Kalter Winter und globale Erwärmung: ein Widerspruch?

Der Rückzug des arktischen Meereises ist vermutlich für die Abschwächung des Jetstroms und dadurch für die Abkühlung europäischer Winter verantwortlich.

Der neueste Sonderbericht des Weltklimarats über den Ozean und die Kryosphäre (www.ipcc.ch/srocc) zeigt es einmal mehr deutlich: Durch den Anstieg der Treibhausgasemissionen hat sich die Oberfläche der Erde seit Beginn der Industrialisierung um etwa 1 °C erwärmt. Das hat dazu geführt, dass die Kryosphäre im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte weiträumig geschrumpft ist. Laut Klimaprojektionen wird sich der Gletscherschwund und das Schmelzen der Eisschilde sowie des arktischen Meereises weltweit in der nahen Zukunft fortsetzen, da die Oberflächentemperatur der Erde weiter steigen wird.

Durch den Klimawandel schrumpft seit den 1990er-Jahren die Fläche des...
Durch den Klimawandel schrumpft seit den 1990er-Jahren die Fläche des arktischen Meereises. Das wirkt sich auf das Klima in Mitteleuropa aus (Foto: Alfred-Wegener-Institut/W. Hoppmann).

Trotz der globalen Erwärmung wurden der Winter 2017/18 sowie jene der Jahre 2009/10 und 2010/11 von vielen Leuten als extrem kalt empfunden. Im Februar 2019 führte polare Kaltluft in weiten Teilen Europas zu sehr tiefen Temperaturen. Lange Zeit befanden sich deshalb große Teile Europas unter einer Schneedecke. Diese kalten Winter stehen in Kontrast zur globalen Erwärmung. Wie kann es sein, dass es trotz Erderwärmung immer noch sehr kalte Winter gibt? Ein Widerspruch? Nicht unbedingt. In einem Artikel in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erklären Klaus Dethloff, Dörthe Handorf, Ralf Jaiser und Annette Rinke vom Alfred-Wegener-Institut in Potsdam, warum gerade die tiefen Temperaturen im Winter in Europa sogar eine Folge der globalen Erwärmung sein könnten.

Der Jetstrom, ein Starkwind, der die Erde im Norden in der Höhe von etwa 8 bis 12 km umkreist, bringt normalerweise eher mildes Atlantikwetter aus Westen nach Europa, während er gleichzeitig die Kälte in der Arktis blockiert. Im Winter 2017/18 jedoch war der Jetstrom eher schwach. Statt stark von Westen nach Osten zu strömen, mäandrierte er abgeschwächt in weit ausholenden Bögen. Tiefdruckgebiete aus der Arktis konnten dadurch kalte Polarluft und Schnee nach Süden bringen und führten zu den beobachteten kalten Wintern.

Dieses Phänomen ist nicht neu. Klaus Dethloff und sein Forschungsteam zeigen nun aber, dass die dramatischen Änderungen am Nordpol, also ausgerechnet dort, wo die Erwärmung so stark ist wie nirgendwo sonst auf der Erde, eine entscheidende Rolle spielen. Es wird vermutet, dass der Rückzug des arktischen Meereises für die Abschwächung des Jetstroms und dadurch für die Abkühlung europäischer Winter verantwortlich ist.

Die Fläche des arktischen Meereises, insbesondere im Spätsommer, hat in Folge der Klimaerwärmung stark abgenommen, nämlich um etwa 13 % pro Jahrzehnt über die letzten 40 Jahre. Auswertungen von Satellitenbildern haben ergeben, dass die Ausdehnung des arktischen Meereises im September 2019 den zweitniedrigsten Stand seit dem Start der Satellitenaufzeichnung erreicht hat. Diese verringerte Meereisbedeckung im September führt durch Luftdruckänderungen dazu, dass sich sogenannte planetare Wellen bis in die Stratosphäre ausbreiten und so auch den Polarwirbel stören, der sich oberhalb das Jetstroms dreht. Dessen Störung wirkt sich wiederum indirekt in den kommenden Monaten auf den Jetstrom aus und kann dadurch zu kälteren Wintern führen.

Klaus Dethloff und seine Mitautoren zeigen aber auch deutlich, dass die Prozesse sehr komplex sind. Insbesondere nichtlineare Wechselwirkungen zwischen dem Jetstrom und dem Polarwirbel sind bisher noch nicht alle im Detail verstanden und in Klimamodellen nur schlecht abgebildet. Es gibt zudem noch weitere Prozesse, die den Jetstrom beeinflussen und dadurch auch die Wintertemperatur über Europa. Zum Beispiel kann die atmosphärische Zirkulation durch natürliche Schwankungen hin und her schwingen und so zufällig in einem Jahr zu kälteren Winter führen. Zudem beeinflussen auch Änderungen in der Oberflächentemperatur der Ozeane sowie Ozonänderungen in der Stratosphäre die atmosphärischen Zirkulationsmuster über den mittleren Breiten. Es könnte also ein Mix aus vielen komplexen Prozessen sein, die eine Abkühlung in mittleren Breiten über Europa im Winter verursachen.

Zurzeit ist sich die Forschergemeinde noch uneinig. Einige Forscher sehen einen direkten Einfluss der wärmer werdenden Arktis auf den Jetstrom und damit auch auf die Wintertemperaturen in Europa. Andere meinen, dass die Prozesse noch nicht gut genug verstanden sind, um daraus Ursachen abzuleiten. Es bleibt also spannend. Während wir auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse warten, müssen wir uns voraussichtlich weiterhin für besonders kalte Winter warm einpacken.

Thomas Frölicher, Bern

 
Originalveröffentlichungen

T Frölicher, Kalter Winter und globale Erwärmung: ein Widerspruch? Phys. Unserer Zeit 50(6), 263 (2019); https://doi.org/10.1002/piuz.201970601

K. Dethloff, D. Handorf, R. Jaiser, A. Rinke,Kältere Winter durch abnehmendes arktisches Meereis, Phys. Unserer Zeit 50(6), 290 (2019); https://doi.org/10.1002/piuz.201901547

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