14.04.2025

Radikale Spintronik

Forscher zeigen Eignung des Blatter-Radikals für die Spintronik – und finden Erklärung für ein rätselhaftes Phänomen von elektrischen Schaltungen mit Radikal-Molekülen.

Spintronik soll eine schnellere und energieeffizientere Informationstechnologie ermöglichen und zugleich den nächsten Schritt der Miniaturisierung einleiten. Ein internationales Forschungsteam um Elke Scheer von der Uni Konstanz zeigte jetzt, dass das Blatter-Radikal ein aussichtsreicher Kandidat für Spintronik-Technologien sein könnte.

Abb.: Versuchsaufbau zur Erforschung des Blatter-Radikals: zwei Spitzen aus...
Abb.: Versuchsaufbau zur Erforschung des Blatter-Radikals: zwei Spitzen aus Goldatomen, zwischen denen ein einzelnes Molekül – das Blatter-Radikal – eingeklemmt ist.
Quelle: AG Scheer, U. Konstanz

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In der heutigen Informationstechnologie wird die Information mittels Elektronen gespeichert und gesteuert. Klassischerweise wird hierfür die Ladung des Elektrons als Informationsträger herangezogen: Die Information wird also darin kodiert, ob ein Kondensator aufgeladen ist oder nicht. Ein Problem dieser Technologie zeigt sich jedoch, wenn die Geräte immer kleiner werden sollen. „Alles, was mit Ladungstransport zu tun hat, erzeugt Wärme. Das verhindert, dass man weiter miniaturisieren kann“, benennt Elke Scheer die physikalische Grenzen. Je kleiner die Systeme werden, desto empfindlicher reagieren sie auf Überhitzung, wodurch nicht nur die gespeicherte Information verloren gehen kann, sondern auch die Schaltkreise zerstört werden können.

Deshalb ist die molekulare Spintronik eine gute Nachricht: Hier kann der Informationsträger so winzig wie nur ein einzelnes Molekül werden und die Information im Zustand eines einzelnen Elektrons speichern. Zugleich muss bei der Spintronik nicht etwa die Ladung transportiert werden, sondern eine andere Eigenschaft des Elektrons. „Elektronen haben nicht nur eine Ladung, sondern auch ein magnetisches Moment durch seinen Eigendrehimpuls, den Spin. Dieser hat immer dieselbe Größe, aber kann verschiedene Richtungen haben“, erläutert Scheer.

Die Spintronik zieht also nicht nur die Ladung des Elektrons heran, um Information zu kodieren und zu steuern, sondern auch seinen Spin. Der Vorteil: Man umgeht die Probleme des Ladungstransports und damit die Wärmeentwicklung. Der Nachteil: Der Spin ist hochempfindlich und man braucht geeignete Materialien, die den Informationsgehalt verlässlich speichern und wiedergeben können. Welche davon besonders für Spintronik-Anwendungen geeignet sind, ist ein wichtiges Feld der Forschung. Untersucht werden verschiedene Festkörpermaterialien, aber auch Moleküle.

Hier kommt das Blatter-Radikal-Molekül ins Spiel. Ein Radikal ist ein Atom oder Molekül mit einem freien Elektron. Dieses freie Elektron eignet sich hervorragend als Informationsträger der Spintronik. Das Problem ist nur, dass Radikale häufig sehr reaktiv sind. In den meisten Fällen geht das freie Elektron im Bruchteil einer Sekunde eine Bindung ein, wodurch das Molekül kein Radikal mehr ist – und die Information verloren geht. Gesucht ist also ein Radikal, das möglichst stabil ist und auch unter ungünstigen Bedingungen ein Radikal bleibt.

Die Forschungsgruppe um Scheer hat hierfür das Blatter-Radikal herangezogen. Dieses Radikal ist bereits seit Ende der 1960er-Jahre bekannt und ein beliebtes Modellsystem in der Chemie. „Das Blatter-Radikal ist robust und trotzdem vielseitig“, so Scheer. „Es hat die Größe eines typischen Moleküls von wenigen Nanometern, ist also für die Miniaturisierung geeignet. Zudem ist seine Reproduzierbarkeit groß: Wenn man eins davon herstellen kann, kann man auch viele davon machen.“

Scheer und ihr internationales Team haben jetzt in Theorie und Praxis nachgewiesen, dass das Blatter-Radikal für die Spintronik gut geeignet ist. Dabei wiesen sie nach, dass die magnetische Information des Blatter-Radikals gut auslesbar und auch von außen über ein Magnetfeld steuerbar ist. Es bleibt zudem stabil, zerfällt nicht über die Zeit hinweg und behält seinen magnetischen Freiheitsgrad auch unter widrigen Umständen. „Obwohl wir es in Lösung gebracht haben, in Einzelmolekülstruktur oder mit Metall in Kontakt gebracht haben – all die Effekte, mit denen man normalerweise ein Radikal kaputt bekommt“, so Scheer. Das Forschungsteam schlägt das Blatter-Radikal als Modellsystem für die weitere Spintronik-Forschung vor sowie als aussichtsreiches Molekül für Spintronik-Technologien, zum Beispiel für Photodetektoren oder thermoelektrische Anwendungen.

Das Forschungsteam identifizierte jedoch nicht nur das Blatter-Radikal als geeignetes Material für die Spintronik, sondern lösten mit ihm gewissermaßen nebenbei ein ungeklärtes Rätsel der Physik. In zahlreichen Experimenten der vergangenen Jahrzehnte stellten Forscher einen unerwarteten physikalischen Effekt bei elektrischen Schaltungen mit Radikal-Molekülen fest, nämlich einen sehr großen negativen Magnetowiderstand. Ein Magnetowiderstand bedeutet, dass der elektrische Widerstand vom Magnetfeld abhängt. Dieser Effekt wurde immer wieder bei Einzelmolekülkontakten aus Radikalen festgestellt, aber es gab bislang keine Erklärung dafür.

Anhand des Blatter-Radikals konnte das Forschungsteam jetzt diese Frage klären. Der Magnetowiderstand in diesen Systemen ist eine Folge des Kondo-Effekts, der in verschiedenen Spielarten auftritt. Unter dem Kondo-Effekt versteht man eine Wechselwirkung der Leitungselektronen mit magnetischen Störstellen, die verschiedene Auswirkungen auf den Ladungstransport haben kann. Der übliche Singulett-Kondo-Effekt bewirkt eine charakteristische Kennlinie der Kontakte. In der seltener vorkommenden Triplett-Variante kann er jedoch, wie das Team jetzt zeigen konnte, auch zu einem negativen Magnetowiderstand führen.

Die Besonderheit der Blatter-Radikal-Kontakte ist, dass darin – anders als bei den Kontakten der meisten anderen untersuchten Radikal-Moleküle – beide Effekte auftreten und dass sie zwei Spielarten desselben Phänomens sind. „Das ist für mich das wesentliche Neue: dass die unverstandenen Experimente der Vergangenheit nun erklärt werden können“, zieht Scheer ihr Fazit. Mit diesem Wissen möchte das Forschungsteam nun die unverstandenen Experimente aus den vergangenen Jahren neu aufrollen, um ein vollständigeres Bild zu gewinnen.

U. Konstanz / RK

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