Im Kollektiv erfolgreich: Schwarmverhalten von Mini-Robotern untersucht
Studie zeigt Weg zur Realisierung von programmierbarer aktiver Materie auf.
Winzige Roboter könnten perspektivisch im medizinisch-pharmazeutischen Bereich Arzneistoffe an die Körperstellen transportieren, wo sie direkt gebraucht werden. Die Grundlagen für derartige Techniken werden auch in der Physik gelegt. So haben Physiker der Uni Mainz sich mit einem neuen Ansatz befasst, bei dem ein Kollektiv von Mini-Robotern untersucht und ihr Verhalten analysiert wurde. Die theoretische Basis dafür liefern Erkenntnisse über die Schwarmbildung. Die Ergebnisse weisen einen weiteren Weg auf, wie programmierbare Materie realisiert werden könnte.
Um Aufgaben auf Ebene der Mikro- und Nanostrukturen zu erfüllen, sucht die Wissenschaft nach neuen Wegen – zumal die weitere Miniaturisierung von Geräten oder Bauteilen an Grenzen stößt. Ein neues Prinzip wäre es, anstatt nur einen Roboter mit einer Aufgabe zu betrauen, ein ganzes Kollektiv darauf anzusetzen. „Ein einzelner Mini-Roboter hat wegen seiner Größe nur begrenzte Fähigkeiten, um eine Aufgabe zu bearbeiten“, erklärt Thomas Speck von der Uni Mainz. „Aber ein Kollektiv von Robotern, die zusammenarbeiten, könnte diese Aufgabe vielleicht sehr gut bewältigen.“ An diesem Punkt kommt die statistische Physik ins Spiel, die mit Modellen das Verhalten von aktiven Teilchen beschreibt – vergleichbar mit dem Verhalten von Vogelschwärmen.
Das Forschungsteam hat dazu das kollektive Verhalten von kleinen, kommerziell erhältlichen Robotern untersucht. Diese Walker werden von Vibrationen angetrieben und bewegen sich dadurch auf zwei Reihen von Beinchen vorwärts. Weil Länge, Form und Steifigkeit der Beine von Roboter zu Roboter leicht unterschiedlich sind, erfolgt die Bewegung auf kreisförmigen Bahnen mit einem charakteristischen Radius, der für jeden Walker spezifisch ist. Die Roboter, deren Aussehen und Bewegung an kleine Käfer erinnert, haben eine elliptische Form und richten sich bei Kontakt aneinander aus.
„Unser Ziel war es, das kollektive Verhalten zu untersuchen und zu beschreiben und dadurch auch den möglichen Nutzen festzustellen“, sagt Frank Siebers von der Uni Mainz. „Aber als Physiker sind wir zunächst an den Phänomenen an sich interessiert.“ Dem Forschungsteam fielen zwei Effekte auf, die eintreten, wenn sich die Roboter in ihren Beinen leicht unterscheiden, also die Gruppe eine größere Diversität zeigt. Erstens benötigen die Walker weniger Zeit, um den Raum zu erkunden, waren also schneller. Und zweitens sortieren sie sich, wenn sie durch eine Wand eingegrenzt werden: Je nach Bewegungsradius kleben die Mini-Roboter an der Wand oder sammeln sich im Inneren.
„Dieses Verhalten könnte man ausnutzen, beispielsweise wenn die Roboter eine Fracht transportieren sollen und dazu mit der Fracht wechselwirken. Dann würde das Tempo, mit dem sie den Raum erkunden, zunehmen und die Fracht könnte in der Folge schneller geliefert werden“, beschreibt Speck eine mögliche Anwendung. „Die statistische Physik kann uns hier also neue Einsichten vermitteln, welche Effekte ein Kollektiv von Robotern ausnutzen kann.“
Das Teilgebiet, das sich mit aktiver Materie befasst, betrifft viele Bereiche der belebten und unbelebten Welt, in denen kollektives Verhalten oder kollektive Bewegungen erfolgen, zum Beispiel auch das Verhalten von Vogelschwärmen. „Das theoretische Verständnis, wie die Schwarmbildung funktioniert, wenden wir hier auf robotische Systeme an“, beschreibt Siebers die Arbeiten.
JGU Mainz / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
F. Siebers et al.: Exploiting compositional disorder in collectives of light-driven circle walkers, Sci Adv. 9, eadf5443 (2023); DOI: 10.1126/sciadv.adf5443 - Statistical Physics and Soft Matter Theory, Institut für Physik, Johannes Gutenberg-Universität Mainz