30.10.2018 • VakuumMesstechnikPhotonik

Eine neue Art, fast nichts zu messen

NIST-Prototypen-Design ermöglicht mit ultrakalten, eingeschlossenen Atomen eine absolute Druckmessung im UHV und XHV.

Viele Halbleiter­hersteller und For­schungs­labore stehen unter zu­nehmen­dem Druck – aus­gerech­net ausge­hend vom Vakuum. Neue Techno­logien und Pro­zesse er­for­dern immer niedri­gere Drücke. Mittler­weile arbeiten Vakuum­kammern, in denen die Mikro­chip­her­steller völlig frei von Ver­un­reini­gun­gen Schritt für Schritt eine Reihe ultra­dünner Schichten ab­scheiden, auf etwa einem Hundert­millionstel des Luft­drucks auf Meeres­höhe, und einige An­wen­dungen benötigen einen noch einmal mindestens tausend­fach niedri­geren Druck – das sind dann schon Welt­raum­verhält­nisse.



Abb.: Design des neuen NIST-Vakuum;sensors p-CAVS mit weiterentwickel;ter...
Abb.: Design des neuen NIST-Vakuum;sensors p-CAVS mit weiterentwickel;ter magneto-optischer Falle (MOT) für Lithiumatome im Zentrum des Aufbaus. (Bild: Daniel Barker/NIST)

Das Messen und Regeln der Druck­verhältnisse ist unter diesen Bedingun­gen ein anspruchs­volles Unter­fangen, bei dem Genauigkeit von ent­schei­dender Bedeutung ist. Die aktuelle Techno­logie basiert in der Regel auf Ioni­sations-Vakuum­metern, einer indirekten Druck­messung mittels elek­tri­scher Größen, die zu der Anzahl der Restgas­partikeln im Volumen propor­tional sind. Diese Geräte erfordern eine regel­mäßige Kali­brierung und sind nicht verein­bar mit den neuen welt­weiten Be­mühun­gen, das Inter­natio­nale Ein­heiten­sys­tem (SI) auf funda­mentale, un­ver­änder­liche Konstan­ten und Quanten­phäno­mene zu stützen.

Wissenschaftler des National Institute of Standards and Technology (NIST) haben jetzt ein Vakuum­messgerät entwickelt, das klein genug ist, um es in gängigen Vakuum­kammern ein­zu­setzen, und das darüber hinaus die Quantum-SI-Kriterien erfüllt. Das bedeutet, die Messung hängt von grundlegenden Natur­konstanten ab, das Gerät erfordert keine Rekalibrierung, gibt die korrekte Rest­gas­menge – oder gar keine – an und hat eine für die An­wendung geeignete definierte Mess­genau­igkeit.

Die neue Druckmessung, auch als Cold-Atom-Vacuum-Standard (CAVS) bezeichnet, arbeitet mit kalten, in Laserlicht fluoreszierenden Litiumatomen. Deren Anzahl im Messgerät hängt von der Restgasmenge, also dem Druck, in der angeschlossenen Vakuumkammer ab und kann über die Messung der Fluoreszenz bestimmt werden.

Im Detail verläuft die Messung so, dass nach erfolgtem Druck­ausgleich zwischen Vakuum­kammer und CAVS-Gerät Lithium­atome in die Mess­kammer einge­bracht werden. Laser­licht verlang­samt die Bewegung der Lithium­atome, so dass diese von einer Kombi­nation aus Laser­licht und Magnet­feldern erfasst werden können. Bei diesem Einfangen fluores­zieren die Atome und emittieren Licht in alle Rich­tungen. Ein Teil des emittierten Lichts wird von einem Detektor erfasst.

Jedes Mal, wenn ein kaltes Atom von einem der wenigen Atome oder Mole­küle getroffen wird, die sich noch in der Vakuum­kammer bewegen, treibt die Kolli­sion das Lithium­atom aus der Falle und verringert die Menge des emittierten Fluo­res­zenz­lichts. Eine Kamera zeichnet das Dimmen auf. Je schneller das Licht dimmt, desto mehr Rest­gas­teilchen befinden sich in der Vakuum­kammer, so dass der Fluo­res­zenz­wert ein empfind­liches Maß für den Druck ist.

Abb.: Prinzip der Druckbestimmung mittels Cold-Atom-Vacuum-Standard (CAVS): Die...
Abb.: Prinzip der Druckbestimmung mittels Cold-Atom-Vacuum-Standard (CAVS): Die in die Messkammer eingebrachten, im Laserlicht (pinke breite Pfeile) fluoreszierenden Litium-atome (pinke Kugeln) werden in einer magneto-optischen Falle (Magnetfeldlinien blau) gehalten bis sie durch Stöße mit Restgasteilchen (hellblaue Kugeln) aus dieser entfernt werden. Die Intensität der Fluoreszenz nimmt dabei ab. (Bild: Sean Kelley/NIST)

Das neue tragbare System ist das Ergebnis eines NIST-Projekts zur Entwicklung eines Tabletop Cold-Atom-Vacuum-Standard (CAVS), mit dem Messungen der grundlegenden atomaren Eigen­schaften durchgeführt werden sollen. Während das CAVS zu groß und ungeeignet für den Einsatz außerhalb des Labors ist, ist die tragbare Version – das p-CAVS – als Ersatz für bestehende Vakuum­messgeräte konzipiert.

