Physik Journal 12 / 2023
Meinung
Aktuell
Die Sterne waren nur der Anfang
Mit zwei Galas in Jena und München starteten die Feiern und Veranstaltungen
zum 100-jährigen Jubiläum des Planetariums.
Appelle der Wissenschaft
Die terroristischen Angriffe der Hamas und der Krieg im Gazastreifen erfüllen auch die
wissenschaftliche Welt mit Trauer und Sorge.
Flotte Erneuerung
Der Wissenschaftsrat empfiehlt, die regionale deutsche Forschungsflotte zu modernisieren.
Digitale Wissenschaft
Der Wissenschaftsrat spricht Empfehlungen für die Souveränität und Sicherheit von Wissenschaft im digitalen Raum aus.
Pulsarsuche von Zuhause
Mit Einstein@Home und Zooniverse sollen Bürgerinnen und Bürger bislang unbekannte Pulsare identifizieren.
Mehr Nachhaltigkeit und Wettbewerb
Delegierte der 22 ESA-Mitgliedsstaaten und der Europäischen Union trafen sich zum zweiten Weltraumgipfel.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Die Mission Euclid liefert erste Bilder von
nahegelegenen Regionen des Universums.
Japanische ITERation
Ein neuer Testreaktor für die Technologien von ITER hat den Probebetrieb aufgenommen.
Leserbriefe
Falscher Anschluss gewählt
Zu: J. Kube, Physik Journal, Oktober 2023, S. 40
High-Tech
Brennpunkt
Unstete Rotation
Mit einem Ringlaser-Gyroskop lässt sich bestimmen, wie sich der Transport großer Massen in den Ozeanen und der Atmosphäre auf die Erdrotation auswirkt.
Nobelpreis
Nobelpreis Physik: Stoppuhr für Elektronen
Der diesjährige Nobelpreis für Physik zeichnet Forschungen aus, welche die
entscheidenden Grundlagen für die Attosekundenphysik gelegt haben.
Die Historie der Attosekundenphysik ist eng verbunden mit Entwicklungen in der Lasertechnik. Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier haben maßgeblich dazu beigetragen, Attosekundenpulse erzeugen zu können, mit denen sich die Dynamik von Elektronen in Materie untersuchen lässt. Ihnen gilt unser herzlicher Glückwunsch, genau wie allen anderen, die zur Entwicklung des Gebietes beigetragen haben!
Seit jeher ist es faszinierend, Phänomene zu verstehen, die sich nicht mit unseren Sinnen begreifen lassen, weil sie auf zu kleinen oder zu schnellen Skalen passieren oder beides gleichzeitig. Tatsächlich gibt es eine deutliche Korrelation zwischen der Größe eines Objektes und der Geschwindigkeit seiner zugrunde liegenden Dynamik. Menschen sind gewöhnt an Abläufe auf der Skala von Sekunden oder Sekundenbruchteilen. Für schnellere Dynamik benötigen wir Werkzeuge, wie Kameras mit kurzer Belichtungszeit oder stroboskopische Beleuchtung (Abb. 1). Nähert man sich der Größenskala von Molekülen und einzelnen Atomen, liegt die Dynamik für das Bilden und Aufbrechen chemischer Bindungen im Femtosekunden-Bereich (1 fs = 10–15 s). Das Sichtbarmachen solcher Prozesse würdigte 1999 der Chemie-Nobelpreis für Ahmed Zewail. Noch schneller ist die Dynamik der Elektronen: Im Bohrschen Atommodell lässt sich der Umrundung eines Wasserstoff-Atoms durch ein Elektron eine Dauer von etwa 150 Attosekunden (1 as = 10–18 s) zuordnen.
Der diesjährige Nobelpreis in Physik würdigt die Entwicklung von Werkzeugen, die es erlauben, die Dynamik von Elektronen auf der Attosekunden-Zeitskala sichtbar zu machen und zu untersuchen. Ausgangspunkt war die Entwicklung immer intensiverer Laser, in deren Folge in den 1970er- und 1980er-Jahren der Untersuchung von Ionisationsprozessen in starken Laserfeldern viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Pierre Agostini hatte dazu mit der Entdeckung der Above-Threshold Ionisation (ATI) beigetragen [1]. Später sollte sich herausstellen, dass dieser Prozess eng mit der Erzeugung von Attosekundenpulsen verknüpft ist. (...)
