Schritt zu einer allgemeingültigen Turbulenz-Theorie über komplexem Terrain
Forscherin gelingt Aktualisierung einer jahrzehntealten Turbulenz-Theorie.
Eine korrekte Darstellung von Turbulenz in der Atmosphäre ist für präzise Wettervorhersagen und Klimaprojektionen entscheidend. Die Theorie dahinter ist allerdings nicht nur sehr alt, sondern auch wenig repräsentativ, da sie sich nur auf flaches Gelände bezieht. Ivana Stiperski von der Uni Innsbruck hat jetzt die seit den 1950er Jahren gängige Theorie zu Turbulenz erweitert. Die Forscherin ebnet damit erstmals den Weg zu einer allgemeingültigen Turbulenz-Theorie über komplexem Terrain.
Turbulenz ist der wichtigste Austauschmechanismus zwischen der Erdoberfläche und der darüber liegenden Atmosphäre. Dieser Mechanismus bleibt jedoch eines der letzten großen Rätsel der klassischen Physik und Mathematik. Stiperski widmet sich der Erforschung von Turbulenz über Gebirgen. „Turbulenz beeinflusst unterschiedliche Phänomene wie Klima, Sturmsysteme, Luftverschmutzung und Gletscherschmelze. Genaue Wettervorhersagen und Klimaprognosen erfordern daher eine präzise Beschreibung der Turbulenz. Über komplexem Gelände von Gebirgsregionen ist dies besonders schwierig, da sehr wenig darüber bekannt ist, wie dieses Terrain die Turbulenz verändert“, erläutert die Forscherin. „In den vergangenen siebzig Jahren waren keine großen Fortschritte in der Weiterentwicklung der Theorie zu verzeichnen.“
Bisher beruhte das Verständnis der atmosphärischen Turbulenz und ihrer Berücksichtigung in Wetter- und Klimamodellen auf der Ähnlichkeitstheorie, genauer gesagt auf der 1954 erstmals beschriebenen Monin-Obukhov-Ähnlichkeitstheorie. Diese jahrzehntealte Turbulenztheorie geht jedoch davon aus, dass die Erdoberfläche flach und horizontal homogen ist – also einheitliche Merkmale in der Horizontalen aufweist, wie etwa unendliche Gras- oder Maisfelder. Sie ist daher nicht repräsentativ für den Großteil der Landoberfläche der Erde. „Diese letztlich inkorrekte Darstellung der Turbulenz trägt zu Ungenauigkeiten in Wettervorhersagen und Klimaprojektionen bei“, betont Stiperski.
Ziel der Forscherin ist es, eine verallgemeinerte Theorie zu entwickeln, die für alle realistischen atmosphärischen Bedingungen gilt. Ein erster großer Schritt in diese Richtung ist ihr jetzt gelungen. „Etwa siebzig Prozent der Erdoberfläche sind durch eine heterogene, gebirgige Struktur gekennzeichnet, also ein komplexes Gelände wie zum Beispiel hier in Tirol. In unserer Studie verwenden wir ein einzigartiges Ensemble aus großen Messdatensätzen und Techniken des maschinellen Lernens, um neue Ähnlichkeitsbeziehungen zu entwickeln“, beschreibt Stiperski den Ansatz der neuen Studie.
In ihrer neuen Theorie verwendet die Meteorologin eine neue Schlüsselvariable in die Berechnungen. „In unserem neuartigen Ansatz beziehen wir die Anisotropie mit ein, also die Information darüber, wie Energie in der Turbulenz in verschiedene Raumrichtungen verteilt ist“, sagt die Forscherin. „Wir zeigen, dass diese Größe Informationen über die Komplexität der Oberflächen- und Strömungsbedingungen, die die Turbulenz antreiben, kodiert. So können wir die Ähnlichkeitstheorie auf komplexes Terrain ausweiten und kommen einer einheitlichen Theorie komplexer atmosphärischer Turbulenz näher.“
Der Ansatz ermöglicht eine korrektere Darstellung von Turbulenzeffekten in Wetter-, Klima- und Luftverschmutzungsmodellen. „Das ist besonders wichtig für das Verständnis und die Vorhersage von Wetter- und Klimaprojektionen in Gebirgs- und Polarregionen, da die Ähnlichkeitstheorie dort regelmäßig versagt“, hebt Stiperski hervor. „Diese Regionen sind besonders anfällig und erleben bereits eine beispiellose Erwärmung aufgrund der Klimakrise. Eine genaue Beschreibung der weiteren Entwicklungen ist daher von entscheidender Bedeutung.“
U. Innsbruck / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
I. Stiperski & M. Calaf: Generalizing Monin-Obukhov Similarity Theory (1954) for Complex Atmospheric Turbulence, Phys. Rev. Lett. 130, 124001 (2023); DOI: 10.1103/PhysRevLett.130.124001 - Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften, Universität Innsbruck, Österreich