21.02.2023 • BiophysikMedizinphysikLaser

Medikamente mit Licht an- und abschalten

Freie-Elektronen-Röntgenlaser und Synchrotron-Lichtquelle geben Photopharmakologie einen kräftigen Schub.

Mithilfe des Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlasers SwissFEL und der Synchrotron-Lichtquelle Schweiz SLS hat ein inter­nationales multi­disziplinäres Team aus Physikern, Chemikern und Biologen Prozesse sichtbar gemacht, die der Entwicklung einer neuen Art von Medikamenten einen entscheidenden Schub geben könnte. Den Fortschritt erzielten die Forscher auf dem Gebiet der Photo­pharmako­logie. Diese Disziplin entwickelt Wirkstoffe, die sich gezielt mit Licht aktivieren oder inaktiveren lassen. Photo­pharmako­logische Medikamente sind mit einem molekularen Lichtschalter versehen. Der Wirkstoff wird mit einem Lichtimpuls erst dann aktiviert, wenn er an der Stelle im Körper angekommen ist, wo er wirken soll. Und wenn seine Aufgabe erledigt ist, lässt er sich mit einem anderen Lichtimpuls auch wieder ausschalten. Damit, so die Hoffnung, könnten sich Neben­wirkungen einschränken und die Entstehung von Resistenzen reduzieren lassen.

Abb.: Jörg Standfuss (links) und Maximilian Wranik an der...
Abb.: Jörg Standfuss (links) und Maximilian Wranik an der Experi­mentier­station Alvra des Schweizer Freie-Elektronen-Röntgen­lasers SwissFEL, an der die Unter­suchungen zur Photo­pharma­ko­logie durch­ge­führt wurden. Lang­fristig sollen damit Medi­ka­mente ent­wickelt werden, die sich per Licht an- und ab­schalten lassen. (Bild: M. Fischer, PSI)

Für ihre Untersuchung haben die Wissen­schaftler um Maximilian Wranik und Jörg Standfuss vom Paul-Scherrer-Institut den Wirkstoff Combreta­statin A-4 verwendet, der aktuell in klinischen Studien als Mittel gegen Krebs getestet wird. Er bindet an das Protein Tubulin, aus dem sich Mikrotubuli zusammen­setzen. Diese bilden das Grundgerüst einer Körperzelle und treiben außerdem die Zellteilung voran. Combreta­statin A-4, kurz CA4, destabilisiert die Mikrotubuli und kann so die unkontrollierte Teilung von Krebszellen eindämmen, also das Tumorwachstum bremsen.

Das modifizierte CA4-Molekül ist um eine Brücke aus zwei Stickstoff­atomen ergänzt, die es besonders lichtaktiv macht. Im inaktivierten Zustand hält diese Azobrücke die Molekülbestandteile, die sie verbindet, gestreckt zu einer länglichen Kette. Auf den Lichtimpuls hin biegt sich die Verbindung und bringt beide Kettenenden näher zueinander. Das Entscheidende dabei: In der lang gestreckten Form passt das Molekül nicht in die Bindetaschen des Tubulins – das sind Vertiefungen an der Protein­ober­fläche, an denen das Molekül andockt, um seine Wirkung zu entfalten. In der gebeugten Form jedoch passt es gut hinein. Derartige Moleküle, die in entsprechende Bindetaschen passen, werden auch als Ligand bezeichnet.

Die Vorgänge dabei gehen aber weit über das einfache Schlüssel-Schloss-Prinzip hinaus, wie das Team jetzt zeigen konnte. „Anders als es in den Lehrbüchern steht, verhalten sich sowohl der Schlüssel als auch das Schloss dynamisch und ändern ständig ihre Form“, sagt Wranik. „Das gesamte Protein ist alles andere als statisch.“ Oft sind die Bindetaschen nur halb geöffnet, der Ligand bleibt nur kurz hängen und löst sich wieder, bevor er seine Wirkung voll entfalten kann. Oder es geschieht ein „induced fit“: Der Ligand verformt die Tasche so, dass er sich darin gut einrichten und länger dort aufhalten kann.

Die Forscher konnten beobachten, wie sich der Ligand in der Bindetasche nach dem Ausschalten wieder von der gebogenen in die gestreckte Form verwandelt und wie die Tasche sich an diese Form bis zu einem gewissen Grad anpasst, bevor der Ligand sich wieder löst. Danach fällt die Bindetasche in sich zusammen und bildet sich mit der Zeit von selbst wieder neu. Klar ist: Je besser der Ligand passt, desto länger bleibt er angedockt. Jedenfalls bietet die genaue Kenntnis dieser Vorgänge, die nun erstmals sichtbar gemacht wurden, die Möglichkeit, neue Wirkstoffe passgenauer zu gestalten, sodass sich Bindedauer und damit die Wirksamkeit eines Medikaments verbessern lässt.

Die Vorgänge spielen sich allerdings auf atomarer Ebene binnen Millisekunden ab. Um sie dennoch zu beobachten, haben die Forscher die Synchrotron-Lichtquelle Schweiz und den Schweizer Freie-Elektronen-Röntgenlaser verwendet. Sie ermöglichen es, in den winzigen Zeit- und Größenskalen nicht nur einzelne Aufnahmen, sondern ganze Bilderserien anzufertigen, die sich zu einem Film montieren lassen. „Wir haben neun Schnappschüsse zwischen einer Nanosekunde und hundert Millisekunden nach dem Ausschalten des Wirkstoffs gemacht“, sagt Standfuss. In diesem Zeitraum spielen sich die photo­biologisch relevanten Vorgänge ab. Unter anderem analysierte sein Team mithilfe der SLS die Struktur der beteiligten Moleküle bis in den atomaren Bereich, und mithilfe des SwissFEL maß es die Vorgänge bis auf hundert Femtosekunden genau.

Die Möglichkeit, photoaktive Wirkstoffe bei der Arbeit zu filmen, eröffnet aber auch schon innerhalb der Medizin die Chance, viele weitere wichtige Erkenntnisse zu gewinnen. „Natürlich wollen wir uns ebenfalls den genauen Ablauf nach dem Anschalten des Wirkstoffs ansehen“, sagt Standfuss. „Das ist allerdings etwas komplizierter – daher gehen wir das erst im nächsten Schritt an.“ Außerdem betrachtet die Studie nur eine von vielen bekannten Bindetaschen des Tubulins. Und schon diese eine dient nicht nur Krebs­medika­menten als Andock-Station.

Auch die Wirkstoffe Colchicin, das gegen Gicht und andere entzündlich-rheumatische Erkrankungen eingesetzt wird, und der noch in Entwicklung befindliche neue Covid-19-Arzneistoff Sabizabulin binden an die gleiche Tasche. Man könnte mit der neuen Methode also auch andere Wirkstoffe oder andere Taschen betrachten. Die Hoffnung sei, dass sie der klinischen Forschung helfen wird, für verschiedenste Erkrankungen wirksamere Therapien zu entwickeln, sagt Standfuss: „Mithilfe unserer Groß­forschungs­anlagen wollen wir der Struktur­bestimmung von Wirkstoffen eine neue zeitliche Dimension eröffnen, um sie noch besser verstehen und optimieren zu können.“

PSI / RK

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