25.10.2024

Auszeichnung für Pioniere der Krebs-Physik

Der Greve-Preis 2024 geht an Bahriye Aktas, Jochen Guck und Josef Käs.

In der Krebstherapie ist der Umgang mit Metastasen eine große Herausforderung. Es ist wichtig zu verstehen, unter welchen Bedingungen Krebs Metastasen ausbildet. Die Biophysik kann dafür wertvolle Erkenntnisse liefern, denn auch Krebs unterliegt den Gesetzen der Physik. Für ihre grundlegenden Erkenntnisse über die Beweglichkeit von Tumorzellen erhalten die Medizinerin Bahriye Aktas und die Biophysiker Jochen Guck und Josef Käs nun den Greve-Preis der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina 2024. Die mit 250.000 Euro dotierte Auszeichnung wird von der Hamburgischen Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve gestiftet.


Abb.: Der Greve-Preis der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Abb.: Der Greve-Preis der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina wird an Wissenschaftler oder Forschungsteams verliehen, die in Deutschland an Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder in Wirtschaftsunternehmen tätig sind.
Quelle: M. Scholz / Leopoldina

Als Biophysiker sind Josef Käs von der Universität Leipzig und Jochen Guck vom Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts in Erlangen weltweit führende Wissenschaftler auf dem Gebiet der Krebs-Physik. Mit ihren teils gemeinsamen Forschungsarbeiten untersuchten sie die physikalischen Eigenschaften von Zellen in der Interaktion mit ihrem umgebenden Gewebe. Sie konnten nachweisen, wie Tumorzellen zwischen festem, steifem und flüssigem, weichem Zustand aktiv wechseln, um sich durch das dichte Gewebe des menschlichen Körpers zu bewegen und Metastasen zu bilden. 

Diese Erkenntnis sorgte für einen Paradigmenwechsel in der Sicht auf Krebszellen und motivierte die Zusammenarbeit mit der Medizinerin Bahriye Aktas vom Universitätsklinikum Leipzig. Aktas ermöglichte die Untersuchung von menschlichen Tumorproben direkt nach der Operation und damit die Lebendzellmikroskopie der aktiven Verformung von Krebszellen. Aufbauend auf den Arbeiten ihres Vorgängers Michael Höckel brachte sie die Frage ein, welche Grenzen Krebszellen im Körper erfahren. „Bahriye Aktas, Jochen Guck und Josef Käs zeigen auf beeindruckende Weise, wie interdisziplinäre Grundlagenforschung das Verständnis von Krebserkrankungen maßgeblich erweitern kann“, sagt Leopoldina-Präsident Gerald Haug. „Der physikalische Blick auf das Verhalten von Tumorzellen, verbunden mit direkten Erkenntnissen aus der Klinik, hat das Potenzial, völlig neue Behandlungskonzepte gegen Krebs zu entwickeln.“

Am Beispiel Brustkrebs zeigt sich schon jetzt das Potenzial für die Krebsbehandlung. Entscheidend für den Therapieerfolg ist, ob der Krebs metastasiert oder nicht. Bisher ließ sich jedoch nicht zuverlässig vorhersagen, wann ein Tumor Metastasen ausbildet. Käs und Aktas gelang es zusammen mit Axel Niendorf (Hamburg), Marker zu identifizieren, die zusammen mit den bisherigen Kriterien deutlich besser auf das Metastasierungspotenzial eines Tumors hinweisen könnten. Dafür nutzten sie biophysikalische Konzepte, an deren grundsätzlicher Idee, dass metastasierende Krebszellen weicher sein müssen, Jochen Guck maßgeblich beteiligt war. Krebszellen sind lokal im Primärtumor sehr fest und dicht gepackt. Um sich vom ursprünglichen Tumor zu lösen und sich durch den menschlichen Körper zu bewegen, müssen die Krebszellen weicher werden, so dass sich die Krebszellaggregate verflüssigen. 

