30.12.2019 • PlanetenforschungAstronomieGeophysik

Kosmische Schutthaufen und das Erdklima

Jahresrückblick Planetenforschung und Geophysik 2019.

2019 befassten sich Planetenforscher intensiv mit zwei erdbahnkreuzenden Asteroiden, während Geowissenschaftler einige Unsicherheiten in den Klimamodellen reduzieren konnten. Dazu gab es kontroverse Ergebnisse über das Alter der Saturnringe und erstmals Einblicke aus der Tiefe des Mars.

Das Jahr begann schon mit einem planetologischen Großereignis: Am 1. Januar 2019 flog die Nasa-Raumsonde New Horizons dreieinhalb Jahre nach ihrem Besuch am Pluto an einem weiteren Körper des Kuiper-Gürtels vorbei. Der viel kleinere 2014 MU69, der später 486958 Arrokoth getauft wurde, entpuppte sich als schneemannförmiger und abgeplatteter Doppelasteroid. Vermutlich entstand der bei einem sanften Zusammenstoß der zwei „Schneemannkugeln“ [1], was unter Asteroiden nicht ungewöhnlich ist. Wie genau sich die Objekte des Kuiper-Gürtels seit der Entstehung des Sonnensystems entwickelt haben, zeigte eine Analyse der älteren Daten vom Plutovorbeiflug. Dessen Mond Charon fehlten besonders kleine Einschlagskrater. Das spräche wohl dafür, dass die Modelle über die Entstehung des Kuipergürtels insgesamt überarbeitungswürdig sind.

Abb.: Die Krater auf der Oberfläche von Pluto und seinem Mond Charon sind eine...
Abb.: Die Krater auf der Oberfläche von Pluto und seinem Mond Charon sind eine Art Archiv der Einschläge von Objekten des Kuipergürtels. (Bild: NASA / JHU Appl. Phys. Lab. / Southwest Research Institute / K. Singer)

Raumsonden brachten dieses Jahr einiges über kleine Körper in Erfahrung, allen voran rund um die Asteroiden Ryugu und Bennu, deren Bahnen beide der Erde recht nah sind. Am 21. Februar lenkte die japanische Raumsonde Hayabusa 2 ein mit Plastiksprengstoff beschleunigtes Projektil in Ryugus Oberfläche. Kurz darauf nahm die Sonde selbst mehrfach Proben aus dem entstandenen Krater, der ungewöhnlich groß erschien. Neue Analysen der schon im Vorjahr gelandeten Tochtersonde Mascot hatten gezeigt, dass Ryugu sehr porös ist und somit sehr vorsichtig behandelt werden sollte, sollte er irgendwann der Erde zu nahe kommen. Hayabusa-2 wiederum machte sich am 13. November auf den Rückweg zur Erde, wo die Sonde Ende 2020 seine kostbare Fracht in einer versiegelten Kapsel abliefern soll.

Die NASA-Raumsonde OSIRIS-REx wiederum hatte bei ihrer Ankunft an Asteroid Bennu empor fliegende Brocken entdeckt, die sich bei weiteren Analysen als Eisbrocken herausstellten, die wohl durch Meteoriteneinschläge, Wärmestress oder emporschießenden Wasserdampf von der Oberfläche abbrechen [2]. Bei Bennu wie Ryugu handelt es sich um sogenannte Schutthaufen-Asteroiden, deren grobes Material wohl bei einem Einschlag auf einem Vorgängerkörper entstanden, aus dem viel grobes Material emporgeschleudert wurde, bevor es wieder in sich zusammenfiel. Das erklärt, warum besonders Bennu aus sehr groben Bruchstücken zu bestehen scheint. Dadurch dürfte sich die für Juli 2020 geplante Probennahme als anspruchsvoll gestalten.

