07.03.2023 • GeophysikEnergie

Seismisches Imaging visualisiert den Erduntergrund

Genaue Kenntnisse der Gesteinsstrukturen sind notwendig, um Öl-, Gas- und Heißwasser-Vorkommen zu entdecken und zu verstehen.

Reflexionsseismik ist ein leistungs­fähiges Verfahren, um den Erdunter­grund zerstörungs­frei zu erkunden, beispiels­weise bei der Suche nach Öl-, Gas- oder Heiß­wasser­reservoirs. Dabei werden Schallwellen in die Erde geschickt und die reflek­tierten Signale ausgewertet. Das ermöglicht Rückschlüsse auf Beschaffen­heit und Struktur des Untergrunds und hilft Reservoirs zu finden. Die Technik funktioniert sowohl an Land als auch auf dem Meer, offshore im Bereich der Kontinental­sockel. Entscheidend für den Erfolg sind die Bearbeitung und die Analyse der gewonnenen Daten. Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschafts­mathematik in Kaisers­lautern hat die Methodik für das Daten­prozessing weiter­entwickelt. Durch das verbesserte seismische Imaging entsteht aus den Rohdaten in einem mehr­stufigen Prozess ein hoch­detail­liertes Abbild des Meeres­bodens und seines komplexen Untergrunds.

Abb.: Um das enorme Daten­volumen, das bei der Reflexions­seismik entsteht,...
Abb.: Um das enorme Daten­volumen, das bei der Reflexions­seismik entsteht, bewältigen zu können, setzen Fraun­hofer-Forscher auf Algo­rithmen des maschi­nellen Lernens und auf Ver­fahren aus dem High Perfor­mance Com­puting. (Bild: T. Brenner)

Die Experten des Fraunhofer-ITWM nutzen ein in Auftrags­forschung entwickeltes Verfahren, die „Statoil Fraunhofer Genera­li­sierte Radon Trans­for­mation“. Jetzt hat das Team um Norman Ettrich das Software­paket durch innovative ML-Algorithmen auf höhere Detail­genauig­keit getrimmt und gleich­zeitig auf die zugrunde­liegende Rechner­architektur optimiert. So entstehen detaillierte und exakte Abbilder der Gesteins­strukturen unter dem Meeresboden. Damit ist es möglich, Größe, Struktur und Form eines Öl- oder Gas-Reservoirs unter der Oberfläche auf wenige Meter genau zu ermitteln.

Die Entdeckung neuer Erdöl- oder Gasvorkommen unter dem Meeresboden steht dabei keineswegs im Fokus. „Im Zuge der Abkehr von fossilen Energie­quellen geht es gerade den europäischen Ländern immer weniger um die Entdeckung neuer Öl- oder Gasfelder“, erklärt Ettrich. „Sie wollen vielmehr bestehende oder bereits genutzte Reservoirs noch besser verstehen und durch­leuchten.“ Die Technologie eignet sich schließlich auch, um Gebiete zu finden, die sich für die unter­irdische Einlagerung von Treibhaus­gasen wie CO2 eignen könnten.

Um den Meeresboden und seinen Untergrund zu erforschen, fahren Spezial­schiffe oftmals mehrere Tausend Quadrat­kilometer große Gebiete in geraden Linien ab. Sie ziehen dabei Luftpulser und Hydrophone hinter sich her. In einem typischen Aufbau senden die Pulser alle 25 Meter einen Schallimpuls nach unten. Im Wasser pflanzt sich Schall mit einer Geschwindig­keit von 1480 Metern pro Sekunde fort und dringt dann in die Gesteins­schichten unter dem Meeresboden. Im Extremfall durchquert ein Schallimpuls 3000 Meter Wasser und wandert dann noch mal bis zu 11.000 Meter unter den Meeresboden.

Die reflektierten Signale werden auf der Meeres­ober­fläche von hoch­empfind­lichen Hydrophonen registriert. Auf diese Weise generiert jeder einzelne Impuls eine seismische Spur. Sie gibt Auskunft über die Laufzeit des Signals von der Aussendung bis zum Empfang. Die Laufzeit wird auch durch Beschaffen­heit und Größe der jeweiligen Gesteins­schicht beeinflusst. Weil das Schallsignal von mehreren Hydrophonen empfangen wird, wird der Meeresboden auch aus mehreren Winkeln beleuchtet. Aus Stärke, Laufzeit und Winkel des Signals lassen sich schließlich Informationen über die Eigenschaften, den Aufbau und die Dicke der Gesteins­formationen ableiten. Dazu gehören auch Erkenntnisse darüber, ob etwa eine bestimmte Schicht sehr porös ist und die Poren beispiels­weise mit Öl oder Gas gefüllt sind.

Das Spezialschiff fährt bei einer Erkundung typischer­weise hunderte Linien nach­ein­ander im jeweiligen Unter­suchungs­gebiet ab. Pro gefahrener Linie gibt der Pulser tausende Schüsse ab, jeder Schuss wird als reflek­tiertes Signal von tausenden Hydrophonen aufgefangen. So entstehen am Ende mehrere hundert Millionen Datenspuren und ein Daten­volumen von vielen Terabyte. Um diese gigantische Menge zu bewältigen, hat das Team spezielle Konzepte für das High Performance Computing entwickelt.

Die Daten werden zunächst gefiltert, editiert und vorsortiert, dann wird durch das Verfahren der seismischen Migration der Untergrund abgebildet. Für die weitere qualitäts­ver­bessernde Bearbeitung der Daten nach der Migration kommen immer häufiger voll­auto­matisch arbeitende ML-Algorithmen zum Einsatz. „Die besondere Leistung unserer durch ML-Algorithmen verbesserten Methodik besteht darin, dass sie bei der Auswertung der Daten keine Abstraktionen mehr eingeht, die am Ende zu Kompromissen bei der Genauigkeit der Analyse führen würden“, erklärt Ettrich. Am Ende steht das detailtreue visuelle Abbild des komplex strukturierten Untergrunds.

Die Optimierungen machen es auch erstmals möglich, Diffraktions- oder Störzonen zu ermitteln und im Abbild sichtbar zu machen. Hier handelt es sich um kleine Zonen, in denen die Eigenschaften einer Gesteins­schicht sich plötzlich ändern wie etwa bei Klüftigkeit in eigentlich abdichtenden Schichten. „Die Folge wäre, dass das Erdöl- oder -gas längst entwichen ist. Oder dass die Schicht nicht dicht genug ist, um als CO2-Speicher zu dienen. Oder dass ein Heißwasser­reservoir vorhanden ist und die Formation damit für Geothermie geeignet wäre“, erläutert Ettrich.

Das Erkennen solcher Diffraktions­objekte durch Reflexions­seismik kann auch beim Platzieren von Windmasten in Offshore-Windkraft­anlagen sehr nützlich sein. Die Fraunhofer-Technologie analysiert den Untergrund und entdeckt so auch Stellen, an denen ein besonders harter Stein das Einrammen eines Windmasts in den Meeresboden verhindern würde. So lassen sich schon im Vorfeld kost­spielige Pannen vermeiden.

FG / RK

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