23.08.2023 • Atome und MoleküleBiophysik

Molekulardynamiken komplexer Proteine entschlüsseln

Hochauflösende NMR-Spektroskopie kombinert mit Computer-Simulationen liefert Einblick in räumliche Protein-Strukturen.

Proteine bestehen aus Aminosäuren, die nach Vorgabe des jeweiligen Erbguts zu langen Aminosäure­ketten verknüpft werden. Diese liegen jedoch nicht einfach wie Perlen­ketten zusammen­gerollt in den Zellen vor, sondern falten sich zu komplexen, drei­dimen­sio­nalen Strukturen. Dabei bestimmt die Faltung eines Proteins in entscheidendem Maße dessen Funktion. Aus ihr geht beispiels­weise hervor, mit welchen anderen Molekülen ein Protein in der Zelle wechsel­wirken kann. Die Kenntnis über die räumliche Struktur von Proteinen ist daher von großem Interesse für die Lebens­wissen­schaften und spielt unter anderem bei der Entwicklung von Arznei­mitteln eine Rolle.

Abb.: Ubiquitin-Dimere nehmen in Lösung mehrere ver­schie­dene...
Abb.: Ubiquitin-Dimere nehmen in Lösung mehrere ver­schie­dene struk­tu­relle Zu­stände an, von denen einige hier als Über­lage­rung ab­ge­bildet sind. (Bild: Schneider et al.)

„Leider ist die Aufklärung der räumlichen Struktur eines Proteins alles andere als trivial und die Fokussierung auf einen einzelnen Zustand nicht immer zielführend, insbesondere je wandelbarer das Protein hinsichtlich seiner Struktur ist“, so Tobias Schneider von der Uni Konstanz. Der Grund: Komplexe Proteine falten sich häufig in mehrere kompakte Unter­einheiten, Domänen genannt, die wiederum durch flexible Elemente mitein­ander verbunden sein können. Je mehr dieser flexibel verbundenen Unter­einheiten es gibt, desto mehr mögliche drei­dimen­sionale Strukturen kann ein Protein theoretisch annehmen. „So kann es passieren, dass ein Protein in Lösung, zum Beispiel im Inneren unserer Zellen, mehrere gleich­berechtigte Zustände besitzt und ständig zwischen diesen wechselt“, erklärt Schneider.

Eine einfache Momentaufnahme reicht also nicht aus, um die Struktur derartiger Multidomänen-Proteine vollständig zu beschreiben, da diese jeweils nur einen von vielen Zuständen erfassen würde. Um ein detail­liertes Bild der möglichen räumlichen Strukturen solcher Proteine zu erhalten, bedürfte es vielmehr der geschickten Kombination verschiedener Methoden. Einen entsprechenden Ansatz unter Verwendung sich gegenseitig ergänzender Methoden haben Schneider und weitere Biophysiker der Uni Konstanz jetzt vorgestellt.

„Die NMR-Spektroskopie erlaubt es zum Beispiel, Informationen über die dynamischen Eigen­schaften solcher Proteine zu gewinnen. Aufwändige Computer­simulationen geben hingegen eine gute Übersicht über die Bandbreite möglicher Faltungen“, erläutert Team-Mitglied Michael Kovermann. „Eine Lösung, welche die dynamischen und struktu­rellen Eigen­schaften von Multidomänen-Proteinen umfänglich abbildet, fehlte bisher.“ Die Forscher erarbeiteten daher einen Arbeitsablauf, der NMR-Spektroskopie und Computer­simula­tionen miteinander verknüpft, sodass Informationen zu beiden Eigen­schaften mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung gewonnen werden können.

Den Nachweis, dass die Methode funktioniert, lieferten die Forscher gleich mit. Sie untersuchten hierfür verschiedene Ubiquitin-Dimere. Diese bestehen aus zwei Einheiten des Proteins Ubiquitin, die durch eine flexible Bindung miteinander verknüpft sind, ähnlich wie es auch in der Zelle vorkommt. Es handelt sich also um ein Parade­beispiel für ein Multidomänen-Protein, für das bisher unter­schied­liche Struktur­modelle vorgeschlagen wurden und das von großem wissen­schaftlichen Interesse ist.

Die Forscher konnten zeigen, dass die untersuchten Ubiquitin-Dimere eine hohe strukturelle Variabilität aufweisen und dass diese mit der entwickelten Methoden­kombination detailliert beschrieben werden kann. Somit erklären die Ergebnisse auch die unter­schied­lichen Struktur­modelle, die für Ubiquitin-Dimere bislang existieren.

„Wir sind überzeugt, dass unser Ansatz – die Kombination sich ergänzender Methoden – nicht nur bei Ubiquitin-Dimeren, sondern auch bei anderen Multidomänen-Proteinen funktioniert“, so Schneider. „Damit eröffnet unsere Studie neue Wege zu einem besseren Verständnis der hohen Struktur­vielfalt, die diesen komplexen Proteinen innewohnt und eine entscheidende Rolle für ihre biologischen Funktionen spielt.“

U. Konstanz / RK

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