Neue Sphären des Mars

Rund um den Mars drangen mehrere Raumsonden in Sphären vor, die bislang in der planetaren Forschung eher vernachlässigt worden waren. Der Nasa-Rover Curiosity untersuchte die Atmosphäre des Planeten, deren Dichte bei einem Hundertstel der irdischen Lufthülle liegt. Ergebnisse von Curiosity zeigten, dass der Anteil des Gases Methan in der Atmosphäre über ein Marsjahr unerwartet zu- und wieder abnimmt. Für diese Dynamik sind anorganische wie biologische Erklärungen denkbar: Denn Methan entweicht gleichermaßen bei vulkanischer Aktivität wie beim Stoffwechsel einiger irdischer Mikroorganismen, während es ebenso von physikalischen Prozessen wie durch Mikroben abgebaut werden könnte. Das Rätsel um das Methan ist allerdings noch komplizierter, denn ausgerechnet der auf Spurengase spezialisierte Trace Gas Orbiter der Esa fand aus dem Orbit keinen Hinweis auf die ansteigenden Methanemissionen.

Abb.: Selbstportrait von Curiosity am Fuß des Aeolis Mons. (Bild: NASA /...
Abb.: Selbstportrait von Curiosity am Fuß des Aeolis Mons. (Bild: NASA / JPL-Caltech / MSSS)

Der Blick der Forscher richtete sich auf dem Mars zusätzlich verstärkt in die Tiefe: Schon im Januar berichteten US-Forscher, einen Beschleunigungssensor von Curiosity dazu zweckentfremden zu können, um es als Gravimeter zu verwenden. Dadurch konnte der Rover die Stärke des lokalen Schwerefeld unter seinen Rädern vermessen und dabei eine Entstehungshypothese des mysteriösen Gale-Krater ausschließen. Die im November 2018 gelandete NASA-Sonde InSight war dagegen speziell dafür entwickelt worden, in die Tiefe zu blicken. Das mitgeführte Seismometer konnte dabei eine erste seismisch aktive Provinz auf dem Mars ausmachen [3]. Der mitgeführte Hammer, der erstmals den Wärmefluss in bis zu fünf Meter Tiefe messen soll, hatte dagegen weniger Glück: Der Hämmermechanismus drang nur wenige Zentimeter vor. Durch einige Versuche und dem Drücken der mitgeführten Schaufel auf das umgebende Sediment gelang es den Ingenieuren aber im Verlauf der letzten Monate, einige Zentimeter tiefer vorzudringen [4]. Ob es danach weitergeht, bleibt abzuwarten.

An den zwei größten Planeten des Sonnensystems konnten Forscher zwei Rätsel klären: Dazu gehören die Polarlichter des Jupiters, die hellsten aller Planeten. Verantwortlich ist anders bei der Erde kein fließender Gleichstrom, sondern eher ein Wechselstromfeld. Am Saturn waren Forscher erstmals auf Hinweise gestoßen, mit denen das Alter des gewaltigen Ringsystems bestimmt werden konnte: Demnach entstanden die Ringe erst vor weniger als hundert Millionen Jahren und sind geologisch betrachtet eher jung. Ob das die finale Antwort ist, bezweifeln aber manche Forscher: Im Herbst argumentierten mehrere Planetologen dafür, dass auch ein höheres Alter von wenigen Milliarden Jahren weiterhin nicht ausgeschlossen werden kann [5].

Wolken, Beben, Vulkane

Die Erde ist ein Sonderfall unter allen Planeten, dank ihrer flüssigen Ozeanen, die die Entstehung des Lebens erst ermöglichten. Wie genau der blaue Planet zu seinem Wasser kam, wurde dieses Jahr gleich von zwei Studien beleuchtet: Planetologen entwickelten mittels eines seltenen Selen-Isotops eine neue Methode, um den Ursprung des Wassers im Erdmantel zu bestimmen [6]. Demnach ähnelt die Selen-Signatur des Mantelwassers stark der einer Gruppe von Asteroiden jenseits der Jupiterbahn. Und auch der wohl größte Einschlag auf unserem Planeten brachte wohl Wasser: Er fand vor 4,4 Milliarden Jahren statt und führte zur Entstehung Entstehung des Mondes. Der dafür verantwortliche Protoplanet namens Theia stammte wohl auch aus dem äußeren Sonnensystem.

