Magnetfeld erzeugt LCD-ähnlichen nematischen Zustand in chiralem Supraleiter
Theorie könnte Experimente mit zweischichtigem Graphen am magischen Winkel erklären.
In konventionellen Supraleitern sieht die kollektive Wellenfunktion der supraleitenden Elektronen im Material in allen räumlichen Richtungen gleich aus. Wie ein Kreis kann sie gedreht werden, ohne ihre Form zu verändern. Im Gegensatz dazu besitzen unkonventionelle Supraleiter einen Ordnungsparameter, der blütenartige Ausbuchtungen haben kann und erst bei einer Drehung um bestimmte Winkel zu sich selbst zurückkehrt. Solche unkonventionellen Ordnungsparameter können sogar kombiniert werden, um chirale Zustände zu bilden.
Tao Yu vom für Struktur und Dynamik der Materie und seine Kollegen haben jetzt die Theorie aufgestellt, dass solche spiralartigen Zustände ihren chiralen Charakter verlieren können und stattdessen einen nematischen Zustand in einem Magnetfeld annehmen. Im nematischen Zustand, der von Flüssigkristallanzeigen bekannt ist, richten sich lange Moleküle so aus, dass sie alle in die gleiche Richtung zeigen. Im Supraleiter bewirkt dieser nematische Zustand, dass die Elektronen in einer Richtung besser Strom leiten als in der anderen. Das Magnetfeld presst den chiralen Supraleiter so lange zusammen, bis sich dessen Elektronen bevorzugt in dieselbe Richtung bewegen.
Das Interesse der Theoretiker an diesem Problem wurde durch ein Experiment der Gruppe von Pablo Jarillo-Herrero am Massachusetts Institute of Technology geweckt. Dort beobachteten die Forscher nematisches Verhalten in verdrehtem zweischichtigem Graphen, englisch „twisted bilayer graphene“, kurz TBG, das einem Magnetfeld ausgesetzt wurde. „In dieser Arbeit wurde die Verbindung zwischen dem beobachteten nematischen Verhalten und den zugrundeliegenden chiralen Zuständen nicht hergestellt", sagt Dante Kennes von der RWTH Aachen. „Es bleibt abzuwarten, ob unsere Theorie die Nematizität in TBG erklärt, oder ob sie einen anderen Ursprung hat. Dazu sind weitere Experimente nötig. Unsere Theorie gilt aber nicht nur für dieses Material, sondern ist allgemeiner anwendbar."
„Interessanterweise könnte das Experiment einen indirekten Hinweis auf die chirale Supraleitung erbracht haben“, hebt Michael Sentef vom MPSD hervor. „Falls das bestätigt würde, wäre es von großer Bedeutung."
MPSD / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
T. Yu et al.: Nematicity Arising from a Chiral Superconducting Ground State in Magic-Angle Twisted Bilayer Graphene under In-Plane Magnetic Fields, Phys. Rev. Lett. 127, 127001 (2021); DOI: 10.1103/PhysRevLett.127.127001 - Theoretische Beschreibung von Pump-Probe-Spektroskopien in Festkörpern (M. Sentef), Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der Materie, Hamburg