Die Quantenspinflüssigkeit, die doch keine ist
Rätselhafter Quantenzustand eines ungewöhnlichen Materials lässt sich mit konventioneller Physik beschreiben.
Zwei Jahrzehnte lang glaubten Wissenschaftler, in einem synthetisch hergestellten Material eine Quantenspinflüssigkeit gefunden zu haben. Diese würde – so die Annahme – auch auf makroskopischer Ebene nicht den Gesetzen der klassischen Physik folgen, sondern denen der Quantenwelt. Die Hoffnung in diese Materialien ist groß: Sie würden sich für Anwendungen in quantenverschränkter Informationsübertragung oder auch Quantencomputern eignen. Jetzt zeigten Forscher der TU Wien und der Toho Universität in Japan jedoch, dass es sich bei dem vielversprechenden Material nicht um die vorhergesagte Quantenspinflüssigkeit handelt, sondern um ein Material, das sich mit bekannten Konzepten beschreiben lässt.
Die Forscher haben den rätselhaften Quantenzustand untersucht, indem sie den elektrischen Widerstand in dem Material κ-(BEDT-TTF)2Cu2(CN)3 temperatur- und druckabhängig gemessen haben. Um herauszufinden, wie sich die vermeintliche Quantenspinflüssigkeit – also eine Flüssigkeit, in der die Spins der Elektronen frei rotieren können – unter Druck verhält, führte das Forschungsteam systematische Widerstandsmessungen durch.
„Das Besondere ist, dass der Verlauf der Phasengrenze tiefe Einblicke in die Physik magnetischen Quantenfluktuationen gibt, was man eigentlich mit elektrischem Widerstand per se gar nicht messen kann“, sagt Andrej Pustogow von der TU Wien. Möglich wurde das erst durch eine weltweit einzigartige Methode, mit der die japanischen Partner das Material untersucht haben. „Wir machen also das Unmögliche möglich und folgen den Entropie-Fußabdrücken der magnetischen Momente und gewinnen damit neue Einblicke in eine vermeintliche Quantenspinflüssigkeit.“
Außerdem stellten die Forscher fest, dass das Phasendiagramm von κ-(BEDT-TTF)2Cu2(CN)3 stark an das von Helium-3 erinnert. Ein sowjetischer Forscher sagte bereits in den 1950er Jahren vorher, dass sich Helium-3 anders als herkömmliche Materialien verhält und bei Temperaturen unter 0,3 Kelvin nicht von flüssig zu fest, sondern von fest zu flüssig wird. Genau derselbe Effekt tritt auch bei Elektronen in Festkörpern auf, wenn sie mit zunehmender Temperatur von einem metallischen Zustand zu einem Mott-Isolator einfrieren, in dem die Elektronen fest am Atom gebunden sind und sich nicht bewegen.
Diesen Pomerantschuk-Effekt fand das Forschungsteam auch in κ-(BEDT-TTF)2Cu2(CN)3: Das Material zeigt bei höheren Temperaturen zunächst isolierendes Verhalten mit starren Elektronen, die beim Abkühlen zu einer Flüssigkeit aufschmelzen. Unterhalb von sechs Kelvin frieren die Elektronen erneut fest und verlieren nun auch ihre magnetischen Momente.
„Obwohl es sich bei κ-(BEDT-TTF)2Cu2(CN)3 selbst um keine Quantenspinflüssigkeit handelt, liefert unsere Forschung wichtige Anhaltspunkte für die weitere Erforschung dieser Materialien. Unsere Experimente helfen zum Beispiel dabei, den Effekt der magnetoelastischen Kopplung besser zu verstehen. Gelingt es uns diese zu kontrollieren, können wir möglicherweise auch eine Quantenspinflüssigkeiten realisieren,“ resümiert Pustogow.
TU Wien / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
A. Pustogow et al.: Chasing the spin gap through the phase diagram of a frustrated Mott insulator, Nat. Commun. 14, 1960 (2023); DOI: 10.1038/s41467-023-37491-z - AG Pustogow, Institut für Festkörperphysik, Technische Universität Wien, Österreich