Wasser fasziniert durch zahlreiche Anomalien, die nicht allein durch die Bildung von Wasserstoffbrückenbindungen zu verstehen sind. (Bild: Robert_S / Shutterstock, vgl. S. 41)
Physik Journal 10 / 2017
Meinung
Inhaltsverzeichnis
Aktuell
Leserbriefe
Ungeklärte Ursachen
Zu: J. Marotzke, Die Klimaforschungmuss ihren Blick schärfen,Physik Journal, Juli 2017, S. 3
Im Brennpunkt
Rydbergs Baukasten für die Quantensimulation
Experimente mit riesigen Rydberg-Atomen erlauben die präzise Kontrolle der dipolaren Wechselwirkung über mesoskopische Distanzen.
Forum
European XFEL: Röntgenblitzlicht und Molekülkino
Am Röntgenlaser European XFEL hat der Forschungsbetrieb begonnen.
Viele Forscherinnen und Forscher aus aller Welt dürfte es von nun an in ein schmuckloses Gewerbegebiet ins schleswig-holsteinische Schenefeld ziehen. Grund dafür sind nicht die dortigen Autowerkstätten, sondern der stärkste Röntgenlaser der Welt: der Europäische Freie-Elektronen-Röntgenlaser, kurz European XFEL.1) Oberirdisch ist davon nicht viel zu sehen, denn der Röntgenlaser erstreckt sich in einem Tunnel von 3,4 Kilometern Länge vom DESY in Hamburg bis zur Experimentierhalle unterhalb des modernen Hauptgebäudes der neuen Großforschungseinrichtung. Der European XFEL ist das weltweit leistungsfähigste Blitzlicht und die schnellste Hochgeschwindigkeitskamera für die Nanowelt. Er soll es ermöglichen, die Struktur komplexer Biomoleküle aufzuklären, chemische Reaktionen „in Echtzeit“ zu filmen oder extreme Materiezustände bzw. neuartige Werkstoffe zu untersuchen.
„Was vor über 20 Jahren als Vision bei DESY begann und auf den Weg gebracht wurde, ist heute Wirklichkeit“, freute sich Helmut Dosch, Vorsitzender des DESY-Direktoriums, beim offiziellen Start des Forschungsbetriebs am 1. September. Anwesend waren die Forschungsminister bzw. Vertreter aller elf Partnerländer, darunter Russland, Frankreich, Dänemark und die Schweiz. Großbritannien befindet sich im Beitrittsprozess. Nun können sich Forschergruppen aus aller Welt in einem Auswahlverfahren um „Strahlzeit“ am European XFEL bewerben – in der Regel ein bis zwei Wochen pro Gruppe und Experiment.
Ein solch komplexes Großgerät lässt sich nicht einfach anschalten; nach und nach galt es, Meilensteine zu meistern. Die supraleitende Beschleunigertechnik und die Erzeugung des Röntgenlaserlichtes (Infokasten) wurden am 315 Meter langen Freie-Elektronen-Laser FLASH am DESY getestet und stehen dort seit 2005 für die Forschung zur Verfügung. Der zehnmal längere European XFEL beschleunigt die Elektronen auf 17,5 GeV statt nur auf 1 GeV bei FLASH und kann mit einer deutlich kleineren minimalen Wellenlänge (0,05 nm statt 4,1 nm) bis in die atomaren Details von Molekülen vordringen. Das machte die Inbetriebnahme noch anspruchsvoller und zeitaufwändiger. Jeder Schritt, ob die Erzeugung der Elektronen am Injektor beim DESY, ihre Beschleunigung im 1,7 Kilometer langen supraleitenden Linearbeschleuniger oder Führung und -anpassung der erzeugten Röntgenlaserstrahlung, geschieht an der Grenze des technisch Machbaren. Daher dauerte es vom ersten Röntgenstrahl am Ende des Tunnels am 27. Mai bis zum 23. Juni, bis die ersten Röntgenquanten die Experimentierhalle erreichten. Knapp eine Woche später ließ sich erstmals kohärente Röntgenbeugung demonstrieren. Anfang August bot eine DPG-Recherchereise einen ersten Einblick in die Messstationen, an denen die Stunde der Experimentatoren geschlagen hat − zunächst der für die Entwicklung und Betreuung zuständigen Forscher des European XFEL, die seit September mit den Gastwissenschaftlern eng zusammenarbeiten...