Nobelpreis Chemie: Die Größe macht‘s
Der Nobelpreis für Chemie zeichnet grundlegende Arbeiten zur Entdeckung und Synthese von Quantenpunkten aus.
Quantenpunkte bestehen aus zehn bis zehntausend Atomen eines Halbleitermaterials und tragen wegen ihrer Größe auch die Bezeichnung Nanokristalle. Sie existieren eingebettet in Festkörpern sowie als Kolloide in Lösung. Kolloidale Quantenpunkte sind an der Oberfläche mit Molekülen belegt; da sie sehr viel kleiner als die Wellenlänge sichtbaren Lichts sind, erscheinen sie als transparente farbige Lösungen. Die Nanokristalle lassen sich gezielt mit einer Methode herstellen, die auf den Arbeiten des jüngsten der diesjährigen Chemie-Nobelpreisträger, Moungi G. Bawendi, beruht. Bei der Entdeckung und ersten Synthese von Quantenpunkten haben Louis E. Brus und Aleksei I. Ekimov entscheidende Beiträge geleistet. Allen dreien möchten wir mit diesem Beitrag herzlich gratulieren.
Wie so oft in der Geschichte der Wissenschaft geht auch die Entdeckung chemisch hergestellter Quantenpunkte nicht auf eine Person zurück, sondern wurde an verschiedenen Orten unabhängig voneinander vorangetrieben. So untersuchte Aleksei Ekimov in den frühen 1980er-Jahren die Wachstumskinetik von Kupferchlorid-Mikrokristallen in Glasschmelzen. Dabei beobachtete er, dass die Gläser je nach den Bedingungen, unter denen die Reaktion ablief, unterschiedliche Anteile des ultravioletten und sichtbaren Licht absorbierten. 1981 zeigte er, dass sich dieser Effekt auf im Glas eingeschlossene, verschieden große Nanokristalle aus Kupferchlorid zurückführen lässt [1]. Leider waren die winzigen Partikel nicht frei zugänglich und die Absorptionswellenlänge verschob sich nur um wenige Nanometer. Dennoch gelang es, die Größe der Nanokristalle eindeutig mittels Lichtstreuexperimenten nachzuweisen und damit den Größenquantisierungseffekt in Quantenpunkten erstmalig zu zeigen.
Zeitgleich fanden jenseits des eisernen Vorhangs in der Gruppe des 2012 verstorbenen Arnim Henglein Experimente statt, um photogenerierte Elektronen in kleinen Halbleiterpartikeln für Reduktions- und Oxidationsprozesse zu nutzen. Am Hahn-Meitner-Institut in West-Berlin, das heute zum Helmholtz-Zentrum Berlin gehört, gelang die Synthese sehr kleiner Metall- und Halbleiterpartikel mit unterschiedlichen kolloidchemischen Ansätzen. Das ursprüngliche Ziel war es, durch eine geringe Größe der Partikel die Diffusionswege der Ladungsträger an die Oberfläche der Teilchen zu verkürzen. Das sollte die photochemischen Prozesse, die zum Beispiel zur photokatalytischen Wasserspaltung führen können, möglichst effektiv gestalten. Im Rahmen dieser Entwicklungen entstanden Synthesen, wie die Reaktion gelöster Cadmiumsalze mit Sulfiden bei sehr hohen pH-Werten, um die Reaktivität der Ausgangsverbindungen zu erhöhen und damit möglichst kleine Partikel herzustellen. Dabei wunderten sich Henglein und seine Gruppe, dass die Reaktion nicht zu einer für Cadmiumsulfid charakteristischen Gelbfärbung führte, sondern teilweise farblose Lösungen hervorbrachte. Erst spektroskopische Untersuchungen zeigten, dass sich die Absorptionswellenlänge aus dem sichtbaren in den UV-Bereich verschoben hatte, da für solch kleine, kolloidal gelöste Kristalle die Energie des sichtbaren Lichts nicht mehr ausreicht, um die Ladungsträger optisch anzuregen. (...)
Forum
Die Flamme weitergeben
Vor vierzig Jahren öffnete das erste Science Center Deutschlands seine Pforten: das Spectrum in Berlin.
