Kernfusion durch künstliche Blitze
Fusionsprozesse lassen sich durch gepulste elektrische Felder anstoßen.
Gepulste elektrische Felder, die zum Beispiel durch Blitzeinschläge verursacht werden, machen sich als Spannungsspitzen bemerkbar und stellen eine zerstörerische Gefahr für elektronische Bauteile dar. Ein Team vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf hat jetzt herausgefunden, dass solche Spannungsspitzen durchaus nützliche Eigenschaften haben können. So lassen sich zum Beispiel Kernfusionsprozesse durch extrem starke und schnelle gepulste elektrische Felder deutlich verstärken.
Kernfusionen werden durch den quantenmechanischen Tunneleffekt ermöglicht. „Eine Folge des Tunneleffekts ist es, dass gleichartig geladene Teilchen ihre gegenseitige Abstoßung überwinden können, auch wenn ihre Energie dafür eigentlich gar nicht ausreicht – zumindest nicht nach den Gesetzen der klassischen Mechanik“, sagt Ralf Schützhold vom HZDR. „So etwas können wir zum Beispiel bei der Verschmelzung zweier leichter Atomkerne beobachten: Je stärker sich ein Kern dem anderen nähert, desto größer wird die Abstoßung, die Potenzialbarriere.“ Die Gesetze der Quantenmechanik erlauben jedoch, dass der Kern durch diese Barriere hindurchtunnelt und so fusionieren kann.
Obwohl der Tunneleffekt in vielen Bereichen der Physik eine wichtige Rolle spielt und erstmals bereits vor fast einhundert Jahren beschrieben wurde, ist unser Verständnis des Vorgangs auch heute noch lückenhaft. „Verschiedene Facetten des Einflusses elektrischer Felder auf Tunnelprozesse waren schon bekannt. So können elektrische Felder die Teilchen zusätzlich beschleunigen und dadurch zu mehr Energie verhelfen. Außerdem können sie die Potenzialbarriere deformieren und auf diesem Weg die Tunnelwahrscheinlichkeit erhöhen“, so Christian Kohlfürst vom HZDR.
Die Berechnungen des Teams zeigen jetzt erstmals eine Besonderheit von gepulsten, sich zeitlich schnell verändernden elektrischen Feldern: Sie können dafür sorgen, dass die Teilchen, bildlich gesprochen, aus der Potenzialbarriere herausgeschubst werden und so leichter tunneln. Die Forscher zeigen dieses Effekt an verschiedenen Beispielen, unter anderem auch an einer für eine mögliche Energieerzeugung interessanten Fusionsreaktion: der Verschmelzung eines Protons mit dem Isotop Bor-11.
Sie ist vor allem aufgrund des leicht verfügbaren Brennstoffs interessant. Dabei entstehen drei jeweils zweifach positiv geladene Alphateilchen. Bemerkenswert an dieser Reaktion: Die Energie wird in Form geladener Teilchen freigesetzt und nicht als Neutronenstrahlung wie bei den derzeit bekanntesten Fusionsreaktionen. Das hat Vorteile: Zum einen würden die Probleme, die mit dem Neutronenfluss verbunden sind, deutlich reduziert, wie etwa die Gefahren im Umgang mit ionisierender Strahlung. Zum anderen kann die Energie geladener Teilchen direkt und damit viel einfacher in Elektrizität umgewandelt werden.
Die für die Nutzung der Reaktion erforderlichen Bedingungen sind jedoch noch extremer als die der im aktuellen Fusionsreaktor-Experiment ITER favorisierten Deuterium-Tritium-Fusion. Die Zündung der Proton-Bor-Reaktion ist im Vergleich dazu schwieriger, die Wissenschaft sucht noch nach gangbaren Wegen. Das Team um Schützhold zeigt nun eine Möglichkeit auf: „Unseren Berechnungen zufolge kann ein hinreichend schnelles und starkes gepulstes elektrisches Feld nicht nur die Deuterium-Tritium-Fusion, sondern auch die Proton-Bor-Reaktion deutlich verstärken.“
Die Erzeugung solcher Felder ist jedoch schwierig. „Weltweit sind Anlagen im Bau oder in Planung, die immer höhere Energien auf immer kürzere Zeitspannen und immer kleinere Raumbereiche konzentrieren sollen“, sagt Schützhold. Leider sind die heute verfügbaren Anlagen noch nicht ganz in der Lage, derartig schnelle und starke „künstliche Blitze“ zu erzeugen.
Es gibt aber einen möglichen Ausweg: So kann das elektrische Feld eines schnell und vor allem dicht am Proton vorbeifliegenden Alphateilchens wie ein solches gepulstes elektrisches Feld wirken und so stark zustoßen, dass das Proton die Potenzialbarriere von Bor-11 durchtunneln und die Fusionsreaktion auslösen kann. Alphateilchen mit der dafür notwendigen Pulsenergie werden bei der Proton-Bor-Reaktion tatsächlich erzeugt, können aber auch von außen eingeschossen werden.
HZDR / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C. Kohlfürst, F. Queisser & R. Schützhold: Dynamically assisted tunneling in the impulse regime, in Physical Review Research 3, 033153 (2021); DOI: 10.1103/PhysRevResearch.3.033153 - Abt. Theoretische Physik (R. Schützhold), Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf