Laser lassen die Kernuhr präzise ticken
Kernuhren und der Weg zu ihrer Realisierung sind Titelthema der neuen „Physik in unserer Zeit“.
Cornelia Denz
Albert Einstein beantwortete die Frage nach der Zeit kurz und knapp: „Zeit ist, was die Uhr anzeigt“. Was also ist eine Uhr? Sie ist ein Messgerät, das die Abfolge von Ereignissen in regelmäßigen zeitlichen Abständen misst. Dazu dient ein periodischer Referenzvorgang: Er zählt die Zahl der Schwingungen ab einem Zeitpunkt. Je kleiner die Messintervalle und je höher die Schwingungsfrequenz, desto genauer die Uhrzeit.
Schon für Carl Friedrich Gauß bildete die Sekunde die Grundlage dieser Zeitmessung. Historisch waren die ersten Referenzschwingungen für die Sekunde die Rotation der Erde, die Schwingungen mechanischer Pendel und später die Eigenschwingungen eines Quarzkristalls. Die Suche nach schnelleren Schwingungen in der Natur führte schließlich zur Eigenschwingung von Elektronen in Cäsium-Atomen, die mit Mikrowellen getaktet werden konnten. Damit entstand die quantenphysikalische Definition der Sekunde.
Wie kommt nun der Laser ins Spiel? Er ist der Taktgeber in optischen Atomuhren. Lichtschwingungen sind jedoch mit einigen 100 THz so schnell, dass erst durch die Entwicklung von Femtosekunden-Frequenzkämmen die Zählung optischer Frequenzen möglich wurde. Optische Uhren sind etwa 100-mal genauer als die besten Cäsium-Fontänenuhren. Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) hat mit einem gefangenen Ytterbium-Ion eine der genauesten optischen Uhren der Welt entwickelt, mit einer relativen Unsicherheit von wenigen 10-18. Würde sie seit dem Urknall ticken, ginge sie heute erst eine Sekunde falsch. Optische Uhren eröffnen zahlreiche neue Anwendungen, insbesondere für die hochauflösende Geodäsie und die Klimaforschung. Zudem können sie fundamentale physikalische Fragen zur Relativitätstheorie oder zur Konstanz von Naturkonstanten klären.
Dennoch bleiben fundamentale Fragen offen, da auch optische Atomuhren auf elektromagnetischen Übergängen zwischen Energieniveaus eines Atoms beruhen. Eine neue Art von Uhr könnte auf Schwingungen im Atomkern basieren. Sie könnte alle fundamentalen Kräfte der Natur untersuchen, einschließlich der starken und schwachen Kernkraft, und so zur Erforschung der Natur der dunklen Materie beitragen. Eine solche Uhr wäre präziser und robuster als die derzeit besten optischen Atomuhren, erfordert jedoch bisher energiereiche Röntgen- oder Gammastrahlung. Diesen Weg beschreiben Ralf Röhlsberger und Kollegen ab Seite 168 der neuen „Physik in unserer Zeit“ für den Kern des Elements Scandium-45.
Seit vielen Jahren wird nach einem Kern gesucht, der direkt mit Laserlicht angeregt werden könnte. 2003 schlugen Christian Tamm und Ekkehard Peik von der PTB vor, den Kern von Thorium-229 als Basis für eine superstabile Kernuhr einzusetzen. Dieser besitzt einen Anregungszustand, der von energiereichem Laserlicht angesprochen werden kann. Allerdings glich die Suche nach der passenden, hochgenauen Frequenz, um diesen Kernübergang optisch zu treffen, einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Nachdem eine Gruppe am CERN das schwache Fluoreszenzlicht nachweisen konnte, das angeregte Thorium-Kerne beim Zerfall in den Grundzustand abstrahlen, konnte die Anregungswellenlänge genauer eingegrenzt werden. Jetzt musste noch ein Weg gefunden werden, um den Thoriumkern besser für Laserlicht zugänglich zu machen. Peter G. Thirolf und Kollegen beschreiben ab Seite 176 der neuen Ausgabe, welche Ansätze dazu vielversprechend sind.
Einem Team um Ekkehard Peik, PTB, und Thorsten Schumm, TU Wien, gelang es, 1017 Thorium 229-Kerne in einen Kalziumfluorid-Kristall einzubetten – eine Million Mal mehr Kerne, als es Sterne in unserer Galaxie gibt. Dies erhöhte die Wahrscheinlichkeit, den Übergang zweifelsfrei zu detektieren, enorm. Das Team wendete noch einen weiteren Trick an: Es erzeugte die genaue Übergangsfrequenz im fernen ultravioletten Spektralbereich durch Frequenz-Aufwärtskonvertierung in einem eigens dafür entwickelten, abstimmbaren Laser. Anfang dieses Jahres gelang dem Team so der Durchbruch: Sie konnten den Thorium-229-Kern mit Laserstrahlung von 148,3821(59) nm zu einem Quantensprung anregen und seine Rückkehr in den Ausgangszustand präzise detektieren detektieren (J. Tiedau et al., Phys. Rev. Lett. 132, 182501, 2024) – ein herausragender Meilenstein auf dem Weg zur Kernuhr.
Das nukleare, laserbasierte Frequenznormal könnte zu einer zehnfachen Verbesserung der Genauigkeit im Vergleich zu den besten Atomuhren führen. Zudem könnte es als Quantensensor für Phänomene der starken Wechselwirkung fundamentale physikalische Phänomene jenseits des Standardmodells der Teilchenphysik aufklären oder ultraleichte Kandidaten für Dunkle Materie identifizieren. Die Verbindung von Quantenphysik und Kernphysik eröffnet ein neues, vielversprechendes Forschungsfeld: die optische Kernphysik. Wir dürfen also auf zukünftige Entwicklungen der Kernuhr gespannt sein.
DE
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
R. Röhlsberger et al.: Der Weg zur Scandium-45-Kernuhr – Präzisionsmetrologie mit harter Röntgenstrahlung, Physik in unserer Zeit 55(4), 168 (2024); DOI: https://doi.org/10.1002/piuz.202401705
P. G. Thirolf et al.: Mehr als ein hochgenauer Zeitmesser – Thorium-229-Kernuhren für ultragenaue Zeitmessung und Quantensensorik, Physik in unserer Zeit 55(4), 176 (2024); DOI: https://doi.org/10.1002/piuz.202301696 - Juli-Ausgabe von „Physik in unserer Zeit“