21.02.2019 • Geophysik

Immer auf Achse!

Jules Verne und die moderne Geophysik

In Jules Vernes Roman „Kein Durcheinander“ wollen ein paar technisch und mathematisch begabte Sonderlinge die Erdachse aufrichten. Wahrscheinlich wurde der berühmte Autor damals von den Ergebnissen des Ersten Internationalen Polarjahrs inspiriert.

Jules Vernes Roman „Kein Durcheinander“ von 1889 handelt von dem verwegenen Plan, die um rund 23 Grad geneigte Erdachse aufzurichten. Hinter dieser ver-rückenden Idee steckt der Gun-Klub Baltimore in den USA. Genau gesagt: der überragende Mathematiker J. T. Maston, dessen Berechnungen so treffsicher in den beiden Romanen „Von der Erde zum Mond“ (1865) und der „Reise um den Mond“ (1870) waren. Also, ein Wiedersehen mit alten Bekannten: „Es erscheint uns kaum notwendig, Impey Barbicane, den Vorsitzenden des Gun-Klubs von Baltimore, den Kapitän Nicholl, ferner J. T. Maston, Tom Hunter mit den Holzbeinen, den immer hüpfenden Bilsby, den Oberst Bloomsberry … einzeln und förmlich vorzustellen“.

Und jetzt: eine neue Herausforderung für altgediente, ein wenig gelangweilte Artilleristen! Sie planen, mit einer überdimensionalen Kanone am Fuß des Kilimandscharo ein Riesenprojektil abzufeuern (daher ist der Roman in Deutschland auch unter dem Titel „Der Schuss am Kilimandscharo“ bekannt). Dabei soll ein hochbrisanter Sprengstoff eingesetzt werden, jenes von Kapitän Nicholl erfundene „Meli-Melonit“, dessen „Sprengkraft drei, oder viertausendmal größer war, als die der gewaltigsten, für den Krieg berechneten Stoffe“. Der dabei entstehende Rückstoß würde die Erdachse aufrichten, so jedenfalls das Ergebnis des „Rechenmeisters“ J. T. Maston. Wozu das Ganze?

Es locken riesige Steinkohlevorkommen, die unter dem Gletschereis des Nordpols vermutet werden. Allerdings müsste das Eis erst schmelzen, um an die Kohle zu kommen. Dieses kleine Problem soll durch die Verlagerung des Nordpols um 23 Grad nach Süden gelöst werden. Und das ungeachtet der Befürchtungen und bangen Fragen der übrigen Menschheit, „welche Continente sich in Meere und welche Meere sich in Continente verwandeln“ könnten.

Abb. Beim „Rückprall“ ihres „ungeheuren Feuerschlundes“ sollte sich...
Abb. Beim „Rückprall“ ihres „ungeheuren Feuerschlundes“ sollte sich die Erdachse nach den Berechnungen „jenes Zahlenthieres J. T. Maston“ aufrichten.

Ein pennälerhafter Rechenfehler von J. T. Maston lässt den Plan letztlich grandios scheitern. Der ist daraufhin untröstlich, „weil seine Kanone auf das Erdsphäroid nicht mehr Wirkung hervorgebracht hatte, als eine harmlose Feuerwerks-Rakete!“ Nach dem altbekannten Motto „Ende gut, alles gut“ stellt der Erzähler auf der letzten Seite fest: „Es scheint so, dass die Bewohner der Erdkugel in Frieden schlummern können. Die Bedingungen, unter denen sich die Erde bewegt, zu verändern, das übersteigt weit die menschlichen Kräfte, es kommt dem Menschen eben nicht zu, an der Ordnung der Dinge, die der Schöpfer für das Weltall festgestellt hat, etwas zu verändern.“

Jules Verne sah viele technische Entwicklungen voraus. Was er allerdings nicht ahnte, war ein Messgerät, mit dem J. T. Maston sofort hätte feststellen können, ob sich nach dem Abfeuern der Riesenkanone die Erdachse aufgerichtet hätte. So musste er ungeduldig warten: „Wie verlangte es ihn danach, einige Tage älter zu sein, um eine Veränderung der Sonnenbahn wahrnehmen zu können als unbestreitbaren Beweis der gelungenen Operation.“

Ein solches geodätisches Messgerät gibt es heutzutage in Gestalt eines Ringlasers. Das Geodätische Observatorium Wettzell ist eine von sieben Fundamentalstationen weltweit und gehört unter dem Dach des Bundesamts für Kartografie und Geodäsie in Frankfurt am Main zum Netz des IERS (International Earth Rotation and References Systems Service mit Sitz in Paris). Dort, im Bayerischen Wald, misst der weltweit einzigartige Ringlaser G die Erdrotation. Ein Helium-Neon-Laser und eine quadratische Anordnung von vier Spiegeln in einem geschlossenen Strahlengang, der eine Fläche von 16 Quadratmetern einschließt, stellen den grundsätzlichen Aufbau dieses Ringlasers dar. Das Gehäuse bildet die gegen Temperaturschwankungen nahezu unempfindliche Glaskeramik Zerodur der Firma Schott in Mainz.

Mehr über Jules Vernes Roman und die heutigen geophysikalischen Erkenntnisse über Schwankungen der Erdachse erfahren Sie in dem Originalartikel, der in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen ist. Sie finden ihn hier zum freien Download. 

Originalveröffentlichung

ErnstMichael Stiegler, Immer auf Achse! Jules Verne und die moderne Geophysik, Phys. Unserer Zeit 50(1), 24 (2019); https://doi.org/10.1002/piuz.201901529

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