„Bisher hat niemand darüber nach­gedacht, wie man ein solches Kaltatom-Vakuum­mess­gerät minia­turisieren kann und welche Un­sicher­heiten damit ver­bun­den sind", sagt Stephen Eckel, einer der Projekt­wissen­schaftler, der im Sep­tember sein Design in der Zeit­schrift Metrologia beschrie­ben hat. „Wir ent­wickeln nun ein neues System, das möglicher­weise die heute auf dem Markt befindlichen Sen­soren ersetzen könnte." Einzelne Kom­po­nen­ten werden zurzeit getestet, und in naher Zukunft wird ein funktio­nierender Proto­typ erwartet.

Das NIST-Design verwendet eine neu entwickelte Variante einer Grund­technik der Atom­physik: die magneto-optische Falle (MOT). In einer typischen MOT gibt es sechs Laser­strahlen – zwei gegen­über­liegende Strahlen auf jeder der drei Achsen. Atome in der Falle werden ver­lang­samt, wenn sie Impulse von Laser-Photonen mit genau der richtigen Energie­menge absor­bieren und die Bewegung der Atome dämpfen. Um sie an der gewünsch­ten Stelle einzu­grenzen, enthält die MOT ein vari­ierendes Magnetfeld, dessen Stärke in der Mitte Null ist und mit zu­neh­mender Entfernung nach außen zunimmt. Atome in höher gele­genen Bereichen sind anfälliger für Laser-Photonen und werden daher nach innen geschoben.

Das neue tragbare p-CAVS verwendet nur einen einzigen Laser­strahl. Ein Beugungs­gitter teilt das Licht in mehrere Strahlen auf, die aus verschiedenen Winkeln kommen. „Das traditionelle Ein­bringen von Laser­strah­len aus sechs verschiedenen Rich­tun­gen macht diese Experi­mente wirklich un­hand­lich groß und erfordert viele optische Komponenten", sagt Daniel Barker, ein weiterer NIST-Projekt­wissen­schaftler. „Jetzt brauchen wir nur noch einen Laser­strahl. Das Beugungs­gitter liefert dann alle Strahlen, die man zum Schließen der MOT und Einfangen der Atome benötigt."

In der Falle liegt die Temperatur der Atome nur noch wenige Tausend­stel eines Grades über dem absoluten Null­punkt. In diesem Zustand werden sie dann von umgebenden Mole­külen getroffen, vor allem von Wasser­stoff – dem domi­nierenden Restgas in auf Ultrahoch- (UHV-) oder Extremhoch- (XHV-) Vakuum herunter­ge­pump­ten Vakuum­kammern.

Zu den Vorteilen gehören: Die Wechsel­wirkungs­dynamik zwischen Lithiuma­tomen und Wasser­stoff­molekülen lässt sich aus den physika­lischen Grund­gesetzen genau berechnen. „Dies ermöglicht es, ein Primär­mess­gerät her­zu­stellen, das nicht kali­briert werden muss“, erklärt Eckel. „Zu­dem hat Lithium bei Raum­tem­pe­ra­tur einen außer­gewöhnlich niedrigen Dampf­druck (d.h. es hat eine geringe Neigung, in einen gas­för­migen Zustand überzugehen). Typischer­weise wird das Atom also einen einzigen Durchgang durch die MOT-Region machen, und wenn es nicht gefangen ist, trifft es auf eine Wand und bleibt dort für immer. Mit Rubi­dium oder Cäsium, die bei Raum­tem­peratur relativ hohe Dampf­drücke aufweisen, beschichtete man schließlich die Wände der Vakuum­kammer mit so viel Rubidium- oder Cäsium­metall, dass die Beschich­tungen anfangen, Atome abzugeben und das Vakuum zu verschlechtern.“

Darüber hinaus bleibt der Dampf­druck von Lithium auch bei 150 Grad Celsius niedrig, der typischen Ausbacktemperatur von UHV- und XHV-Kammern – einem das Ab­pumpen vor­bereiten­den Schritt, um Wasser­schichten von den Edel­stahl­komponenten der Kammer zu entfernen. Diese Standard­technik kann also auch bei Anschluss des neuen Mess­gerätes angewendet werden.

UHV- und XHV-Um­gebungen „sind ein kritischer Teil der Infra­struktur in der fort­schritt­lichen Ferti­gung und Forschung, von Gravitations­wellen­detektoren bis hin zur Quanten­informatik“, sagt James Fedchak, der das Projekt leitet. „CAVS wird der erste Absolut­sensor sein, der in diesem Druckregime arbeitet. Derzeit nutzen Ingenieure und Wissenschaftler oft das Experiment oder den Prozess selbst, um den Druck zu bestimmen.“

„p-CAVS wird es Forschern und Her­stellern ermöglichen, das Vakuum­niveau vor Beginn des Ex­peri­ments oder Prozesses genau zu bestim­men“, sagte Fedchak. „Darüber hinaus gestattet das Gerät auch die genaue Messung extrem geringer Drücke – also von Werten, die in Bereichen wie der Quanten­informatik immer wichtiger werden.“

NIST / LK

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