Phänomenale Phänomene
Weltweit gibt es hunderte von Science Centern, die zum Experimentieren einladen. Ein wichtiger Vorreiter in Deutschland ist die Phänomenta in Flensburg.
Als erstes höre ich ein Muhen, direkt danach erklingt die Sirene eines Krankenwagens, um abgelöst zu werden vom Krähen eines Hahns. Nein, ich bin nicht auf einem Bauernhof gelandet oder an einer belebten Straße, sondern im Science Center Phänomenta. Hier geht es ausgesprochen lebhaft zu: So laden bereits im Eingangsbereich verschiedene Experimente mit Wasser zum Ausprobieren ein – etwa ein drehbarer Brunnen mit verschiedenen Fontänen, die das Wasser parallel zueinander ausspucken. Doch sobald der Brunnen sich in Bewegung setzt, überkreuzen sich die Wasserstrahlen. Unweigerlich kommt man ins Grübeln – was passiert hier und warum?
Dieses „Warum“ steht im Mittelpunkt jedes Science Centers. Ziel dieser Ausstellungshäuser ist es, durch interaktive Exponate, die nicht hinter Glaskästen verborgen stehen, zum Mitmachen anzuregen. Dieses spielerische Experimentieren ist darauf ausgerichtet, dem Besucher technische und naturwissenschaftliche Zusammenhänge anhand von Phänomenen nahezubringen. Der Lerneffekt beruht dabei auf der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsstück. Das Exploratorium in San Francisco, das 1969 – initiiert von Frank Oppenheimer – seine Tore öffnete, gilt weltweit als erstes Science Center. Die ersten Science Center in Europa entstanden in den 1980er-Jahren.
In Deutschland gehört die Phänomenta in Flensburg zu den Vorreitern: Initiator dieses Science Centers ist der Physikdidaktikprofessor Lutz Fiesser von der Europa-Universität Flensburg, der sich Anfang der 1980er-Jahre intensiv mit Unterrichtsforschung befasste. Dabei hat er mit Erschrecken festgestellt, wie ineffektiv, ja sogar hinderlich, der Unterricht zu der Zeit war. „Wir konnten damals zeigen, dass es besser wäre, Physik gar nicht zu unterrichten. Dann hätten die Schüler wenigstens nicht einen solchen Horror vor diesem Fach entwickelt“, erzählt Lutz Fiesser. Im Jahr 1981 richteten die Biologen in Flensburg ein Freilandlabor ein, in dem Fiesser auch physikalische Fragestellungen unterbrachte, z. B. diejenige, warum sich vor einem Finger, den man in einen Bach hält, Wellen entwickeln. Sein persönliches Aha-Erlebnis hatte er 1984, als im Fernsehen über eine Ausstellung in Zürich berichtet wurde. „Ich war völlig von den Socken: In der Ausstellung haben Erwachsene experimentiert und dafür sogar Geld bezahlt. Mir war sofort klar, dass ich mir das vor Ort ansehen muss“, erinnert sich Lutz Fiesser...
Überblick
Schritte zum Leben
Neue experimentelle Methoden und die Entdeckung erdähnlicher Exoplaneten bieten vielversprechende Ansätze, um der Entstehung des Lebens auf die Spur zu kommen.
Die Frage nach dem Ursprung des Lebens ist alt und trotz vieler Ansätze noch unbeantwortet. Die Entdeckung extrasolarer Gesteinsplaneten hat das Interesse daran neu entfacht und in einen astronomischen Kontext gestellt. Neue Konzepte, um den Übergang von lebloser zu lebender Materie zu verstehen, erfordern es, physikalische und chemische Perspektiven stärker zu berücksichtigen.
Die Entstehung des Lebens auf der Erde und möglicherweise auf anderen erdähnlichen (terrestrischen) Planeten steht am Ende einer langen Kette von Entwicklungsprozessen im Universum, von der Bildung der Galaxien bis hin zur Entstehung von Sternen und der mit ihnen verbundenen Planetensysteme [1, 2]. Die Entwicklung von Sternen hängt wiederum unmittelbar mit der Kernsynthese der für das Leben notwendigen Elemente zusammen, seien es Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff oder Phosphor und Schwefel. Zusammen mit Wasserstoff bilden sie die Grundelemente für die DNA, welche die Erbinformation trägt, und die in Proteinen vorkommenden Aminosäuren.