Mir ist schwindelig. Der Grund dafür steht im Science Center Spectrum in Berlin. Dort gibt es einen Kreisel, der eindrucksvoll das Prinzip der Drehimpulserhaltung demonstriert. Ich stelle mich auf die Plattform und gebe dem Kreisel einen kleinen Schubs. Solange ich mich gerade hinstelle oder nach hinten lehne, dreht er sich in gemächlichem Tempo. Lehne ich mich jedoch nach vorne, nimmt er so richtig Fahrt auf und ich bin froh, als ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.
Dieses Experiment gehört zu den ersten Versuchen des Spectrums und war schon bei der Eröffnung 1983 dabei. Damals hieß das Spectrum noch Versuchsfeld und beherbergte anfangs rund 40 Experimente. All diesen Versuchen war gemeinsam, dass die Besucherinnen und Besucher selbst Hand anlegen sollten.
Bremen, Heilbronn, Flensburg, Pirmasens, Wolfsburg und viele weitere – die Liste der Science Center in Deutschland ist mittlerweile lang. Das erste von ihnen war das Spectrum in Berlin, das zum dortigen Technikmuseum gehört. Die Idee dazu entstand Anfang der 1980er-Jahre, als der vom Deutschen Museum in München kommende Günther Gottmann den Auftrag hatte, das Technikmuseum aufzubauen. Ihm schwebte unter anderem eine Abteilung mit Experimenten vor, ähnlich wie er das in den USA bereits gesehen hatte. Daher suchte er jemanden, der diesen Bereich übernehmen und aufbauen konnte, und fand ihn in dem Physiker Otto Lührs. Dieser besaß nicht nur das theoretische Wissen, sondern auch die nötigen praktischen Fähigkeiten. (...)
Bildung und Beruf
Krise überwunden
Der Arbeitsmarkt für Physikerinnen und Physiker
Der Arbeitsmarkt für Physiker:innen steht dieses Jahr so gut da wie seit Jahren nicht mehr. Die Zahl der Arbeitslosen liegt trotz eines minimalen Anstiegs um zwei Prozent signifikant unter dem Niveau vor der Corona-Krise. Im Vergleich mit den Gesamtarbeitslosenzahlen hat sich der Arbeitsmarkt für Physiker:innen besser von der Corona-Krise erholt: Die Zahl offener Stellen ist im zweiten Jahr in Folge deutlich um 35 Prozent gestiegen und damit so hoch wie noch nie.
Für den Arbeitsmarkt von Physiker:innen gibt es zwei Datenquellen – die Zahlen des Mikrozensus und die der Bundesagentur für Arbeit. Erstere basieren auf einer umfangreichen Befragung und Modellbildung. Dadurch beleuchten sie einen um drei bis vier Jahre zurückliegenden Stand des Arbeitsmarktes – aktuell das Jahr 2019. Der Mikrozensus betrachtet alle erwerbstätigen Physiker:innen, die nach Selbstauskunft einen akademischen Physikabschluss besitzen, insgesamt 116 800 Personen [1]. Sie arbeiten in vielen Berufen (Abb. 1). Den Anteil mit einer Tätigkeit in klassischen Physikberufen, also dem „Erwerbsberuf Physiker:in“, beziffert der Mikrozensus mit 16 Prozent [2]. Die Daten der Bundesagentur erscheinen monatlich bzw. jährlich und beziehen sich lediglich auf die Gruppe „Erwerbsberuf Physiker:in“ aus dem Mikrozensus. Daten zu Arbeitslosen und offenen Stellen für „Physiker:innen“ erhält die DPG jährlich im Rahmen einer Sonderauswertung basierend auf den September-Zahlen des jeweils betrachteten Jahres. Die im Folgenden von der Bundesagentur angegebenen Zahlen zu den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten beziehen sich immer auf das Ende des Kalenderjahres [3]. (...)
DPG – 25 Jahre AKC
Vom Nutzen des Netzwerkens
Gemeinsam fällt der Weg zu Erfolg und Chancengleichheit leichter.
Eine Geschichte der Interaktion
IUPAP und AKC blicken auf eine lange gemeinsame Zusammenarbeit zurück.
