Zweifel an kosmischer Isotropie
Röntgen-Leuchtkraft von Galaxienhaufen nicht im Einklang mit isotroper Expansion des Weltalls.
Viele Berechnungen zu fundamentalen Eigenschaften des Universums basieren auf der Annahme der Isotropie. Doch diese Annahme könnte falsch sein. Zu diesem Schluss kommt aktuelle Studie von Forschern der Universitäten Bonn und Harvard. Die Wissenschaftler haben die Isotropie-Hypothese erstmals mit einer neuartigen Methode auf den Prüfstand gestellt, die deutlich verlässlichere Aussagen erlaubt als bislang. Mit einem unerwarteten Ergebnis: Demnach dehnen sich manche Gebiete im All sehr viel schneller aus als sie eigentlich sollten, andere dagegen weitaus langsamer.
„Diese Folgerung legen jedenfalls unsere Messwerte nahe“, erklärt Konstantinos Nikolaos Migkas von der Uni Bonn. Migkas und seine Kollegen haben einen neuen, effizienten Isotropie-Test entwickelt. Er basiert auf der Beobachtung von Galaxienhaufen. Die Haufen geben Röntgenstrahlung ab, die außerhalb der Erdatmosphäre aufgefangen werden kann, in diesem Fall übernahmen das die satellitengestützten Teleskope Chandra und XMM-Newton. Anhand bestimmter Merkmale der Strahlung lässt sich die Temperatur der Galaxienhaufen berechnen. Und auch ihre Helligkeit: Je heißer sie sind, desto heller leuchten sie.
In einem isotropen Universum gilt eine einfache Regel: Je weiter ein Himmelsobjekt von uns entfernt ist, desto größer ist seine kosmologische Rotverschiebung. Aus der Rotverschiebung kann man daher auf seine Entfernung schließen, und zwar unabhängig von der Richtung, in der das Objekt liegt – so dachte man zumindest bislang. „Tatsächlich ist es aber so, dass unsere Leuchtkraft-Messungen den Ergebnissen dieser Entfernungsberechnung oft widersprechen“, so Migkas.
Denn mit zunehmender Distanz sinkt die Lichtmenge, die auf der Erde ankommt. Wer die ursprüngliche Leuchtkraft eines Himmelskörpers und seine Entfernung kennt, weiß also, wie hell er im Teleskopbild aufleuchten sollte. Und genau an diesem Punkt sind die Wissenschaftler auf Diskrepanzen gestoßen, die sich mit der Isotropie-Hypothese nur schwer vereinbaren lassen: Manche Galaxienhaufen strahlen demnach viel schwächer, als zu erwarten gewesen wäre. Ihre Distanz zur Erde ist demnach vermutlich deutlich größer, als anhand ihrer Rotverschiebung berechnet. Bei anderen verhielt es sich dagegen gerade umgekehrt.
„Es gibt für diese Beobachtung nur drei mögliche Erklärungen“, sagt Migkas. „Zum einen ist es möglich, dass die Röntgenstrahlung, deren Intensität wir gemessen haben, auf dem Weg von den Galaxienhaufen zur Erde abgeschwächt wird. Dafür könnten zum Beispiel noch unentdeckte Gas- oder Staubwolken innerhalb oder außerhalb der Milchstraße verantwortlich sein. In vorläufigen Tests finden wir diese Diskrepanz zwischen Messung und Theorie aber nicht nur bei Röntgenstrahlung, sondern auch bei anderen Wellenlängen. Es ist extrem unwahrscheinlich, dass irgendein Materienebel völlig verschiedene Strahlungstypen in gleicher Weise absorbiert. Genauer werden wir es allerdings erst in einigen Monaten wissen.“
Eine zweite Möglichkeit sind „Bulk Flows“. Dabei handelt es sich um Gruppen benachbarter Galaxienhaufen, die sich durchgehend in eine bestimmte Richtung bewegen – beispielsweise aufgrund irgendwelcher Strukturen im All, von denen starke Gravitationskräfte ausgehen. Diese würden die Galaxienhaufen daher zu sich ziehen und so ihre Geschwindigkeit und über den Dopplereffekt die Rotverschiebung und die daraus abgeleitete Distanz verändern. „Auch dieser Effekt würde bedeuten, dass viele Berechnungen zu den Eigenschaften des lokalen Universums sehr ungenau wären und wiederholt werden müssten“, erklärt Migkas.
Die dritte Möglichkeit ist die gravierendste: Was ist, wenn das Universum gar nicht isotrop ist? Eine solche Anisotropie könnte zum Beispiel durch die Eigenschaften der rätselhaften dunklen Energie zustande kommen, die wie ein zusätzlicher Treibsatz für die Expansion des Universums wirkt. Noch fehlt allerdings eine Theorie, die das Verhalten der dunklen Energie mit den Beobachtungen in Einklang bringt. „Wenn es uns gelingt, eine solche Theorie zu entwickeln, könnte das die Suche nach der genauen Natur dieser Energieform enorm beschleunigen“, ist sich Migkas sicher.
Die aktuelle Studie basiert auf den Daten von mehr als achthundert Galaxienhaufen. Dreihundert von ihnen wurden von den Autoren selbst analysiert. Die restlichen Informationen stammen aus bereits veröffentlichten Untersuchungen. Allein die Auswertung der Röntgendaten war so anspruchsvoll, dass sie mehrere Monate in Anspruch nahm. Das neue satellitengestützte eROSITA-Röntgenteleskop soll in den nächsten Jahren noch mehrere Tausend weiterer Galaxienhaufen erfassen. Spätestens dann wird sich herausstellen, ob die Isotropie-Hypothese tatsächlich ad Acta gelegt werden muss.
RFWU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
K. Migkas et al.: Probing cosmic isotropy with a new X-ray galaxy cluster sample through the L X − T scaling relation, Astron. Astrophys. 636, A15 (2020); DOI: 10.1051/0004-6361/201936602 - Dark Energy Team (T. Reiprich), Argelander-Institut für Astronomie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn