atomen, die in einem Magnet­feld ein­ge­schlossen sind. Diese Atome fluores­zieren, wenn sie von einem Laser beleuchtet werden, der genau auf die richtige Frequenz ein­ge­stellt ist. Die Anzahl der ein­ge­schlos­senen Atome kann genau gezählt werden, indem man die Intensität dieses Leuchtens misst. Wenn der CAVS-Sensor an eine Vakuum­kammer angeschlossen wird, stoßen die in der Kammer verbliebenen Atome oder Moleküle mit den gefangenen Atomen zusammen. Jeder Zusammen­stoß stößt ein Atom aus der Falle, wodurch sich die Anzahl der Atome und die Intensität des aus­gestrahlten Lichts verringert. Diese Intensität, die von Licht­sensoren leicht gemessen werden kann, dient als empfind­liches Maß für den Druck. Diese Beziehung zwischen der Abblend­rate und der Anzahl der Moleküle wird von der Quanten­mechanik genau vorher­gesagt.

Abb.: Aufbau des dynamischen Expansionssystems zur Überprüfung der...
Abb.: Aufbau des dynamischen Expansionssystems zur Überprüfung der CAVS-Sensoren. (Bild: NIST)

In der neuen Arbeit hat das NIST-Team seine CAVS-Sensoren an den der­zeitigen Gold­standard für Referenz­systeme bei UHV-Druck­messungen, ein dynamisches Expansions­system, angeschlossen. Dyna­mische Aus­dehnungs­systeme funkti­onieren, indem sie eine bekannte Gasmenge, gemessen in Molekülen pro Sekunde, in eine Vakuum­kammer einleiten und dann das Gas am anderen Ende der Kammer mit einer bekannten Geschwin­dig­keit langsam ablassen. Daraus lässt sich dann der resul­tierende Druck berechnen. 

In ihrem Experiment bauten die Forscher ein solches dynamisches Hoch­leistungs­expansions­system, das äußerst kleine Gasströme ermöglicht und mit einem speziell an­gefertigten Durch­flussmess­gerät zur Messung extrem geringer Teilchen­flüsse aus­gestattet ist. In diesem System ließen sie Gas mit einer Durch­fluss­rate von etwa 10 bis 100 Milliarden Molekülen pro Sekunde in die obere Kammer. Das Gas bewegte sich von der oberen Kammer in die untere Kammer, die von einer Vakuum­pumpe mit bekannter Pumprate durch eine genau bemessene – und mit einer Präzision im Sub­mikrometer­bereich hergestellte – Öffnung evakuiert wurde. Mit einer Reihe von Messgeräten wurde das Druck­verhältnis zwischen der oberen und der unteren Kammer kontrolliert, um Unregelmäßigkeiten auszugleichen. Anhand der Gas­zu­fluss­rate und der Geschwindig­keit, mit der sich das Gas zwischen den beiden Kammern bewegte, berechneten die Forscher den Druck in der oberen Kammer, den das CAVS unabhängig maß. Die Überein­stimmung beider Werte bestätigte die Güte der neuen CAVS-Druckmessmethode.

„Der Aufwand, der nötig ist, um eine klassische Standard­mess­anordnung auf­zubauen, ist gewaltig“, so Scherschligt. „Das hat uns den Sinn des ganzen Experiments vor Augen geführt, nämlich dass CAVS eine hohe Genauig­keit in einer viel einfacheren Form bietet.“

Das NIST-Team testete bei seiner Arbeit zwei Arten von CAVS-Sensoren. Bei dem einen handelt es sich um eine Labor­version, bei dem anderen um eine mobile Version, die problemlos in der modernen Chip­fertigung eingesetzt werden kann. „Die tragbare Version ist so einfach, dass wir uns entschlossen haben, sie so zu automatisieren, dass wir nur sehr selten in ihren Betrieb eingreifen mussten. Tatsächlich wurden die meisten Daten des tragbaren CAVS für diese Studie aufgenommen, während wir bequem zu Hause schliefen“, berichtet NIST-Physiker Dan Barker. „Die von uns gemessenen Gase – darunter Stickstoff, Helium, Argon und sogar Neon – sind allesamt reaktions­träge Halbleiter­prozess­gase“, er­klärt Steve Eckel. „Aber wir hoffen, in Zukunft auch reaktivere Gase wie Wasser­stoff, Kohlen­dioxid, Kohlen­monoxid und Sauer­stoff messen zu können, die alle sowohl übliche Rest­gase in Vakuum­kammern als auch nützliche Gase für die Halb­leiter­her­stellung sind.“

Zusammen­genommen versprechen diese CAVS-Systeme allen Forschern, die mit UHV und XHV arbeiten, neue Höchst­leistungen in Wissen­schaft und Technik zu erreichen.

NIST / LK


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