Der Erdaufgang – vor 50 Jahren aufgenommen von den Apollo-11-Astronauten –...
Der Erdaufgang – vor 50 Jahren aufgenommen von den Apollo-11-Astronauten – zeigt die ganze Einzigartigkeit des blauen Planeten. (Quelle: NASA)

Seit mehreren Jahren diskutieren Forscher, wie die Dinosaurier und mit ihnen ein Großteil der Arten vor 69 Milliarden Jahren ausstarben: Der lange favorisierte Meteoriteneinschlag vor dem heutigen Mexiko konkurrierte bislang mit massiven Vulkanausbrüchen auf dem indischen Subkontinent. Die rapide versauerten Ozeane deuteten nun darauf hin, dass hauptsächlich der Meteorit schuld am Zusammenbruch des Ökosystems war.

Vulkane hatten dagegen zu anderer Zeit einen großen Einfluss aufs Ökosystem: Basaltische Eruptionen dürften vor 580 Millionen Jahren dafür verantwortlich gewesen sein, dass weite Teile der Erde von zusammenhängenden Gletschern bedeckt waren. Für die vulkanische Ursache des sogenannten Schneeballs Erde fanden Forscher neue Hinweise in mexikanischen Lavaströmen jener Zeit. Eine andere Eiszeit war hingegen gar keine: Zwischen den Jahren 1300 und 1850 gab es besonders in Europa viele kalte Winter, was Gemälde zugefrorener Grachten in den Niederlanden oder Aufzeichnungen aus Nordamerika zu bestätigen schienen. Diese kleine Eiszeit war allerdings neuen Ergebnissen zufolge kein globales Phänomen.

Nicht erst zum Klimagipfel in Madrid gab es in diesem Jahr wieder zahlreiche Ergebnisse um die menschgemachte Erwärmung der Atmosphäre. Dazu gehört die Dynamik des arktischen Meereises, dessen sehr dynamisches Abschwellen und gelegentliche Zunehmen sich Forscher lange nur schwer erklären konnten. Offenbar ist es aber schlicht die Menge an Wärme, die über die Luft in die Arktis gelangt. Auch ein weiteres Paradoxon hängt mit der Arktis zusammen: Warum wird es um das nördliche Polarmeer jedes Jahr wärmer, während die Winter in Europa tendentiell kälter werden? Das hänge laut neuer Ergebnisse mit einer planetenumspannenden Luftströmung zusammen. Dieser Jetstrom mäandriert über die nördliche Hemisphäre. Doch weil die Jetstrom-Winde in einigen Wintern der letzten Jahre eher schwach waren, konnten Kaltluftgebiete bis nach Mitteleuropa vordringen. Das geänderte Verhalten des Jetstroms erhöht neuen Ergebnissen zufolge auch das Risiko, dass die wichtigsten landwirtschaftlichen Regionen der nördlichen Hemisphäre verstärkt und zeitgleich von Dürren betroffen sind – mit ernsten Folgen für die globalen Ernteerträge [7].

Forscher entwickelten zahlreiche neue Methoden, das Erdsystem besser zu verstehen. Dazu gehören etwa die Prozesse zur Wolkenbildung, die in Klimamodellen wegen vieler Wissenslücken bis heute eine große Unbekannte darstellten. Erstmals beobachteten Wissenschaftler nun, wie sich Eiskristalle und damit Kondensationskeime für Niederschlag in bestimmten Wolkentypen bilden. Eine andere Forschergruppe befasste sich mit einem besonders hellen Wolkentyp in den Tropen, der eine kühlende Wirkung auf das Klima hat.