Gelungener Austausch
Rückblick auf die achte Auflage der „International Conference on Women in Physics“
Lehre
Das „perfekte“ Lehramtsstudium
Die Erkenntnisse physikdidaktischer Forschung erlauben es, die Ergebnisse
der Lehramtsstudie von DPG und KFP einzuordnen.
„Letztlich haben alle kritischen Stimmen zum Begleitstudium und zum Fachstudium einen gemeinsamen Kern: Man erwartet, daß auch die ‚wissenschaftliche Ausbildung‘ in der Stoffauswahl und Methodik das Berufsziel ‚Lehrer‘ mitberücksichtigt“ [1, S. 15]. So lassen sich große Teile der Lehramtsstudie zusammenfassen, welche die DPG gemeinsam mit der Konferenz der Fachbereiche Physik (KFP) im Mai veröffentlicht hat [2]. Allein: Das Zitat fasst die Kritik am Lehramtsstudium von 1948 bis 1968 zusammen. Die physikdidaktische Forschung hat sich in den letzten Jahrzehnten der Frage gewidmet, wie ein Lehramtsstudium der Physik konzipiert werden sollte: Dieses forschungsbezogene fachdidaktische Wissen hilft dabei, die Ergebnisse der aktuellen Studie richtig zu verstehen.
Seit Beginn der 2000er-Jahre ist der Bedarf an grundständig ausgebildeten Physik-Lehrkräften nicht mehr gedeckt [3 – 5]. Aktuelle Berechnungen der Länder weisen auf einen hohen und zukünftig weiter wachsenden Mangel qualifizierter Lehrkräfte hin. Zum Beispiel ergeben die Berechnungen für Nordrhein-Westfalen, dass sich bis 2030 nur 18 Prozent der frei werdenden Stellen in Physik besetzen lassen. Ursachen finden sich unter anderem in den stagnierenden bis sinkenden Studierendenzahlen sowie in den zu hohen Quoten von Studienabbrüchen und Studienfachwechseln bei gleichzeitig steigenden Schülerzahlen. Für letztere wird derzeit die Schätzung aus dem Jahr 2021, dass bis 2035 ein Zuwachs um eine Million bzw. zehn Prozent erfolgt, eher nach oben korrigiert.
Angesichts der dramatischen Lage stellt sich die Frage: Was tun? Viele Akteure, beherztes Anpacken und innovative Ideen sind gefragt. Quer- und Seiteneinstiegsprogramme ohne systematische universitäre Beteiligung finden als temporäre Notmaßnahmen immer mehr Verbreitung und in stetig wachsendem Umfang arbeiten studentische Vertretungslehrkräfte an Schulen. Beides beeinflusst die Unterrichtsqualität: Physikdidaktische Forschungsprojekte zeigen signifikante Unterschiede zwischen diesen Lehrkräften und regulär ausgebildeten in Bezug auf pädagogisches Wissen, transmissive Lehr-Lern-Überzeugungen, das Wissenschaftsverständnis und die Offenheit für Erfahrungen [5, S. 15]. Wichtig ist daher vor allem die qualifizierte Ausbildung von Nachwuchslehrkräften in den Lehramtsstudiengängen. (...)
Physik im Alltag
Menschen
„Das ist nicht nur eine Leistung von uns dreien.“
Interview mit Benno Willke
Rezensionen
Jens Müller, Julius Wiedemann: The Computer – A History from the 17th Century to Today
Große Schmuckausgaben: Mary Shelley: Frankenstein und Jules Verne: 20 000 Meilen unter den Meeren
DPG
Tagungen
Nonequilibrium Physics – Current Trends and Future Perspectives
793. WE-Heraeus-Seminar
Sustainable Aviation Fuels – Design, Production and Climate Impact
789. WE-Heraeus-Seminar
Applications of Ultracold Rydberg Gases
792. WE-Heraeus Seminar
Laboratory Astrophysics in the Age of ALMA and JWST
799. WE-Heraeus-Seminar
Photoinduced, Charge- Driven, and Molecular Processes under Confinement
796. WE-Heraeus-Seminar
Exploiting Levitated Particles in the Quantum Regime
794. WE-Heraeus Seminar
Exciting Nanostructures: Characterizing Advanced Confined Systems
Bad Honnef Summer School