Unterdessen deuten viele astronomische Beobachtungen darauf hin, dass die Mehrzahl der Planeten Gesteinsplaneten sind, wie etwa der kürzlich um den sonnennächsten Stern Proxima Centauri entdeckte Planet [3] (Abb. 1). Dieser gehört zu einer Handvoll bislang entdeckter Gesteinsplaneten, die sich in der „bewohnbaren“ Zone befinden (Abb. 2), also dort, wo flüssiges Wasser existieren könnte. Proxima Centauri (Spektralklasse M6) ist allerdings ein sehr aktiver Stern, sodass unklar bleibt, ob tatsächlich Wasser auf dem Planeten existieren kann...
Wasser – ein besonderer Stoff
Die faszinierenden Eigenschaften von Wasser lassen sich nicht allein durch die Existenz von Wasserstoffbrückenbindungen erklären.
Der einfache Aufbau von Wassermolekülen aus einem Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatomen lässt nicht ahnen, wie zahlreich die Anomalien des Wassers sind. Die Fähigkeit, Wasserstoffbrückenbindungen aufzubauen, reicht nicht aus, um alle Besonderheiten zu erklären. Erst das Einbeziehen des komplizierten Zusammenspiels mit weiteren Eigenschaften des Moleküls erlaubt ein tieferes Verständnis.
Wasser ist auf unserem Planeten allgegenwärtig und zugleich die einzige Substanz, die unter natürlichen Bedingungen in allen drei Aggregatzuständen existiert. Wasser ist die Grundlage unseres Lebens und beeinflusst es auf globalen und mikroskopischen Skalen. Es bedeckt mehr als 70 Prozent der Erde – in Form von Ozeanen, Seen, Flüssen, Gletschern und den Eiskappen sowie als Grundwasser. Das weitgehend ausgeglichene Klima unserer Erde beruht auf seiner hohen Wärmekapazität. Die Atmosphäre enthält nur einen geringen Anteil von etwa 10–5 des gesamten Wassers als Dampf, Wolken oder Regentropfen. Weil dieses Wasser 37-mal pro Jahr ausgetauscht wird, ergibt sich eine enorme Regenmenge von 2,2 1014 m3 [1]. Das entspricht einer gleichmäßigen Überdeckung der Erdoberfläche mit einer Wasserschicht von 44 cm. Der Wasseraustausch beeinflusst das Wetter maßgeblich und versorgt Pflanzen als Regen mit der für das Wachsen und Überleben notwendigen Wassermenge. Kontinuierlich greift der Niederschlag geologische Strukturen und menschliche Bauten bis hin zur Zersetzung an.
Die enorme Bedeutung von Wasser für die Biosphäre verdeutlicht bereits der hohe Wasseranteil von Lebewesen. Wir Menschen bestehen im Mittel aus bis zu 70 Prozent Wasser, bei wirbellosen Meerestieren steigt dieser Anteil auf bis zu 96 Prozent. Molekulare Lebensvorgänge verlaufen nahezu ausschließlich in wässriger Phase. Dabei ist Wasser nicht nur neutrales Medium, in dem spezifische Partner chemisch reagieren, während seine große Wärmekapazität und Verdampfungswärme für optimale Temperaturen sorgen. Vielmehr beeinflussen seine speziellen Eigenschaften biologische Strukturen wie die Doppelhelixstruktur der DNS und die Konformation von Proteinen, sodass es eine wesentliche Komponente in der Wirkungsweise von Lebensvorgängen auf molekularer und zellulärer Ebene darstellt...
Lehre
Vom Staub der Zeit befreit
Die Geschichte der Physik bietet neue Zugänge, um Fachwissen und Kompetenzen zu entwickeln.
Im Physikunterricht hat die Geschichte der Physik lange nur eine geringe Rolle gespielt. Bedingt durch veränderte schulische Bildungsziele haben historisch orientierte Unterrichtsansätze im deutschen Sprachraum an Bedeutung gewonnen – eine Entwicklung, die vergleichbar auch in Nordamerika und anderen westeuropäischen Ländern stattfindet. Zwei konkrete Ansätze sollen zeigen, welches Potenzial die Geschichte der Physik für die Schule bietet.