Auch Vulkane sind noch immer vielerorts unberechenbar: Denn selbst regelmäßig aktive Vulkane wie der Ätna brechen nicht immer an der gleichen Stelle aus: Das Magma bahnt sich immer wieder an neuen Stellen einen Weg an die Oberfläche. Dazu zeigte der Ausbruch des neuseeländischen White Island-Vulkans mit etlichen Todesopfern, dass auch die zeitliche Vorhersage solcher Ausbrüche kaum möglich zu sein scheint. Allerdings sollen Satelliten dabei zukünftig helfen: Mit dem Radarsatelliten Sentinel-1 lassen sich beispielsweise die Bodenbewegungen aller 1500 Vulkane der Erde ständig überwachen, die als aktiv gelten. Zumindest für das Umfeld des Vesuvs in Süditalien haben Forscher dazu Modelle entwickelt, um auch die Orte vorherzusagen, an denen bei unberechenbaren Ausbrüchen neue Schlote entstehen.

Satelliten blicken zunehmend unter die Erde: Dazu gehört die Veröffentlichung des bis dato genausten Modells des irdischen Schwerefelds. Auch das Erdmagnetfeld, das ständig mit den elektrischen Teilchen des Sonnenwindes wechselwirkt, nehmen Satelliten immer genauer in den Blick: Speziell Störungen in der Ionosphäre auf Höhe des Äquators können immer wieder die Satellitennavigation stören. Diese Störungen konnten nun aber dank der Magnetfeld-Mission Swarm der Esa genauer untersucht und verstanden werden.

Abb.: Enorme Erosions­prozesse, die nach einer neuen Hypothese wesentlich zur...
Abb.: Enorme Erosions­prozesse, die nach einer neuen Hypothese wesentlich zur Verschiebung der Kontinente beigetragen haben, prägen die Landschaft rund um den Grand Canyon. (Bild: M. Justin Wilkinson, Jacobs / NASA-JSC)

Die Plattentektonik unterscheidet die Erde von allen näher bekannten Planeten, doch deren Entstehung ist bis heute ein Rätsel. Eventuell spielten aber Sedimente darin eine entscheidende Rolle. Auch das Aufbrechen neuer Grabenbrüche an Land, die sich irgendwann zu ganzen Ozeanen weiten können, ist bislang nur unzureichend verstanden worden. Am besten lässt sich das im Osten Afrikas beobachten, wo Forscher nun die Öffnung eines Teilstücks des ostafrikanischen Grabenbruchs in jüngerer geologischer Vergangenheit nachvollziehen konnten. Auch viele aktuelle Prozesse der dynamischen Erdkruste sind bis heute rätselhaft: Dazu gehört ein extrem langsames Erdbeben unter Istanbul, das sich über mehr als fünfzig Tage hinzog.

Mondsucht hält an

Wie schon in den Vorjahren intensivierte sich auch 2019 die Forschung rund um den Erdtrabanten. Zwar zerschellte jeweils eine Raumsonde aus Israel und Indien beim Landeanflug. Doch die indische Sonde Chandrayaan-2 schwenkte erfolgreich in einen Mondorbit ein. Äußerst erfolgreich entwickelte sich die chinesische Mission Chang’e-4: Nachdem der Lander mit dem Rover Yutu-2 am 3. Januar 2019 als erste überhaupt weich auf der Mondrückseite gelandet war, stellten sie weitere Rekorde auf. Yutu-2 schlug im November den bis dato am längsten aktiven Mondrover Lunochod-1 – und das nach 48 Jahren. Dazu lieferte Chang’e 4 bereits mehrere Ergebnisse, darunter zum Material des Mondmantels, das an der Landestelle im Von-Kárman-Krater vermutet worden war.

Im nächsten Jahr dürfte sich die Planetenforschung wieder verstärkt auf den Mars fokussieren: Gleiche vier Missionen zum Roten Planeten sind geplant, darunter der Mars-2020-Rover der Nasa, der Rosalind-Franklin-Rover der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos und der Esa, sowie zwei Marssatelliten aus China und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Voraussichtlich im Dezember steht dann wieder der Mond im Fokus, wenn China die Sonde Chang’e-5 starten möchte. Die Mission könnte erstmals seit 1976 wieder lunares Gestein zur Erde befördern.

Karl Urban

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