Quantenphysik
Gerhard Franz: Quantenphysik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2024,
Bd. 1: Quantenmechanik: 800 S., brosch., 89,95 Euro, ISBN 9783111237985
Bd. 2: Festkörperphysik: 654 S., brosch., 89,95 Euro, ISBN 9783111240756
Gerhard Franz
„Wie man leicht sieht, gilt …“ – Satzanfänge dieser Art haben schon Generationen von Physikstudierenden in die Verzweiflung getrieben. Das für Lehrende und Buchautoren Offensichtliche muss für Lernende, die sich den Stoff erst mühsam erarbeiten, natürlich nicht offensichtlich sein. Ähnliches gilt für Aufgaben, zu denen keine oder nur verkürzte Lösungswege angegeben werden. Gerhard Franz umgeht in seinem zweibändigen Werk diese Verständnishürden, indem er Wert auf sehr ausführliche Herleitungen und Erklärungen sowie auf viele komplett vorgerechnete Aufgaben legt. Bei den hohen Ansprüchen, die er an seine Leserschaft stellt, ist das auch notwendig. Dieses Vorgehen, kombiniert mit guten Einführungen und Kapitelzusammenfassungen, führt folglich zum beachtlichen Gesamtumfang von über 1400 Seiten.
Die Bücher, die einen „hybriden Charakter zwischen Skriptum und Lehrbuch“ aufweisen, entstanden aus Vorlesungen, die der Autor in einem Ingenieur-Masterstudiengang Mikro- und Nanotechnik gehalten hat. Die Studierenden besaßen also wenig Vorkenntnisse aus der theoretischen Physik. Um den beabsichtigten Tiefgang in der Behandlung der Quantenphysik zu erreichen, startet Franz den ersten Band „Quantenmechanik“ mit zwei umfangreichen Vorkapiteln zum Schwarzen Strahler (inkl. Grundlagen der Elektro- und Thermodynamik) und zu Quanteneffekten (Photoeffekt, Wellennatur des Elektrons, Unschärfeprinzip von klassischen und Elektronenwellen, Bohr-Modell, Compton- und Zeeman-Effekt, Elektronenspin). Daran schließt sich mit knapp 150 Seiten das ausführliche Kapitel „Handwerkskasten der Quantenmechanik“ an, das außer der klassischen Wellen- und Wahrscheinlichkeitstheorie die „quantenmechanischen Rezepte“ (Gruppentheorie, Hilbert-Raum, Eigenwertgleichungen, Dirac-Nomenklatur u. a.) behandelt, die zum Verständnis der darauf folgenden Kapitel notwendig sind: Wellenmechanik, Störungsrechnung, Quantenteilchen und konstantes Potential, Tunneleffekt, Quantenoszillatoren, Drehimpuls, das Zentralfeldproblem, die Wechselwirkung mit Dipolstrahlung, Mehrelektronenatome und schließlich Molekülorbitale. Neben der ausführlichen mathematischen Behandlung der Sachverhalte finden sich Zusatzinformationen, etwa wissenschaftshistorische Zusammenhänge und Beispiele, durch grauen Hintergrund gekennzeichnet. Wichtige Formeln und Zusammenfassungen sind hellblau hinterlegt und erleichtern somit den Überblick.
Der Band II „Festkörperphysik“ setzt dieses Konzept nahtlos fort und beginnt mit einer Diskussion von Festkörpermodellen und deren experimenteller Bestätigung durch die Röntgenbeugung. Anschließend geht es um kondensierte Zustände in den verschiedenen kristallinen Ausprägungen. Unter „Dynamik der Gitter“ behandelt Franz darauf aufbauend Gitterschwingungen, das Photonen-Konzept, die Zustandsdichte, die spezifische Wärme und die Lichtstreuung an Phononen. Im folgenden umfangreichen Kapitel über Metalle zeigt er die Möglichkeiten – aber auch die Grenzen – des Modells freier Elektronen auf, das zum Modell des Fermi-Gases weiterentwickelt werden musste. Nach optischen Eigenschaften und Effekten im Magnetfeld (inkl. der Grundlagen von NMR- und EPR-Spektroskopie) folgt eine umfassende Beschreibung von Elektronen im realen Festkörper mit dem Bändermodell. Nach der Behandlung von Elektronenzuständen und Pseudopotentialen gibt es zum Abschluss des Bandes ein über 100 Seiten umfassendes Kapitel zu Halbleitern. Schwerpunkt sind hier die verschiedenen Übergänge: Halbleiteroberflächen, Metall-Halbleiter-Kontakte und pn-Übergänge.
Beiden Bänden merkt man an, dass der Autor über Jahrzehnte experimentell tätig ist – aktuell noch (obwohl schon im Ruhestand) am Walter-Schottky-Institut der TU München. Sowohl die dargestellten Grundlagen als auch die Aufgaben sind oft mit praktischen Sachverhalten verknüpft. Das kommt vor allem Ingenieurwissenschaftler:innen entgegen. Aber auch Physikstudierende können von den Büchern profitieren – bieten sie doch eine Alternative zu den meist von Theoretikern verfassten Lehrbüchern zur Quantenmechanik. Tiefe und Umfang der Darstellung in den Büchern sprengen aber deutlich den Rahmen von üblichen Lehrveranstaltungen. Insofern sind beide Bände zum Gebrauch neben Vorlesungen oder zu vertiefendem Studium zu empfehlen.
Prof. Dr. Rolf Heilmann, München