07.08.2024 • VakuumBeschleuniger

Research Facility 2.0: Nachhaltigere Teilchenbeschleuniger

Optimierte Komponenten und digitale Lösungen für Energieeffizienz und Netzstabilität in Groß-Forschungsinfrastrukturen.

Ein ressourcen­schonender Betrieb von Teilchen­beschleunigern und anderen Großanlagen ist Ziel des EU-Forschungs­projekts Research Facility 2.0 (RF 2.0). Seit Jahres­beginn arbeiten zehn europäische Projekt­partner koordi­niert vom Karlsruher Instituts für Techno­logie (KIT) an opti­mierten Kom­ponenten und digitalen Lösungen, um den Energie­verbrauch von Beschleuniger­systemen zu senken. Die Europäische Kommission (Horizon Europe) und das Schweizer Staats­sekretariat für Bildung, Forschung und Innovation fördern das Projekt mit insgesamt 5,6 Millionen Euro für drei Jahre. Das Test­feld KITTEN am KIT spielt bei RF 2.0 eine zentrale Rolle: Hier analysieren die Forschenden wichtige Kenngrößen und entwickeln realitätsnahe Demon­stratoren.

Abb.: Ressourcenschonende Technologien für künftige Beschleuniger erforscht...
Abb.: Ressourcenschonende Technologien für künftige Beschleuniger erforscht das KIT beispielsweise am Linearbeschleuniger FLUTE.
Quelle: Markus Breig, KIT

Teilchen­beschleuniger sind nicht nur in zahlreichen Forschungs­feldern wichtig, auch in industriellen Anwendungen und in der Medizin kommen weltweit Tausende Beschleuniger zum Einsatz, zum Beispiel in der Materialprüfung oder in der Strahlentherapie. Die Hochleistungs­geräte sind wahre Energie­fresser: Der jährliche Energie­verbrauch großer Anlagen kann mehrere Hundert Giga­watt­stunden (GWh) betragen. Das ist vergleich­bar mit dem Verbrauch mittel­großer europäischer Städte. Bisherige Ansätze, den Energie­verbrauch und den CO2-Fuß­abdruck von Teilchen­beschleunigern zu reduzieren oder nach­haltigere Materialien einzusetzen, konzen­trierten sich auf spezifische technische Themen. Das Projekt RF 2.0 verfolgt hingegen einen umfassenden Ansatz, um den Energie­verbrauch von Teilchen­beschleunigern zu reduzieren.

„Wir vereinen Fach­wissen aus Physik und Energie­technologie. Unsere Vision ist es, Teilchen­beschleuniger sicher, stabil sowie vollständig mit erneuer­barer Energie zu betreiben, möglichst unabhängig vom öffentlichen Strom­netz und mit weniger Aus­wirkungen auf die Umwelt“, sagt Professor Giovanni De Carne vom Institut für Technische Physik des KIT. De Carne ist Projekt­koordinator von RF 2.0 und hat das Projekt zusammen mit Professorin Anke-Susanne Müller, Leiterin des Instituts für Beschleuniger­physik und Technologie des KIT, initiiert. Zehn Partner arbeiten bei RF 2.0 zusammen, darunter fünf der größten Teilchen­beschleuniger-Einrichtungen Europas – ALBA Synchrotron (Spanien), CERN (Frankreich/Schweiz), das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg, das Helmholtz-Zentrum Berlin und das MAX IV Laboratory (Schweden) – sowie spezialisierte Technologie­unternehmen.

Ein zentrales Element des Projekts ist das Testfeld KITTEN (steht für: KIT Testfeld für Energie­effizienz und Netz­stabili­tät in großen Forschungs­infra­strukturen) mit dem Forschungs­beschleuniger KARA und dem Energy Lab am KIT. „Diese Infrastruktur ermöglicht es uns, Energie­effizienz und Netz­stabilität in großen Forschungs­infra­strukturen realitätsnah zu untersuchen und zu testen“, so De Carne. Aktuell läuft die Analysephase. „Eine Heraus­forderung ist, dass Teilchen­beschleuniger immer eine sehr hohe, konstante und störungsfreie Leistungs­versorgung benötigen und bisher hinsichtlich der Spannungs­qualitäten nicht flexibel sind. In unseren Tests versuchen wir Zusammen­hänge zu verstehen, erstellen Mitigations­strategien, also Ansätze, um negative Effekte und Kosten­analysen zu reduzieren, analysieren den CO2-Fuß­abdruck der Geräte und erstellen eine Nachhaltig­keits­matrix.“

Darauf aufbauend stehen im weiteren Projekt­verlauf das Erarbeiten von Lösungen für energieeffizientere Technologien mit besserem Wirkungs­grad auf dem Plan. Der Fokus liegt auf vier Bereichen: neue, hocheffiziente Komponenten; der Einsatz digitaler Lösungen für optimierte Betriebs­zeiten, beschleunigte Start- und Abschalt­prozesse sowie zur Verbesserung des Designs und Betriebs; die Integration kohlen­stoff­armer Technologien durch die Nutzung erneuerbarer Energien und Energie­speicher­systeme sowie mehr Flexibilität im Energieverbrauch mithilfe dynamischer Über­wachungs- und Kontroll­systeme.

In Demonstrator­projekten testen und validieren die Forschenden des KIT gemeinsam mit den Projekt­partnern konkrete Ansätze unter realis­tischen Bedingungen. „Wir arbeiten beispiels­weise an Lösungen, wie wir mithilfe von KI Beschleuniger effi­zienter und flexibler betreiben können. Zudem entwickeln wir einen digitalen Zwilling, um neue Energie­technologien künftig schneller validieren zu können“, erklärt De Carne. Eines der Projekte wird sich mit der Flexi­bilisierung von Rechen­zentren beschäftigen, um schwankende Erträge erneuerbarer Energien nutzen zu können. Ein weiteres testet Messsysteme, die Störungen im Netz erkennen und schnellere Reaktionen bei Schwankungen ermöglichen.

„All diese Forschungs­arbeiten sind stark transfer­orientiert“, so De Carne. „Ziel der jeweils beteiligten Technologie­unternehmen ist es, aus den Lösungen, an denen wir hier gemeinsam arbeiten, konkrete Produkte für den praktischen Einsatz zu entwickeln.“ Dabei beschränkt sich das Anwendungs­spektrum nicht nur auf Teilchen­beschleuniger in der Forschung. „Von unseren Konzepten profitieren auch andere energie­intensive Bereiche – von MRTs in Kranken­häusern über schwerindustrielle Anlagen in der Stahl- und Zement­herstellung bis hin zu einem effizien­teren Betrieb von Rechen­zentren.“

Derzeit entwickeln De Carne und sein Team ein offenes Dashboard des Karlsruher Forschungs­beschleunigers, um die gewonnenen Daten und Ergebnisse bestmöglich auch externen Forschenden sowie Entwick­lerinnen und Entwicklern zugänglich zu machen. Diese sehen dann in Echtzeit den Energie­verbrauch des Beschleunigers und den CO2-Fuß­abdruck sowie die Effekte durch die jeweils getesteten alternativen Lösungen.

KIT / LK


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