02.07.2021

Schrödingers Tatort

Die Quantenmechanik hält Einzug in Krimis.

Braucht man die Quantenmechanik in der Kriminalistik? Unbedingt, wenn man den „holistischen Detektiv“ Dirk Gently fragen würde, den der britische Autor Douglas Adams 1987 ersonnen hat. Der exzentrische Privatschnüffler geht bei seinen Ermittlungen von einer quantenmechanisch motivierten „fundamentalen Vernetzung aller Dinge“ aus und hantiert lieber mit Wahrscheinlichkeiten und Überlagerungszuständen als mit Observationen oder Fingerabdrücken. Im dritten, nie fertiggestellten Dirk-Gently-Abenteuer erscheint gar eine ungwöhnliche Variante von Schrödingers Katze, denn sie besteht nur aus der vorderen Hälfte, die hintere fehlt.

Dirk Gentlys nur sehr bedingt physikalisch korrekten Ermittlungen ergaben einen höchst unkonventionellen Krimistoff, den der naturwissenschaftlich interessierte Douglas Adams als „Geister-Horror-Wer-ist-der-Täter-Zeitmaschinen-Romanzen-Komödien-Musical-Epos“ charakterisierte. Die spätere Fernsehadaption konnte diesem wilden Mix kaum gerecht werden.

Auch der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt beschäftigte sich mit der Quantenmechanik und ließ dies in seine Kriminal-Novelle „Der Auftrag oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter“ (1986) einfließen. Darin erhält eine Filmmacherin den Auftrag, einem Mord auf den Grund zu gehen und gerät dabei in irrwitzige Verwicklungen. Dürrenmatt ging es dabei wohl eher nicht um physikalisch plausibles Ermitteln, sondern um eine quantenmechanisch inspirierte Medienkritik.

Im Kino trafen Quantenmechanik und Krimi ebenfalls aufeinander, so im Film „Schilf“ (D 2012, Regie: Claudia Lehmann) nach dem gleichnamigen Roman von Juli Zeh: Der Physik-Professor Sebastian beschäftigt sich seit Jahren mit der Viele-Welten-Theorie. Als er seinen Sohn in ein Ferienlager bringen will, verschwindet dieser spurlos. Das bringt Sebastians Leben ins Wanken, der sich zunehmend mit den Folgen seiner eigenen Theorie konfrontiert sieht.

In „Rewind – Die zweite Chance“ (D 2017, Regie: Johannes F. Sievert) wird Kommissar Richard Lenders in einen Mordfall verwickelt. Beim Opfer findet er eine komplexe Formel und kommt bei seinen Recherchen in Kontakt mit einer jungen Teilchenphysikerin und den anderen Mitgliedern ihrer Arbeitsgruppe. Auch hier spielt die Quantenmechanik über die Viele-Welten-Interpretation eine Rolle und ermöglicht auf gewisse Weise Zeitreisen. Dies ist allerdings weniger überzeugend inszeniert als bei „Schilf“.

Ähnlich verwegen geht die Folge „Quantensprung“ der Fernsehserie „SOKO Wien“ mit der Physik um, die 2018 vom ORF produziert wurde.*) Hier wird Ermittlerin Penny Lanz durch eine Explosion in einem physikalischen Institut in ein Paralleluniversum katapultiert, in dem ihre Kollegen sie nicht mehr erkennen und festnehmen. Nun setzt sie alles daran, wieder in ihre ursprüngliche Welt zurückzukehren und trifft auf einen Physiker, der als Mitglied einer radikalen Gruppe verhindern will, dass bestimmte Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit gelangen. Das ist dick aufgetragen und bringt die Krimi-Serie eher in die Nähe früher Star-Trek-Episoden. Aber die Vielzahl der Krimiserien verträgt sicher auch Experimente, wie die Tatort-Reihe zeigt, wenn z.B. bekannte Kinofilme in das Tatort-Universum übertragen werden.

