200 Jahre Goethes Farbenlehre
Sein Faust gehört zum Standardkanon der deutschen Literatur, doch seine Farbenlehre ist bis heute umstritten.
Anja Hauck
Wer Johann Wolfgang von Goethe in seinen späteren Jahren gefragt hätte, was denn sein wichtigstes Werk sei, hätte möglicherweise zur Antwort bekommen: die Farbenlehre. Inspiriert durch eigene Malversuche und eine Italienreise beschäftigte sich der große Dichter bereits Ende des 18. Jahrhunderts intensiv mit der Zusammensetzung und dem Wahrnehmen von Farben. Rund zwanzig Jahre später erschien im Jahr 1810 als voluminöses Ergebnis dieser Auseinandersetzung sein Buch „Zur Farbenlehre“. „Ich hatte nämlich zuletzt eingesehen, daß man den Farben, als physischen Erscheinungen, erst von der Seite der Natur beikommen müsse, wenn man in der Absicht auf die Kunst etwas über sie gewinnen wolle“, schreibt Goethe darin. Und das tut er in dem 1400 Seiten starken Werk über die Optik auch in aller Ausführlichkeit. Er diskutiert zahlreiche optische Versuche zu unterschiedlichen Arten von Farbe und gibt einen historischen Abriss über die Geschichte der Farbenlehre angefangen bei den alten Griechen. In einem eigenen Teil, aber nicht nur dort, wendet er sich mit deutlichen Worten gegen Newtons Optiktheorie.
In Weimar erinnert noch bis Juni 2011 die Ausstellung „Augengespenst und Urphänomen“ im Goethe-Nationalmuseum an seine Farbenlehre. Dort können die Besucher auf den Spuren des Dichters wandeln und mit eigenen Augen sehen, was er zweihundert Jahre zuvor festgehalten hat. Ob farbige Nachbilder oder Konstellationen aus Prismen und Spiegeln - hier werden die Phänomene der Farbenlehre lebendig. Interaktive Installationen laden dazu ein, die eigene Wahrnehmung auf die Probe zu stellen. Darüber hinaus lassen sich zahlreiche weitere Exponate bewundern, wie Mineralien, farbige Gebrauchsgegenstände oder Gemälde.
Für Goethe sind die Farben ein „elementares Naturphänomen für den Sinn des Auges“. „Gegenwärtig sagen wir nur so viel voraus, dass zur Erzeugung der Farbe Licht und Finsternis, Helles und Dunkles, oder, wenn man sich einer allgemeineren Formel bedienen will, Licht und Nichtlicht gefordert werde“, schreibt Goethe. Aus dieser Grundidee entwickelt er seinen Farbkreis (vgl. Abb. ) beginnend mit Gelb, das dem Licht am nächsten liegt, und Blau, das der Dunkelheit am nächsten liegt. Durch Mischen der beiden entsteht Grün. Intensiviert man sie dagegen einzeln, kommt man nach Goethe zum Rot. Inklusive der benötigten Zwischenschritte sind die Grundfarben dann komplett. „Mit diesen drei oder sechs Farben, welche sich bequem in einen Kreis einschließen lassen, hat die Elementare Farbenlehre allein zu tun“, erklärt er.
Goethe widmet sich nicht nur dem Wahrnehmen von optischen Erscheinungen, er geht auch auf die psychologische und ästhetische Wirkung von Farben ein. Das reicht von praktischen Hinweisen für die Malerei bis hin zu der Frage, wie verschiedene Farben mit unterschiedlichen Gemütszuständen zusammenhängen. So würden Farben wie gelb oder orange eine regsame und lebhafte Stimmung hervorrufen. Blau, als die Farbe, die der Dunkelheit am nächsten liegt, „gibt uns ein Gefühl von Kälte.“
Im Gegensatz zu Newton, der das Licht mithilfe von Prismen auftrennt und so die Spektralfarben sichtbar macht, ist das Licht bei Goethe nicht teilbar und er wendet sich in seiner Farbenlehre in aller Schärfe gegen Newtons Theorie: „ Er (Newton) irrt. (...) wobei er mit unglaublicher Kühnheit das ganz Absurde als ein ausgemachtes Wahre der Welt ins Angesicht behauptet.“ Goethe hatte natürlich gehofft, von der naturwissenschaftlichen Fachwelt positiv aufgenommen zu werden. „Am freundlichsten sollte der Physiker uns entgegenkommen, da wir ihm die Bequemlichkeit verschaffen, die Lehre von den Farben in der Reihe aller übrigen elementaren Erscheinungen vorzutragen.“ Ganz so freundlich reagierte die Physik auf seine Farbenlehre jedoch nicht, worüber der Autor tief enttäuscht war. Vielmehr setzte sich die newtonsche Beschreibung durch, gegen die Goethe so hart kämpfte. Damals hätte er sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, dass seine Farbenlehre in einer ganz anderen Richtung als der Physik deutliche Spuren hinterlassen würde, nämlich in der Walldorfpädogogik. Deren Begründer Rudolf Steiner hatte sich intensiv mit Goethes Farbenlehre auseinandergesetzt und an einer kommentierten Ausgabe derselben mitgearbeitet.
Auch wenn wir manches von dem, was der große Dichter damals beschrieben hat, heute möglicherweise mit anderen Augen sehen, lohnt es sich aber auf jeden Fall, einmal Goethes bunte Welt der Farben zu erkunden.