Heinrich-Wieland-Preis 2022 verliehen
Xiaowei Zhuang für ihre superauflösenden bildgebenden Methoden und die damit erzielten Ergebnisse ausgezeichnet.
Xiaowei Zhuang von der Harvard University erhält den diesjährigen Heinrich-Wieland-Preis der Boehringer-Ingelheim-Stiftung in Höhe von 100.000 Euro für ihre brillanten bildgebenden Verfahren, mit denen sie bahnbrechende Entdeckungen in der Zell- und Neurobiologie gemacht hat. Ihre Methode STORM zeigt Strukturen in lebenden Zellen Strukturen von nur hundert Atomen Breite und die ebenfalls von ihr entwickelte Methode MERFISH zeigt, wo genau in einer Zelle welche Gene aktiv sind – und das für bis zu zehntausend Gene gleichzeitig. In den vergangenen 16 Jahren haben Zhuang und andere Forscher in aller Welt mit diesen Methoden bereits wertvolle Einsichten in komplexe biologische Vorgänge erzielt. Zhuang wurde den Heinrich-Wieland-Preis während einer feierlichen Zeremonie am 6. Oktober in München überreicht.
STORM – kurz für Stochastische optische Rekonstruktions-Mikroskopie – ist eines der ersten Verfahren in der Lichtmikroskopie, welches die Beugungsgrenze des Lichts umgeht. Zwar gab es auch schon vorher Methoden, die deutlich unter dieser Grenze arbeiten können, wie die Elektronenmikroskopie. Allerdings kann man damit – im Gegensatz zur Lichtmikroskopie – keine lebenden, intakten Zellen oder Gewebe untersuchen. Mit konventionellen Lichtmikroskopen kann man Strukturen von einer Größe von zweihundert Nanometern sichtbar machen – das entspricht der Größe eines Grippevirus. Das superauflösende Verfahren STORM hingegen zeigt Strukturen von nur zehn Nanometern, so groß wie hundert aufgereihte Atome oder ein durchschnittliches Protein. STORM ermöglicht es daher, einzelne Proteine zu beobachten, wie sie im dicht gepackten Inneren von lebenden Zellen ihren Aufgaben nachgehen.
„Was die Errungenschaften von Zhuang so einzigartig macht, ist, dass sie nicht nur brillante Technologien entwickelt hat, sondern diese selbst genutzt und Entdeckungen in der Zell- und Neurobiologie gemacht hat, die die Lehrbücher verändern werden“, sagt F.-Ulrich Hartl, der Vorsitzende des Auswahlkomitees für den Heinrich-Wieland-Preis. „So hat sie zum Beispiel in Nervenzellen einen neuen Teil des Zellskeletts entdeckt, dessen Existenz niemand bis dahin auch nur vermutete. Heute wissen wir, dass er in den Gehirnen von so unterschiedlichen Wesen wie Fadenwürmern und Menschen vorkommt.“ Die Struktur ähnelt einem Gitterkäfig. Sie stabilisiert besonders die langen Fortsätze der Nervenzellen und ist wichtig für die Weiterleitung von Signalen. „Diese bemerkenswerte Struktur ist sicherlich eine der aufsehenerregendsten Entdeckungen, die bisher mit superauflösenden Mikroskopen gemacht wurden“, fügt Hartl hinzu.
Während man mit STORM eine kleine Anzahl verschiedener Moleküle bis ins Detail untersuchen kann, ermöglicht Zhuangs Methode MERFISH die Aktivität von mehr als hunderttausend verschiedenen Genen in einer Zelle gleichzeitig abzubilden. MERFISH steht für die englische Abkürzung von Mehrfach fehlerrobuste Fluoreszenz-In-Situ-Hybridisierung. Mit dieser Methode kann man herausfinden, welche der vielen Gene in einem Augenblick in der Zelle aktiv sind, und das in Millionen von Einzelzellen eines Gewebes wie dem Gehirn.
Zhuang hat mit MERFISH Profile für die Aktivität einer Vielzahl von Genen im Gehirn erstellt. So entstand eine hochauflösende dreidimensionale Karte des Gehirns, die zeigt, wie verschiedene Typen von Nervenzellen räumlich und funktionell im Gehirn angeordnet sind. Dadurch entdeckte Zhuang Hunderte neuer Zelltypen und identifizierte markante Unterschiede zwischen Mäuse- und Menschengehirnen.
Sowohl STORM als auch MERFISH sind unschätzbar wertvolle Methoden für die Wissenschaft und werden weltweit bereits in vielen Forschungs- und Industrielaboren eingesetzt. So ist MERFISH zum Beispiel eine der Schlüsseltechnologien für den Human Cell Atlas, einer weltweiten Initiative mit dem Ziel, alle Zellen im menschlichen Körper zu kartieren und auf molekularer Ebene zu beschreiben. Auf dieser Grundlage hoffen Forscher, den gesunden menschlichen Körper besser zu verstehen und so Krankheiten genauer diagnostizieren und gezielter behandeln zu können.
BIS / RK
Weitere Infos
- Heinrich-Wieland-Preis, Boehringer-Ingelheim-Stiftung, Mainz
- Zhuang Research Lab, Harvard University, Cambridge, USA