30.09.2019

Wiege der Beschleunigertechnik

Dank einer wegweisenden Doktorarbeit von 1927 wird das Institut für Hochspannungstechnik der RWTH Aachen zur „EPS Historic Site“.

1927 schloss der norwegische Physiker Rolf Wideröe (1902 – 1996) am Elektrotechnisch-Physikalischen Institut der RWTH Aachen seine Doktorarbeit ab, die sich als besonders zukunftsweisend entpuppte, auch wenn ihr Titel nicht spektakulär klang: „Über ein neues Prinzip zur Herstellung hoher Spannungen“.

Wideröe hatte im Rahmen seiner Promotion beim Elektrotechniker Walter Rogowski den ersten linearen Hochfrequenz-Beschleuniger gebaut und außerdem die visionäre Idee für einen Kreisbeschleuniger entwickelt. Nahezu jeder heute gebaute Beschleuniger höherer Energie in Forschung oder medizinischer Anwendung gründet auf seinen Konzepten.

Aus diesem Anlass zeichnete die Europäische Physikalische Gesellschaft (EPS) das Institut für Hochspannungstechnik der RWTH Aachen (ehemals Rogowski-Institut) am 30. September als „EPS Historic Site“ aus. Eine Plakette an der Fassade des Gebäudes weist nun auf die physikgeschichtliche Bedeutung des Ortes hin.

Das Elektrotechnisch-Physikalische Institut der RWTH Aachen wurde von 1925–29...
Das Elektrotechnisch-Physikalische Institut der RWTH Aachen wurde von 1925–29 erbaut. Es wurde 1947 nach dem langjährigen Institutsleiter Walter Rogowski (1881–1947) benannt. Heute befindet sich dort das Institut für Hochspannungstechnik. (Foto: Peter Winandy)

Im Gegensatz zur damals gängigen Praxis, statische Hochspannungseinrichtungen zur Beschleunigung von Teilchenstrahlen zu nutzen, hatte Wideröe die Verwendung von Wechselspannungen erforscht. Diese erlauben es im Gegensatz zu statischen Einrichtungen, Teilchen mit der gleichen Spannung wiederholt zu beschleunigen und so deutlich höhere Energien zu erreichen. Wideröe gelang es erstmals, die Beschleunigung durch mehrere hintereinander angeordnete Wechselspannungen experimentell nachzuweisen.

Neben diesem Linearbeschleuniger entwickelte er auch das Prinzip des Betatrons, eines Zirkularbeschleunigers. Auf dem Betatron basiert das Zyklotron, das noch heute zu den wichtigsten Beschleunigertypen gehört. Der bedeutendste Einsatzbereich dieser Technologie jenseits der Grundlagenforschung liegt in der Medizin. Dort wird sie zur Erzeugung von radioaktiven Tracern für die Positronen-Emissions-Tomographie, Schilddrüsen-Szintigramme und andere bildgebende Verfahren sowie für die Strahlentherapie von Krebstumoren eingesetzt.

Rolf Wideröe arbeitete das Verfahren des HF-Linearbeschleunigers nach seiner Promotion weiter aus und konnte dessen praktische Brauchbarkeit zeigen. Anschließend war er im Transformatorenwerk der Firma AEG in Berlin auf dem Gebiet der Starkstromtechnik tätig. 1932 kehrte er aufgrund der politischen Umwälzungen in Deutschland nach Oslo zurück.

Als 1942 deutsche Truppen Norwegen besetzten, geriet Wideröes Bruder wegen Fluchthilfe in Haft und Wideröe selbst dadurch unter Druck. Von 1943 bis 1945 arbeitete er an der von der Wehrmacht geförderten Entwicklung eines deutschen Kreisbeschleunigers mit, wodurch Wideröe fälschlicherweise als Kollaborateur verdächtigt wurde. 1946 ging er in die Schweiz, wo er den Kreisbeschleuniger bis zur Industriereife weiterentwickelte. Die Betatrons kamen in den folgenden Jahrzehnten hauptsächlich als Elektronen- und Röntgenstrahlen-Quellen für medizinische Zwecke zum Einsatz.

Wideröe war von 1952 bis 1956 auch als Berater des neugegründeten CERN tätig, von 1959 bis 1963 für das DESY in Hamburg. In Anerkennung seiner großen Verdienste um die Entwicklung der Teilchenbeschleuniger erhielt Rolf Wideröe 1962 in Aachen die erste Ehrendoktorwürde der selbstständigen Fakultät für Elektrotechnik.

RWTH Aachen / Alexander Pawlak

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