Abbremsen für neuen Schwung
Die ESA-Sonde Juice (Jupiter Icy Moons Explorer) hat den weltweit ersten Vorbeiflug an Mond und Erde erfolgreich absolviert.
Alexander Pawlak
Fast ist es Routine, dass Sonden im Schwerefeld von Planeten Schwung nehmen, um Ziele im Sonnensystem zu erreichen. Um direkt zum Jupiter und seinen Monden zu gelangen (und rechtzeitig wieder abzubremsen), müsste die ESA-Sonde Juice (Jupiter Icy Moons Explorer) ansonsten viele Tonnen Treibstoff an Bord haben. Stattdessen nimmt die im April 2023 gestartete Sonde eine „touristische“ Route durch das Sonnensystem. Ziel ist Jupiter mit seinen vier größten Monden: Juice soll vor allem den größten Mond Ganymed beobachten und nach Hinweisen auf lebensfreundliche Bedingungen suchen.
Das Missionsanalyse-Team hat in den vergangenen 20 Jahren für Juice eine komplexe, sich ständig weiterentwickelnde Route zum Jupiter geplant. Seit ihrem Start hat Juice bereits über eine Milliarde Kilometer zurückgelegt und nun die erste Etappe mit dem Vorbeiflug an Mond und Erde am 19. und 20. August erfolgreich absolviert.
Die engste Annäherung an den Mond erfolgte am 19. August um 23:15 Uhr MESZ und führte Juice etwas mehr als 24 Stunden später, um 23:56 Uhr MESZ am 20. August, zur bisher engsten Annäherung an die Erde. Als Juice gerade einmal 6840 km über Südostasien und dem Pazifik flog, nahmen die Überwachungskameras an Bord eine Reihe von Bildern auf und acht der zehn Instrumente sammelten wissenschaftliche Daten.
Der ESA ist damit eine echte Premiere gelungen, weil sie als erste Weltraumorganisation ein solches LEGA-Manöver (Lunar Earth Gravity Assist) durchgeführt hat. „Der Vorbeiflug war einwandfrei, alles verlief reibungslos, und wir waren begeistert, dass Juice der Erde so nahe kam“, sagt Ignacio Tanco, Raumfahrzeug-Betriebsleiter für die Mission.
Ziel war es, die Flugbahn von Juice im Weltraum umzulenken: Die Schwerkraft des Mondes verringerte zunächst die Geschwindigkeit relativ zur Sonne um 0,9 km/s, die der Erde anschließend um weitere 4,8 km/s. Insgesamt lenkte der Vorbeiflug am Mond und an der Erde die Sonde um einen Winkel von 100° im Vergleich zur vorherigen Flugbahn um.
Der von Natur aus riskante Vorbeiflug erforderte eine hochpräzise Echtzeitnavigation, sparte der Mission aber rund 100 bis 150 Kilogramm Treibstoff. Das Europäische Weltraum-Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt überwachte und steuerte das Manöver zwischen dem 17. und 22. August rund um die Uhr.
Der Vorbeiflug an Mond und Erde bot den Instrumententeams zudem eine erstklassige Testumgebung, um erstmals Daten von einer realen Oberfläche im Weltraum zu sammeln und zu analysieren. Für einige Instrumente ist dies die einzige Gelegenheit, während Juices gesamter achtjähriger Reise zum Jupiter bestimmte Messungen vorzunehmen. Das gibt den Wissenschaftler:innen und Ingenieur:innen die Möglichkeit, ihre Instrumente zu kalibrieren und verbleibende Probleme zu lösen, etwa beim Radar zur Erforschung eisiger Monde (RIME).
Die RIME-Daten stört ein elektronisches Rauschen an Bord. Während der größten Annäherung an den Mond hatte RIME acht Minuten Zeit, um allein zu beobachten, während die anderen Instrumente entweder ausgeschaltet oder in den Ruhemodus versetzt waren. Basierend auf diesen Beobachtungen wird das RIME-Team an einem Algorithmus arbeiten, um das Problem zu beheben.
Nach den Vorbeiflügen wird Juice im August 2025 mit einem ähnlichen Manöver an der Venus beschleunigt werden. Danach folgen zwei Nahvorbeiflüge an der Erde im September 2026 und im Januar 2029. So beschleunigt, verlässt Juice das innere Sonnensystem und wird sein Ziel im Juli 2031 erreichen.
Der Orbiter wird in der ersten Missionsphase 35 nahe Vorbeiflüge an den drei großen Eismonden Kallisto, Europa und Ganymed absolvieren. Insbesondere gilt es zu erforschen, ob diese Monde aufgrund der auf ihnen vorhandenen großen Wassermengen möglicherweise Voraussetzungen für Leben bieten. Juice wird dafür ihre verborgenen Ozeanreservoirs untersuchen, ihre Eishüllen kartieren und ihr Inneres erforschen.
Jeder der Monde ist auf seine Weise interessant: Kallisto ist eine uralte Welt, die das frühe Jupitersystem repräsentiert. Europa scheint eine junge und aktive Oberfläche zu haben, die Wasser in den Weltraum abgibt. Ganymed ist nicht nur der größte Mond des Sonnensystems, sondern generiert auch ein eigenes Magnetfeld. Der Vulkanmond Io kann wegen der hohen Strahlungsintensität nahe am Jupiter nur aus der Ferne beobachtet werden.
In der zweiten Missionsphase wird Juice 2034 und 2035 vom Planetenorbit in eine Umlaufbahn um Ganymed gelenkt, dem größten Mond im Sonnensystem. Dank eines einwandfreien Ariane-5-Starts im April 2023 hat Juice etwas mehr Treibstoff in den Tanks, um Ganymed näher zu kommen als ursprünglich geplant. Der Erfolg des Vorbeiflugs am Mond und an der Erde hat diesen wissenschaftlichen Bonus gesichert.
Weitere Infos
- JUICE – Erkundung von Jupiter und seinen Monden (DLR)
- Juice – Jupiter Icy Moons Explorer (ESA)
- Auf einen Blick: Fragen & Antworten zur europäischen Jupitermission (DLR)
Weitere Beiträge
Meist gelesen
Später starten mit mehr Dynamik
Beim Fusionsexperiment ITER hat der „Start of Research Operations“ künftig höchste Priorität.
Letztes Segment für den weltgrößten Teleskopspiegel gegossen
Wichtiges Modul für das Extremely Large Telescope in der Atacama-Wüste geht auf die Reise.
Tote Fische schwimmen (fast) besser
Am Massachusetts Institute of Technology wurden die diesjährigen Ig Nobel Prizes verliehen.
Pionier der Lasertheorie gestorben
Der theoretische Physiker Hermann Haken, Begründer der Synergetik, ist im Alter von 97 Jahren gestorben.
Gibt es ein Quant der Entropie?
Die Rolle von Wärme in der Quantenwelt ist Titelthema in der neuen „Physik in unserer Zeit“.