Die Strömungsgeschwindigkeit im Verdauungssystem
Physikalischer Mechanismen der Selbstregulation des Darms aufgedeckt.
Der menschliche Darm ist etwa sieben Meter lang. Es dauert ungefähr acht Stunden, bis die Nahrung während der Verdauung den Dünndarm passiert hat. In dieser Zeit werden die Nährstoffe aus der Nahrung durch die vergrößerte Oberfläche des Darms absorbiert. Gleichzeitig nehmen nützliche, an der Verdauung beteiligte Bakterien im Darm Nährstoffe aus der passierten Nahrung auf. Forscher des MPI für Dynamik und Selbstorganisation und der TU München konnten jetzt zeigen, dass Nährstoffaufnahme und Bakterienzahl direkt an die Strömungsgeschwindigkeit im Darm gekoppelt sind: Bei hohen Geschwindigkeiten wird das Bakterienwachstum eingedämmt, gleichzeitig verschlechtert sich aber auch die Nährstoffaufnahme in den Darm. Im Gegensatz dazu kann eine niedrige Fließgeschwindigkeit die Nährstoffaufnahme verbessern, begünstigt aber auch ein übermäßiges Bakterienwachstum, was auf Dauer für das Verdauungssystem schädlich sein kann.
Die Wissenschaftler haben zum ersten Mal die komplexe Dynamik zwischen Nährstoffaufnahme, Strömung und Bakterienwachstum aufgezeigt. „Unser Mausmodell zeigte, dass bei einer bestimmten Fließgeschwindigkeit eine optimale Nährstoffaufnahme erreicht wird, während bei einer anderen Fließgeschwindigkeit optimale Bakterienzahlen erreicht werden", erläutert Karen Alim vom MPI-DS und der TU München.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Darm zwischen diesen verschiedenen Fließgeschwindigkeiten wechselt, um die Nährstoffaufnahme und den Bakteriengehalt zu regulieren. Das ist abhängig von der Nahrungsaufnahme oder dem Fasten und dem erreichten Bakteriengehalt im Darm", ergänzt ihre Kollegin Agnese Codutti. Auf diese Weise beeinflussen die Nährstoffaufnahme und die Bakterienkonzentration auch umgekehrt die Regulierung des Darmflusses.
Was aber passiert, wenn der Darm nicht richtig funktioniert? Jede Störung des Darmflusses und der Rückkopplungsmechanismen kann zu einem übermäßigen Bakterienwachstum führen. Das könnte schwerwiegende Folgen für die Gesundheit haben und zu chronischer Müdigkeit, Kopfschmerzen, schlechter Nährstoffaufnahme und Blähungen führen. Die neuen Erkenntnisse liefern wichtige Einblicke in die Mechanismen, die diesen Krankheiten zugrunde liegen. Sie können so dazu beitragen, eine gesunde Darmflora zu erhalten.
MPI-DS / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. Codutti, J. Cremer & K. Alim: „Changing Flows Balance Nutrient Absorption and Bacterial Growth along the Gut“, Phys. Rev. Lett. 129, 138101 (2022); DOI:10.1103/PhysRevLett.129.138101 - Biologische Physik und Morphogenese (K. Alim), Technische Universität München
- Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, Göttingen