Die Geschichte der Physik wurde schon seit langer Zeit im Hinblick auf naturwissenschaftliche Bildungsprozesse dargestellt. Klassische Arbeiten wie die von Einstein und Infeld verfasste Monographie [1] oder die durch J. B. Conant herausgegebenen Fallstudien [2] entstanden aus dem Interesse heraus, zu einer naturwissenschaftlichen Bildung beizutragen. Dabei bezogen sie sich auf einen Unterricht, der im Wesentlichen auf die Vermittlung von Fachwissen abzielte. Der in den letzten zehn Jahren etablierte kompetenzorientierte Physikunterricht stellt aber Anforderungen, die sich durch die Ergänzung der bestehenden Ansätze mittels historisch angelegter Unterrichtssequenzen oder -stunden gut erfüllen lassen. Die aktuellen Bildungsstandards für den Physikunterricht fordern einerseits, dass der Unterricht Fachwissen vermitteln soll. Andererseits gilt es, prozedurale Kompetenzen zu fördern – diese unterteilen sich in die Bereiche Bewertung, Erkenntnisgewinn und Kommunikation. Eine separate Entwicklung dieser Kompetenzen ist nicht ratsam, sondern eine eng miteinander verknüpfte Förderung. Die Geschichte der Physik ermöglicht es, fachwissenschaftliche und prozedurale Kompetenzen gemeinsam zu entwickeln. Hierfür existieren verschiedene Ansätze – speziell im deutschen Sprachraum hat sich das Nachvollziehen historischer Experimente etabliert [3, 4]. Obwohl dieser Ansatz aus dem klassischen lernzielorientierten Physikunterricht stammt, eignet er sich auch für den kompetenzorientierten Fall...
Geschichte
Eine neue „Landschaft“ des Unsichtbaren
Vor 200 Jahren veröffentlichte Joseph Fraunhofer seine Beobachtung der dunklen Linien im Sonnenspektrum.
Angefangen als gelernter Glasschleifer, entwickelte Joseph Fraunhofer Anfang des 19. Jahrhunderts schnell erstaunliche technische Fähigkeiten und wissenschaftliches Interesse an völlig neuen Fragen. So gelang es ihm mit einer selbst entworfenen Prismenkonstruktion, die nach ihm benannten Spektrallinien im Sonnenspektrum zu entdecken und aufzuzeichnen. Doch Joseph Fraunhofer war seiner Zeit weit voraus, sodass seine Ergebnisse lange kein wissenschaftliches Publikum fanden.
Joseph Fraunhofers von ihm selbst „gezeichnete und geäzte“ Darstellung seiner dunklen Linien im Sonnenspektrum ist wohl bekannt. Vor 200 Jahren, im Herbst 1817, wurden die schwarz-weißen Abdrucke in den „Denkschriften der Bayerischen Akademie der Wissenschaften“ veröffentlicht.1) Darüber hinaus gibt es drei handkolorierte Exemplare, zwei davon befinden sich im Deutschen Museum in München und ein weiteres im Goethe-Nationalmuseum in Weimar.
Wie kam Fraunhofer zu seiner Entdeckung? Astronomie bedeutete damals noch ausschließlich die exakte Beobachtung von Lichtpunkten am Himmel und die Berechnung ihrer Bewegung – sofern möglich – mithilfe der Himmelsmechanik. In der Optik regierte die Korpuskulartheorie des Lichtes, die neue Wellentheorie war gerade erst geboren. Eine optische Industrie gab es noch nicht, nur erfolgreiches Handwerk – vor allem in England. Das wurde allerdings auch auf dem Kontinent nötig, seitdem die Wirtschaftsblockade Frankreichs gegenüber England ab 1806 (die „Kontinentalsperre“) jeden Warenaustausch verhinderte. Auch das war ein Grund, warum Joseph Fraunhofer in diesem Jahr im Alter von 19 Jahren vom Unternehmer Joseph Utzschneider in dessen neuem optischen Unternehmen in Benediktbeuern bei München angestellt wurde...
Physik im Alltag
Menschen
Bücher/Software
DPG
DPG-Nachwuchspreis für Beschleunigerphysik / Young Scientist Award for Socio- and Econophysics
Tagungen
Transport Mechanisms in Biological and Synthetic Nanopores and -channels
648. WE-Heraeus-Seminar
Emergent phenomena and universality in correlated quantum systems far away from equilibrium
645. WE-Heraeus-Seminar
Exciting nanostructures: Probing and tuning the electronic properties of confined systems
nternational WE-Heraeus Physics School