Ozonschädigende Substanzen im atmosphärischen Fahrstuhl
Wie sich kurzlebige organische Chlorverbindungen global in der unteren Stratosphäre ausbreiten.
Atmosphärenphysiker der Bergischen Universität Wuppertal haben während einer Messkampagne mit dem Forschungsflugzeug HALO stark erhöhte Konzentrationen ozonabbauender Substanzen in der unteren Stratosphäre über dem Nordatlantik beobachtet und die Transportwege dieser Luftmassen bis zu ihren Ursprungsregionen am Boden analysiert. An der Studie waren auch Wissenschaftler vom Forschungszentrum Jülich und der Uni Mainz beteiligt. Die Ergebnisse belegen erstmals durch direkte Beobachtung, dass kurzlebige organische Chlorverbindungen, die hauptsächlich in Asien produziert und in die Atmosphäre abgegeben werden, im Sommer durch den asiatischen Monsun wie in einem atmosphärischen Fahrstuhl auf über 14 Kilometer Höhe transportiert und dann global in der unteren Stratosphäre weiter verteilt werden, wo sie zum Abbau der Ozonschicht beitragen.
Um der fortschreitenden Schädigung der stratosphärischen Ozonschicht entgegenzuwirken, ist die Herstellung ozonabbauender Substanzen schon seit den späten 1980er Jahren durch internationale Abkommen reguliert. Daraufhin wurde insbesondere die Produktion der sehr langlebigen und schädlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe, kurz FCKWs, fast vollständig eingestellt. Hingegen wurde die Herstellung sehr kurzlebiger chlorierter Kohlenwasserstoffe, darunter Dichlormethan und Chloroform, bis heute nicht reguliert. Da diese Substanzen in der unteren Atmosphäre, also unter acht Kilometern Höhe, binnen weniger Monate abgebaut werden, wurde bislang angenommen, dass sie nur in sehr geringen Mengen in die Stratosphäre gelangen. Allerdings hat sich die Produktion dieser beiden Substanzen in Asien, insbesondere in China, in den letzten zwanzig Jahren stark erhöht, sodass neuere Modellsimulationen der Erdatmosphäre eine starke Zunahme dieser Substanzen auch in der unteren Stratosphäre prognostizieren. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, könnte sich die erwartete Erholung der Ozonschicht in den nächsten Jahrzehnten signifikant verzögern.
Das Team unter Leitung von Michael Volk hat in den vergangenen Jahren das neue Instrument HAGAR-V entwickelt, um damit auf dem Forschungsflugzeug HALO bis 15 Kilometer Höhe direkte und räumlich hoch aufgelöste Messungen einer ganzen Reihe klimawirksamer und ozonschädigender Spurengase durchzuführen. Im Rahmen der vom Forschungszentrum Jülich und der Uni Mainz koordinierten HALO-Mission WISE wurden damit im September und Oktober 2017 vom irländischen Shannon aus über dem Nordatlantik unter anderem die Konzentrationen von Dichlormethan und Chloroform gemessen.
Bei mehreren von insgesamt 15 Messflügen wurden – gegenüber typischen Hintergrundwerten – um bis zu 150 Prozent erhöhte Konzentrationen festgestellt. Mithilfe von Berechnungen zur Luftbewegung sowie Modellsimulationen am Forschungszentrum Jülich konnte gezeigt werden, dass diese stark mit Dichlormethan und Chloroform angereicherten Luftmassen größtenteils aus bodennahen Schichten im süd- und ostasiatischen Raum stammen. Sie stiegen im Bereich des asiatischen Monsuns schnell auf über 14 Kilometer, dann langsamer noch einige Kilometer weiter in die Stratosphäre auf, bis sie östlich über den Pazifik und Nordamerika transportiert wurden und schließlich nach insgesamt sechs bis elf Wochen Transportzeit über dem Nordatlantik beobachtet wurden.
„Unsere Messungen und Analysen zeigen, wie stark die Zusammensetzung der Luft in der unteren Stratosphäre durch den asiatischen Monsun bestimmt wird und wie die globale Ausbreitung der durch den Monsun eingetragenen Luftmassen im Detail funktioniert“, erklärt Volk. „Bodennahe Luftmassen aus ganz Süd- und Ostasien, die mit Luftschadstoffen und Treibhausgasen angereichert sind, werden durch den Monsun auf direktem Weg in die untere Stratosphäre katapultiert, wo sie sich anschließend weltweit verteilen. Weil dieser Transport so schnell geht, bleibt auch bei kurzlebigen Schadstoffen wie Dichlormethan und Chloroform nicht genügend Zeit für chemischen Abbau, sodass sie die Stratosphäre fast unvermindert erreichen.“
Einen weiteren rasanten Transportweg in die Stratosphäre haben die Forscher über Zentralamerika identifiziert, hier in Verbindung mit dem nordamerikanischen Monsun oder punktuell durch Hurrikane. „Auf mehreren Flügen haben wir Luftmassen beobachtet, die wenige Wochen vorher vom Hurrikan Maria in der Karibik direkt senkrecht auf über 14 Kilometer Höhe geschleudert wurden. Danach querten sie nordöstlich in die Stratosphäre über dem Nordatlantik“, erläutert Team-Mitglied Valentin Lauther. „Anders als in Asien steht der Fahrstuhl in die Stratosphäre hier aber nicht in einer Region mit starken Emissionsquellen am Boden. Die Luft, die aus dem zentralamerikanischen Raum in die Stratosphäre gelangt, ist vergleichsweise sauber.“
Vor allem der asiatische Sommermonsun stellt also eine effiziente Kopplung der wichtigsten industriellen Quellregionen von Dichlormethan und Chloroform mit der unteren Stratosphäre dar. Die Zukunft der Ozonschicht wird damit maßgeblich von der Entwicklung der Emissionen dieser Gase im süd- und ostasiatischen Raum abhängen.
BU Wuppertal / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
V. Lauther et al.: In situ observations of CH2Cl2 and CHCl3 show efficient transport pathways for very short-lived species into the lower stratosphere via the Asian and the North American summer monsoon, Atmos. Chem. Phys. 22, 2049 (2022); DOI: 10.5194/acp-22-2049-2022 - Atmosphärenphysik, Institut für Atmosphären- und Umweltforschung, Bergische Universität Wuppertal