31.08.2023 • BiophysikMedizinphysik

Fließen macht Tumore gefährlich

Biophysiker finden konsistente Muster der Veränderung der mechanischen Materialeigenschaften von Tumoren mit zunehmender Aggressivität.

Seit Menschen­gedenken ertasten Ärzte suspekte Verhärtungen unter der Haut. Dass es sich bei dieser uralten Unter­suchungs­technik um eine zukunfts­weisende diagnos­tische Methode handelt, haben nun Wissen­schaftler der Charité Berlin und der Uni Leipzig in Kooperation von klinisch-diagnos­tischer Radiologie und bio­physika­lischer Grundlagen­forschung bewiesen. Sie fanden heraus, dass die Konsistenz eines Tumors entscheidend den weiteren Verlauf einer Krebs­erkrankung beeinflussen kann.

Abb.: Tumor­asso­zi­ierte mikro­sko­pische Effekte wie die...
Abb.: Tumor­asso­zi­ierte mikro­sko­pische Effekte wie die Ver­flüs­si­gung oder er­höhte Fließ­fähig­keit von Krebs­zellen haben Ein­fluss auf die makro­sko­pischen mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten des Tumors. Letz­tere lassen sich im Körper mit Tomo­elasto­graphie messen. (Bild: F. Sauer, U. Leipzig)

Zunächst wurde an der Charité im Team der experi­men­tellen Radiologie unter Leitung von Ingolf Sack ein neuartiges bild­gebendes Verfahren, die Tomo­elasto­graphie, entwickelt. Damit lassen sich die mechanischen Eigen­schaften von Tumoren und umliegender Gewebe im MRT kartieren. Die von vielen Patienten gewonnen Werte der veränderten Steifigkeit und Fließ­eigen­schaften von Krebs­geschwüren wurden dann von Biophysikern um Josef Käs an der Uni Leipzig mikro­mechanisch unter die Lupe genommen. Käs und Kollegen verglichen die Charité-Daten mit den Fließ­eigen­schaften einzelner Zellen und explantierter Tumorproben, zur Verfügung gestellt vom Universitäts­klinikum Leipzig. „Dabei zeigten sich erstaunlich konsistente Muster der Veränderung der mechanischen Material­eigen­schaften von Tumoren mit zunehmender Aggres­si­vität“, sagt Käs.

Diese mechanischen Muster sind kompli­zierter als die einfache Unter­scheidung zwischen steif und weich. Über den Tastbefund hinaus bietet die Tomo­elasto­graphie die Möglichkeit, pixelgenau die Veränderung von Festkörper­eigen­schaften hin zu flüssigem Material­verhalten zu graduieren. Tauschen Zellen im Gewebe ihren Platz, wie in einem fließenden Gewässer, führt das es zu einer erhöhten Fließ­fähig­keit des gesamten Tumors.

Käs und sein Team haben in der Vergangen­heit gezeigt, dass in krebs­artigen Geschwüren ebendiese „Zellflüsse“ existieren, auch wenn der Tumor insgesamt als steifer Knoten spürbar ist. Diese grund­legenden Zusammen­hänge kann nun Sacks Team an der Charité erstmalig an Patienten messen und für die Diagnostik nutzen. Die Einschätzung der Fließ­fähigkeit, der Härte und Textur eines Tumorknotens mit der Tomo­elasto­graphie könnte künftig genauere Krebs­diagnosen ermöglichen und damit dem Patienten mit maßge­schnei­derten Behandlungs­optionen helfen. Die Studie soll nun in weiteren klinischen Pilotstudien validiert und für die radiologische Diagnostik nutzbar gemacht werden.

U. Leipzig / RK

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