Ein klassischer Umgang mit der Quantenmechanik ist aktuell der Serie „Polizeiruf 110“ mit der Folge „Frau Schrödingers Katze“ gelungen, die am 20. Juni in der ARD zu sehen war und anschließend für ein halbes Jahr in der Mediathek verfügbar ist. Hier nimmt die Geschichte ihren Lauf, als die etwas gebrechliche Johanna Schrödinger im Polizeirevier den Verlust ihrer Katze melden möchte, die den passenden Namen Pandora trägt. Der Beamte verweist sie kurzerhand an die Tierhilfe, aber Polizeioberkommissarin Elisabeth „Bessie“ Eyckhoff nimmt sich der Dame an und erklärt sich schließlich bereit, bei der Suche nach der Katze zu helfen, indem sie Aushänge in der Nachbarschaft verteilt. Hier fühlt man sich an den Film „Chacun cherche son chat“ (Frankreich 1996, „Und jeder sucht sein Kätzchen“) erinnert. Darin schickt Regisseur Cedric Klapisch seine Protagonistin auf eine Erkundungstour durch ein Pariser Viertel mit all seinen schrulligen Bewohnern.

Bessie Eyckhoff bringt die Suche nach der Katze auch auf neue Bahnen. Ihre Ermittlungen weiten sich von einem Unfall mit Fahrerflucht zu mörderischen Verwicklungen in Folge einer Erbschleicherei aus. Ein skrupelloses Pärchen kümmert sich nämlich um Frau Schrödinger und versucht so, an ihr Vermögen zu kommen. Durch Zufall lernt Bessie den Physiker Adam Millner (Camill Jammal) kennen und kommt nach und nach darauf, dass die Katze der Schlüssel zur Aufklärung der Fahrerflucht ist und die dabei tödlich verunglückte Skateboarderin ebenfalls mit Frau Schrödinger zu tun hatte.

Mehr soll hier nicht verraten werden. Genau besehen sind alle Vorkommnisse in diesem Krimi klassisch, die Quantenmechanik findet eher Eingang über Anspielungen auf Zufall, Wahrscheinlichkeit und Beobachtung sowie die Tatsache, dass alle Vorfälle miteinander verschränkt sind. Das ist Anlass für viele quantenphysikalisch inspirierte Pointen, die geschickt mal visuell, mal im Dialog oder auch durch Auslassungen gesetzt werden. So haben Polizistin und Physiker gewissermaßen eine Schrödingersche Affäre.

"Alles ist mit allem verbunden", sagt Regisseur Oliver Haffner und liegt damit ganz auf der Linie von Dirk Gently. Im Interview erläutert er die augenzwinkernde Bezugnahme auf Schrödingers Gedankenexperiment (siehe unten). Dabei vermischt er dann jedoch gewagt bewusstseinstheortisch verbrämte Quantenmechanik und den Schmetterlingseffekt: „Die betrachtende Person beeinflusst die materielle Realität durch ihre Aufmerksamkeit. Wir können das ‚einheitliche Feld‘, wie es Albert Einstein nannte, also allein schon durch unsere veränderte Aufmerksamkeit, durch Gedanken und Beobachtung, tatsächlich beeinflussen. Ein Gedanke gleicht somit dem Flügelschlag eines Schmetterlings im Amazonas, der sich am anderen Ende der Welt zu einem Orkan entwickelt.“

Dennoch: Das Aufspüren der physikalischen Bezüge macht angesichts der gelungenen Inszenierung und des gut aufgelegten Ensembles Spaß, wenn man nicht unbedingt „physical correctness“ verlangt. Erfreulich ist, dass die Namen von Schrödinger, Heisenberg, Pauli oder physikalische Begrifflichkeiten zur besten Sendezeit fallen und so die Quantenmechanik als bahnbrechende Kulturleistung ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Dass es in der Biografie von Erwin Schrödinger eine Johanna gab (in Gestalt einer abweisenden Mutter einer frühen Liebschaft), ist vermutlich nur Zufall … oder auch nicht.

Alexander Pawlak

*) Die Folge sollte ursprünglich am 2. Juli um 18 Uhr wiederholt werden, wie in den TV-Tipps unseres Newsletters angekündigt, fällt aber nun zugunsten der Übertragungen von der Fußball-Europameisterschaft aus und wird möglicherweise später gesendet.

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