Historische Astronomie-Aufnahmen vollständig digitalisiert
Fast 4,5 Milliarden Messungen aus digitalisierten Fotoplatten stehen Forschern weltweit zur Verfügung.
In den Archiven vieler Sternwarten lagern unzählige Fotoplatten mit astronomischen Aufnahmen, die teilweise älter als 130 Jahre sind. Neben dem kulturhistorischen Wert stellen diese Fotoplatten für die heutige Forschung einen wahren Schatz dar. Denn die Platten und gerade Plattenserien zeigen die Bewegung oder die Entwicklung der Helligkeit von Sternen zum Teil über viele Jahrzehnte hinweg. Phänomene, die damals noch nicht wissenschaftlich verstanden waren, wurden über lange Zeiträume beobachtet und können jetzt untersucht werden. Vor zehn Jahren begannen Forscher der Universität Hamburg gemeinsam mit einem Forschungsverbund, astronomische Fotoplatten-Archive hochauflösend zu digitalisieren, online zu veröffentlichen und so für die aktuelle Forschung nutzbar zu machen. Nach insgesamt 121.860 Scans von 94.090 Fotoplatten konnte das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Projekt jetzt erfolgreich abgeschlossen werden.
Wenn heute ein Stern zu einer Supernova wird, kann man in den Archiven nachsehen, wie sich der Stern in den Jahrzehnten zuvor verhalten hat. Der wissenschaftlichen Anwendung sind keine Grenzen gesetzt. „Natürlich ist die Präzision der Aufnahmen nicht vergleichbar mit heutigen, modernen Messmethoden, aber die Genauigkeit der digitalisierten Fotoplatten wäre zu den Zeiten, als sie gemacht wurden, absolut unvorstellbar gewesen“, sagt Detlef Groote von der Hamburger Sternwarte der Universität Hamburg.
Bereits seit 2010 wurden an der Hamburger Sternwarte historische Fotoplatten aufwändig eingescannt, mit wichtigen Metadaten, wie Aufnahmedatum, Himmelsabschnitt und Aufnahmebedingungen verknüpft und in einer Datenbank gespeichert. Aufgrund der langen Scanzeiten und riesigen Datenmengen ging es aber nur sehr schleppend voran. „Ich hatte abgeschätzt, dass ich allein, bei etwa 35.000 Fotoplatten in verschiedensten Größen, nur für das Scannen zwanzig bis dreißig Jahre benötigen würde“, so Groote.
Deshalb tat sich die Sternwarte 2012 mit dem Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam, der Uni Erlangen-Nürnberg und der Universität Tartu in Estland im Rahmen des Projekts „Archives of Photographic Plates for Astronomical Use – kurz APPLAUSE – zu einem Forschungsverbund zusammen. Hinzu kamen technische Innovationen, wie eine in Potsdam und Tartu entwickelte Software mit künstlicher Intelligenz, um Staub und Kratzer auf den digitalen Aufnahmen zu erkennen, auszusondern und eine Kalibrierung mit den aktuellen Katalogen etwa vom Gaia-Satelliten durchzuführen, um sie mit aktuellen Messdaten vergleichbar zu machen. „Mithilfe mehrerer Mitarbeiter und ehrenamtlichen Helfern ging es dann doch viel schneller und inzwischen sind es sogar 45.000 Fotoplatten, die wir digitalisiert haben“, sagt Groote, der das Projekt an der Hamburger Sternwarte geleitet hat.
Dank wissenschaftlicher Publikationen und Konferenzen wurden weitere Sternwarten auf das Projekt aufmerksam und stellten ihre eigenen digitalisierten Archive für die Datenbank von APPLAUSE zur Verfügung, wie beispielsweise der Vatikan, der am Sommersitz des Papstes in Castel Gandolfo ein astronomisches Observatorium unterhält. Nach mehr als zehn Jahren wurden nun im Rahmen von APPLAUSE fast 4,5 Milliarden Messungen aus den digitalisierten Fotoplatten gewonnen, kalibriert und publiziert. Die Daten stehen Forschern weltweit zur Verfügung und sind Teil des internationalen Virtuellen Observatoriums.
U. Hamburg / RK
Weitere Infos
- APPLAUSE – Archives of Photographic Plates for Astronomical Use, Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam
- International Virtual Observatory Alliance
- Hamburger Sternwarte, Universität Hamburg