30.12.2022

Resonanz und Zersingen von Weingläsern

Nicht nur zu Silvester behaupten manche, Gläser mit ihrer Stimme bersten lassen zu können. Ob da was dran ist, erklärt die neue „Physik in unserer Zeit“.

Man müsse das Glas lediglich mit seiner Eigenfrequenz beschallen, heißt es oft, wodurch dieses besonders stark zum Schwingen angeregt werde. Halte man den Ton lange genug, so schaukle sich die Schwingung immer weiter auf, und es käme zur Resonanz­katastrophe. Tatsächlich gelingt die Zerstörung eines Glases auf diese Weise mit Hilfe eines Ton­generators. Im Gegensatz zur menschlichen Stimme ist dieser nämlich in der Lage, die Frequenz des erzeugten Tons über eine längere Zeit exakt zu halten. Über einen Verstärker ist obendrein ein deutlich höherer Schall­druck erreichbar als mit der menschlichen Stimme. Und tatsächlich, so haben zahlreiche Unter­suchungen gezeigt, wird für die angestrebte Resonanz­katastrophe ein Schall­druck benötigt, welcher den der Stimme um das Hundert­fache übertrifft.

 

Abb. 1: Versuchs­aufbau zur Aufnahme einer Resonanz­kurve.
Abb. 1: Versuchs­aufbau zur Aufnahme einer Resonanz­kurve.

Wir möchten das Experiment nun im Kleinen durchführen und das Phänomen der Resonanz etwas genauer analysieren. Gläser gehen dabei aber ganz sicher nicht zu Bruch! Zur Durchführung unseres Experiments müssen wir zunächst die Eigen­frequenz des genutzten Glases ermitteln. Hierzu schlagen wir das Glas mit einem Holzlöffel an und stellen das Frequenz­spektrum des so entstehenden Schallsignals mit einer geeigneten App dar. Für das hier verwendete Glas finden wir einen Grundton mit 603 Hz. Möchte man das Weinglas allein mittels Schallwellen zum Schwingen anregen, sollte es mit dieser Frequenz bestmöglich gelingen.

Um dies zu überprüfen, nutzen wir ein Smartphone oder einen Tablet­computer mit Tongenerator-App. Wir haben hierzu die App Audio Kit verwendet, mit der wir Töne auf 1 Hz genau erzeugen können. Im Abstand von wenigen Zentimetern zum Weinglas beschallen wir dieses für eine kurze Zeit, schalten den Ton­generator ab und messen den Schall­druck­pegel des vom schwingenden Weinglas weiterhin erzeugten Klangs (Abbildung 1). Zum Einsatz kommt hier die kostenfreie App phyphox, die im Übrigen auch für die Tonerzeugung genutzt werden kann. Das beschriebene Vorgehen wenden wir für die Eigen­frequenz von 603 Hz an, zudem für die ganz­zahligen Frequenzen im Bereich von 593 bis 614 Hz.

 

Abb. 2: Resonanz­kurve, grafische Darstellung der Messreihe.
Abb. 2: Resonanz­kurve, grafische Darstellung der Messreihe.

Abbildung 2 zeigt die so gemessene Resonanz­kurve. Ihr können wir entnehmen, dass die Anregung des Weinglases bei der Eigenfrequenz – offensichtlich liegt diese bei 604 anstelle von 603 Hz – tatsächlich besonders gut funktioniert. Je weiter wir uns von der Eigen­frequenz wegbewegen, umso leiser schwingt das Weinglas nach dem Abschalten der Tongenerator-App weiter. Ab einer Abweichung um mindesten 20 Hz von der Eigenfrequenz findet bereits keine merkliche Schwingungs­anregung mehr statt. Auf eine Kalibrierung der App haben wir verzichtet, weil die Kenntnis der Absolut­pegel hier nicht erforderlich ist. Das hat zur Folge, dass die Schall­druck­pegel in Abbildung 2 negativ dargestellt sind, was für unser Experiment aber unerheblich ist.

Demnach müssten wir also zum Zersingen des Glases wirklich exakt dessen Eigenfrequenz treffen, nur dann kann das Glas zu starken Schwingungen angeregt und zerstört werden. Unsere Anatomie verhindert jedoch das exakte Halten einer gesungenen Frequenz über längere Zeit. Überdies würde der Schalldruck sowieso bei Weitem nicht reichen. Auch eine tonsichere Opern­sängerin kann mit ihrer Stimme das Weinglas allenfalls leicht in Schwingung versetzen. Wer auf den Geschmack gekommen ist: Eine Vielzahl weiterer Experimente rund um das Thema Wein findet sich im unten angegebenen Buch der beiden Autoren.

Patrik Vogt, Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung (ILF) Mainz; Lutz Kasper, PH Schwäbisch Gmünd

 

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