Moleküle beim Tunneln erwischt

Durchbruch für die Modellierung von Tunnelreaktionen in der Molekülforschung.

Quanteneffekte können in chemischen Reaktionen eine wichtige Rolle spielen. Physiker um Roland Wester von der Uni Innsbruck haben jetzt zum ersten Mal eine quanten­mechanische Tunnel­reaktion, die theoretisch auch exakt beschrieben werden kann, experimentell beobachtet. Mit ihrer Studie liefern die Wissenschaftler eine wichtige Referenz für diesen fundamentalen Effekt in der Chemie. Es handelt sich dabei um die langsamste Reaktion mit geladenen Teilchen, die je beobachtet wurde.

Abb.: Manche Deuterium-Ionen (blau) durch­brechen beim Zusammen­stoß mit...
Abb.: Manche Deuterium-Ionen (blau) durch­brechen beim Zusammen­stoß mit einem Wasser­stoff-Molekül (gelb) die ener­ge­tische Barriere und reagieren. Nur bei einem von hundert Milliarden Zusammen­stößen kommt es zu diesem Quanten­tunneln. (Bild: H. Ritsch, U. Innsbruck)

Tunnelreaktionen in der Chemie lassen sich nur sehr schwer vorhersagen. Die quanten­mechanisch exakte Beschreibung von chemischen Reaktionen mit mehr als drei Teilchen ist schwierig, mit mehr als vier Teilchen nahezu unmöglich. Theoretiker simulieren diese Reaktionen mit klassischer Physik und müssen Quanten­effekte dabei vernach­lässigen. Wo aber liegt die Grenze dieser klassischen Beschreibung von chemischen Reaktionen, die nur Näherungen liefern kann?

Schon lange wollte Wester diese Grenze ausloten. „Es braucht dafür ein Experiment, das sehr präzise Messungen erlaubt und quanten­mechanisch noch beschrieben werden kann“, sagt der Experimental­physiker. „Die Idee dazu kam mir vor 15 Jahren im Gespräch mit einem Kollegen bei einer Konferenz in den USA“, erinnert er sich. Wester wollte dem quanten­mechanischen Tunnel­effekt in einer sehr einfachen Reaktion nachspüren. Da der Tunneleffekt die Reaktion sehr unwahr­scheinlich und damit langsam macht, war ihre experimentelle Beobachtung außer­ordentlich schwierig. Nach mehreren Anläufen gelang seinem Team dies jetzt aber zum ersten Mal.

Das Team wählte für sein Experiment Wasserstoff. Die Forscher brachten Deuterium in eine Ionenfalle ein, kühlten es ab und füllten die Falle anschließend mit Wasserstoff. Aufgrund der sehr tiefen Temperaturen fehlt den negativ geladenen Deuterium-Ionen die Energie, um auf konventionelle Weise mit den Wasserstoff-Molekülen zu reagieren. In sehr seltenen Fällen kommt es beim Zusammenstoß der beiden dennoch zu einer Reaktion.

Ursache dafür ist der Tunneleffekt. „Die Quanten­mechanik erlaubt es, dass Teilchen aufgrund ihrer quanten­mechanischen Wellen­eigen­schaften die energetische Barriere durchbrechen und es zu einer Reaktion kommt“, erklärt Robert Wild von der Uni Innsbruck. „In unserem Experiment geben wir möglichen Reaktionen in der Falle circa 15 Minuten Zeit und bestimmen dann die Menge der entstandenen Wasserstoff-Ionen. Aus deren Anzahl können wir ableiten, wie oft es zu einer Reaktion gekommen ist.“

Theoretische Physiker hatten 2018 errechnet, dass es dabei nur in einem von hundert Milliarden Stößen zum Quantentunneln kommt. Das deckt sich sehr gut mit den jetzt gemessenen Werten und bestätigt nach 15 Jahren Forschungs­arbeit erstmals ein präzises theoretisches Modell für den Tunneleffekt in einer chemischen Reaktion.

Es gibt weitere chemische Reaktionen, hinter denen die Wissenschaft den Tunneleffekt vermutet. Nun liegt erstmals eine Messung vor, die auch theoretisch gut verstanden wird. Darauf aufbauend kann die Forschung einfachere theoretische Modelle für chemische Reaktionen entwickeln und diese an der nun erfolgreich demonstrierten Reaktion testen. Durch Einbeziehung des Tunneleffekts sind auch manche astro­chemische Synthesen von Molekülen in inter­stellaren Dunkelwolken erklärbar. Das Experiment von Westers Team legt damit die Grundlage für ein besseres Verständnis vieler chemischer Reaktionen.

U. Innsbruck / RK

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