07.10.2022 • Quantenphysik

Kibble-Zurek-Mechanismus gilt auch für Quanten-Phasenübergänge

Methoden aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz beantworten fundamentale Frage der Quantenphysik.

Ein internationales Forscher­team hat erstmals eine wichtige theoretische Vorhersage der Quantenphysik – den quanten­mecha­nischen Kibble-Zurek-Mechanismus – bestätigt. Die Berechnungen dazu sind so komplex, dass sie bislang selbst Super­computer über­forderten. Den Forschern gelang es jedoch, sie mit Methoden aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz deutlich zu verein­fachen. Die Studie verbessert das Verständnis funda­men­taler Gesetz­mäßig­keiten der Quanten­welt.

Abb.: Schema­tische Dar­stel­lung der Dyna­mik bei einem...
Abb.: Schema­tische Dar­stel­lung der Dyna­mik bei einem Phasen­über­gang in einem zwei­dimen­sio­nalen Spin-1/2-Modell. (Bild: M. Schmitt, U. Köln)

Die Bewegung einer einzelnen Billard­kugel zu berechnen ist einfach. Die Bahn von unzähligen Gasteilchen in einem Gefäß vorher­zusagen, die permanent aufein­ander prallen, gebremst und abgelenkt werden, ist schon erheblich schwieriger. Noch schwieriger wird es, wenn von jedem Gasteilchen gar nicht genau klar ist, wie schnell es sich bewegt, es also zu jedem Zeitpunkt zahllose mögliche Geschwindig­keiten innehaben könnte, die sich nur in ihrer Wahrschein­lichkeit unter­scheiden. So aber sieht es in der Welt der Quanten aus: Quanten­mechanische Teilchen können alle potenziell möglichen Eigen­schaften gleich­zeitig innehaben.

Das macht den Zustandsraum quanten­mecha­nischer Systeme groß. Will man simulieren, wie Quanten­teilchen mitein­ander inter­agieren, muss man ihre kompletten Zustands­räume berück­sichtigen. „Und das ist extrem komplex“, erläutert Markus Heyl von der Uni Augsburg. „Der Rechen­aufwand steigt exponen­tiell mit der Anzahl der Teilchen. Bei mehr als vierzig Teilchen ist er bereits so groß, dass sich selbst die schnellsten Super­computer daran die Zähne ausbeißen. Das ist eine der großen Heraus­forde­rungen der Quanten­physik.“

Um das Problem zu verein­fachen, nutzte Heyls Gruppe künstliche neuronale Netze. Mit ihnen lässt sich der quanten­mechanische Zustand umformu­lieren. „Dadurch wird er für den Computer hand­habbar“, so Heyl. Mit dieser Methode haben die Wissen­schaftler den quanten­mechanischen Kibble-Zurek-Mechanismus untersucht. Er beschreibt das dynamische Verhalten von physika­lischen Systemen an einem Quanten­-Phasen­übergang.

Beispiel für klassische Phasen­über­gänge sind der Übergang von Wasser zu Eis und die Demagne­ti­sierung eines Magneten bei hohen Temperaturen. Geht man den umgekehrten Weg und kühlt das Material wieder ab, dann bildet sich der Magnetismus unterhalb einer bestimmten kritischen Temperatur wieder aus. Allerdings geschieht das nicht gleichmäßig über das gesamte Material. Statt­dessen entstehen gleich­zeitig viele kleine Magnete mit unter­schied­lich ausge­richteten Nord- und Südpolen. Der entstehende Magnet ist also ein Mosaik vieler verschiedener kleinerer Magnete: Er enthält Defekte.

Der Kibble-Zurek-Mechanismus sagt voraus, wie viele dieser Defekte zu erwarten sind, also aus wie vielen Mini­magneten sich das Material schließlich zusammen­setzt. Was dabei besonders interessant ist: Die Anzahl dieser Defekte ist universell und damit unabhängig von mikro­sko­pischen Details. Demnach verhalten sich viele verschiedene Materialien, auch wenn komplett unter­schiedlich zusammen­gesetzt, identisch. Es gibt aber eine Sorte von Phasen­über­gängen, für die man die Gültigkeit des Mechanismus noch nicht über­prüfen konnte – nämlich die Quanten­-Phasen­übergänge. „Sie existieren nur am absoluten Temperatur-Nullpunkt von -273 Grad Celsius“, erklärt Heyl. „Der Phasen­übergang findet also nicht bei Abkühlung statt, sondern durch Änderungen der Wechsel­wirkungs-Energie.“

Die Wissenschaftler haben nun einen solchen Quanten­-Phasen­übergang am Super­computer simuliert. Dabei konnten sie erstmals zeigen, dass der Kibble-Zurek-Mechanismus auch in der Quantenwelt gilt. „Das war zuvor keineswegs ausgemacht“, betont Heyl. „Unsere Studie erlaubt es, die Dynamik quanten­mecha­nischer Systeme vieler Teilchen besser zu beschreiben und damit die Regeln genauer zu verstehen, die in dieser exotischen Welt herrschen.“

U. Augsburg / RK

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