In ihrer Studie konnten Käs und Aktas gemeinsam mit Axel Niendorf die histologischen Merkmale der sich verflüssigenden Krebszellen identifizieren: Sie waren länglicher und wiesen deformierte Zellkerne auf. So konnten sie sich durch benachbartes Gewebe „quetschen“. Ihre Studie mit über 1000 Brustkrebspatientinnen ist ein starker Hinweis, dass diese deformierten Zell- und Kernformen als verlässliche Marker für die Aggressivität der Krebserkrankung genutzt werden können und das Potenzial eines Tumors, Metastasen zu bilden, vorhersagen. Somit könnte die Behandlung von Brustkrebs individueller an die jeweiligen Patientinnen angepasst werden. Parallel zu den Aktivitäten in Leipzig hat Guck in Erlangen eine Hochdurchsatzmethode entwickelt, um die Deformierbarkeit von Zellen zu messen (real-time deformability cytometry, RT-DC). Diese Methode ist besonders geeignet, um Wirkstoffe zu finden, die die Krebszellmechanik verändern können, um Metastasen zu verhindern.

Bahriye Aktas (Jahrgang 1975) ist Professorin für Gynäkologie an der Universität Leipzig und Direktorin der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde am Universitätsklinikum Leipzig. Aktas studierte Medizin an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Am Universitätsklinikum Essen absolvierte sie die Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe, habilitierte sich dort im Jahr 2013 und erhielt 2017 eine außerplanmäßige Professur. Im selben Jahr wechselte sie an die Universität Leipzig. Als Gynäkoonkologin liegen ihre Schwerpunkte neben der minimal-invasiven und roboterassistierten Chirurgie, die für schonende und präzise Operation mit besseren Heilungschancen eingesetzt werden, insbesondere auf der Krebsfeldchirurgie. Gemeinsam mit ihrem Vorgänger arbeitet sie an der internationalen Etablierung neuer Operationsmethoden, die berücksichtigen, wie sich ein Tumor ausbreitet.

Jochen Guck (Jahrgang 1973) studierte Physik in Würzburg und promovierte an der University of Texas in Austin/USA bei Josef Käs. Gemeinsam entwickelten sie Werkzeuge, um die Zellmechanik zu untersuchen (den Optical Cell Stretcher). Nach Forschungsstationen an der Universität Leipzig und der University of Cambridge/UK erhielt Guck 2012 die Alexander von Humboldt-Professur für zelluläre Maschinen am Biotechnologischen Zentrum der Technischen Universität Dresden und war dort leitender Direktor. Seit 2018 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts sowie seit 2020 Professor für biologische Optomechanik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Er entwickelte weitere photonische und biophysikalische Werkzeuge, wie die real-time deformability cytometry. Diese sind Grundlage für viele klinische Kooperationen in Erlangen am neuen Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin.

Josef Käs (Jahrgang 1961) ist Leiter der Abteilung Physik der weichen Materie am Peter-Debye-Institut für Physik der weichen Materie der Universität Leipzig. Er studierte Physik an der Columbia University in New York/USA und der Technischen Universität München. Dort wurde er auch promoviert. Nachdem er eine Professur an der University of Texas in Austin innehatte, wechselte er an die Universität Leipzig. Eines seiner wichtigsten Forschungsfelder ist die Erforschung der physikalischen Eigenschaften von Krebszellen. Er entdeckte, wie Krebszellen verschiedene Festigkeits- und Flüssigkeitszustände annehmen und sorgte für einen Paradigmenwechsel beim Verständnis der Tumormechanik.

Der Greve-Preis der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina wird an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Forschungsteams verliehen, die in Deutschland an Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen oder in Wirtschaftsunternehmen tätig sind. Die Auszeichnung wird alle zwei Jahre verliehen und würdigt besonders herausragende Forschungsleistungen in den Bereichen Naturwissenschaften/Medizin und Technikwissenschaften. Der Greve-Preis wird themenspezifisch ausgeschrieben, in diesem Jahr zu Grundlagen neuer Krebstherapien. Der Preis ist mit 250.000 Euro dotiert, die aus Mitteln der Greve-Stiftung stammen. 

Leopoldina / DE


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