Erdbeben-Schwarm am Unterwasser-Vulkan
Geophysikalische Untersuchungen identifizieren Magmatransfer unter dem Meeresboden als Ursache.
Auch vor der Küste der Antarktis gibt es Vulkane. Am Tiefseevulkan Orca, der seit langem inaktiv ist, wurde 2020 eine Folge von mehr als 85.000 Erdbeben registriert, ein Schwarmbeben, das bis dahin für diese Region nicht beobachtete Ausmaße erreichte. Dass solche Ereignisse auch in derart abgelegenen und daher schlecht instrumentierten Gebieten sehr detailliert untersucht und beschrieben werden können, zeigt nun die Studie eines internationalen Teams unter Leitung von Simone Cesca vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam. Mit der kombinierten Anwendung von seismologischen, geodätischen und Fernerkundungs-Techniken konnten sie ermitteln, wie der schnelle Transfer von Magma vom Erdmantel nahe der Krusten-Mantel-Grenze bis fast zur Oberfläche zu dem Schwarmbeben führte.
Schwarmbeben treten hauptsächlich in vulkanisch aktiven Regionen auf. Als Ursache wird daher die Bewegung von Fluiden in der Erdkruste vermutet. Der Orca-Seamount ist ein großer submariner Schildvulkan mit einer Höhe von etwa neunhundert Metern über dem Meeresboden und einem Basisdurchmesser von etwa elf Kilometern. Er liegt in der Bransfield-Straße, einem Meereskanal zwischen der antarktischen Halbinsel und den Süd-Shetland-Inseln, südwestlich der Südspitze von Argentinien.
„In der Vergangenheit war die Seismizität in dieser Region mäßig. Im August 2020 begann dort allerdings ein intensiver seismischer Schwarm mit mehr als 85.000 Erdbeben innerhalb eines halben Jahres. Er stellt die größte seismische Unruhe dar, die dort jemals aufgezeichnet wurde“, berichtet Cesca. Gleichzeitig mit dem Schwarm wurde auf dem benachbarten King George Island eine seitliche Bodenverschiebung von mehr als zehn Zentimetern und einer geringen Hebung von etwa einem Zentimeter aufgezeichnet.
Cesca und ihre Kollegen haben diese Ereignisse untersucht. Dabei standen die Wissenschaftler vor der Herausforderung, dass es in der abgelegenen Gegend nur wenige konventionelle seismologische Instrumente gibt, nämlich nur zwei seismische Stationen und zwei GNSS-Stationen. Um die Chronologie und Entwicklung der Unruhen zu rekonstruieren und ihre Ursache zu ermitteln, hat das Team daher zusätzlich Daten von entfernteren seismischen Stationen und Daten von InSAR-Satelliten, die mittels Radarinterferometrie Bodenverschiebungen messen, ausgewertet. Ein wichtiger Schritt war dabei die Modellierung der Ereignisse mit einer Reihe geophysikalischer Methoden, um die Daten richtig zu interpretieren.
Die Forscher haben den Beginn der Unruhen auf den 10. August 2020 zurückdatiert und den ursprünglichen globalen seismischen Katalog, der nur 128 Erdbeben enthielt, auf mehr als 85.000 Ereignisse erweitert. Der Schwarm erreichte seinen Höhepunkt mit zwei großen Erdbeben am 2. Oktober und am 6. November 2020, bevor er abflaute. Bis Februar 2021 war die seismische Aktivität deutlich zurückgegangen.
Als Hauptursache für das Scharmbeben identifizieren die Forscher eine Magma-Intrusion, die Ausbreitung eines größeren Magma-Volumens. Denn seismische Prozesse allein können die beobachtete starke Oberflächendeformation auf King George Island nicht erklären. Die Magma-Intrusion wird unabhängig von geodätischen Daten bestätigt.
Die Seismizität wanderte von ihrem Ursprungsort zunächst nach oben und dann seitlich: Tiefere, gebündelte Erdbeben werden als Reaktion auf die vertikale Ausbreitung von Magma aus einem Reservoir im oberen Erdmantel oder an der Grenze zwischen Kruste und Erdmantel interpretiert. Flachere Krustenbeben breiteten sich von Nordost nach Südwest aus. Sie wurden durch den sich seitlich ausbreitenden Magmadamm ausgelöst, der eine Länge von etwa zwanzig Kilometern erreicht.
Die Seismizität nahm Mitte November, nach rund drei Monaten anhaltender Aktivität, abrupt ab. Das fällt mit dem Auftreten des größten Erdbebens der Serie zusammen. Das Ende des Schwarms lässt sich durch den Druckverlust im Magmastollen erklären, der mit dem Abrutschen einer großen Verwerfung einhergeht. Das könnte den Zeitpunkt eines Ausbruchs am Meeresboden markieren, der aber bislang nicht durch andere Messungen bestätigt werden konnte.
Die Forscher schließen durch Modellierung von GNSS- und InSAR-Daten, dass das Volumen der Magma-Intrusion von Bransfield eine Größenordnung von 0,26 bis 0,56 Kubikkilometer aufweist. Das macht diese Episode auch zur größten magmatischen Unruhe, die jemals in der Antarktis geophysikalisch überwacht wurde.
GFZ / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. Cesca et al.: Massive earthquake swarm driven by magmatic intrusion at the Bransfield Strait, Antarctica, Commun. Earth & Env. 3, 89 (2022); DOI: 10.1038/s43247-022-00418-5 - Sektion Erdbeben- und Vulkanphysik, Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches Geoforschungszentrum, Potsdam