Eindeutiger als eindeutig
Die Weltklimakonferenz steht im Zeichen des bedrückenden 6. IPCC-Reports. Die neue „Physik in unserer Zeit“ erläutert dessen wissenschaftliche Bedeutung.
Einmal mehr haben wir einen Sommer der Wetter- und Klimaextreme erlebt. Hitzewellen und Trockenheit in Mittel-, Süd und Westeuropa, Ende Sommer dann die Hitze in Kalifornien und China und die verheerenden Fluten in Pakistan. Der Sommer 2022 hat uns auch vor Augen geführt, was solche Wetterextreme für die Gesellschaft bedeuten: gesundheitliche Beeinträchtigungen bis hin zu möglicher Übersterblichkeit, eingeschränkte Wasserverfügbarkeit und verheerende Waldbrände, um nur einige zu nennen. Dass die Zunahme solcher Wetterextreme die Folge des menschgemachten Klimawandels ist, darüber besteht schon lange kein Zweifel mehr. Die wissenschaftlichen Grundlagen dazu sind längst vorhanden.
Bereits Ende der 1970er-Jahre erschien ein breit abgestützter Bericht eines Expertengremiums zum Thema Kohlendioxid und Klimawandel. Der Schlussfolgerung, dass sich die Erde bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration um 2 bis 3.5 °C erwärmen würde, wurde damals kaum widersprochen. In den 1980er-Jahren wurde die Klimafrage vor allem in den USA politisiert, während sie gleichzeitig als globales Umwelt- und Nachhaltigkeitsproblem in den Vordergrund rückte. In diesem Zusammenhang, wurde 1988 der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) gegründet. Bereits zwei Jahre später, auch als Grundlage für die Rio-Konferenz von 1992, veröffentlichte der IPCC den ersten Sachstandsbericht.
Im Abstand von einigen Jahren lieferte der IPCC seither neue Sachstandsberichte. Deren Zusammenfassung durchläuft anschließend ein Genehmigungsverfahren, an welchem die Regierungen von 195 Ländern beteiligt sind. Letztlich müssen die Zusammenfassungen einstimmig abgesegnet werden. Durch diese politische Legitimation werden sie zu zentralen Entscheidungsgrundlagen. Derzeit wird der sechste Sachstandsbericht (auch AR6 genannt) erarbeitet. Die Berichte zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen (Arbeitsgruppe 1), zu Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit (Arbeitsgruppe 2) und zur Minderung des Klimawandels (Arbeitsgruppe 3) wurden in den letzten Monaten vorgestellt. Ausstehend ist noch der Synthesebericht, der vermutlich Anfang 2023 erscheinen wird.
An den Abschätzungen zur zukünftigen Klimaerwärmung hat sich über die Berichte hinweg wenig geändert. Allerdings haben sich die gesellschaftlichen Fragestellungen verschoben, vom mittleren globalen Klima zu Wetter- und Klimaextremen, von einfachen Temperaturtrends zu detaillierten lokalen Klimawirkungen und zur Wirksamkeit von Maßnahmen. Auf allen Stufen konnte die Unsicherheit reduziert werden. Was den Einfluss des Menschen auf das Klima betrifft, hat sich die Formulierung von „die Faktenlage deutet darauf hin“ bis „der Einfluss des Menschen ist eindeutig“ gewandelt.
In diesem Heft berichtet Jochem Marotzke über seine Arbeit am sechsten Sachstandsbericht. Er war als koordinierender Leitautor für das Kapitel „Zukünftiges globales Klima“ verantwortlich. Sein Beitrag vermittelt nicht nur zentrale wissenschaftliche Inhalte zum Klimawandel. Der Artikel zeigt vor allem auch, wie die Klimawissenschaft funktioniert und wie echte Fortschritte zustande kommen können. Am Beispiel der Klimasensitivität – der Klimaerwärmung als Folge einer Verdoppelung des CO2-Gehalts der Luft für ein sich im Gleichgewicht befindendes Klimasystem – zeigt Marotzke, wie durch Zusammenarbeit vieler Forschungsgruppen und durch die statistische Kombination vieler einzelner Studien eine beträchtliche Reduktion der Schätzunsicherheit im Vergleich zu früheren Sachstandsberichten erreicht werden konnte. Interessanterweise hat sich die beste Schätzung des Wertes selbst, 3 °C, kaum verändert. In einem zweiten Beispiel illustriert Marotzke, wie durch den Einsatz von vereinfachten Nachbildungen, sogenannten Emulatoren, Klimamodelle besser verglichen werden können.
Die Beispiele portraitieren Klimaforschung als ein kollektives Unternehmen. Fortschritte werden oft durch gemeinsame Initiativen vorangetrieben, aber es braucht auch brillante Köpfe. Die beiden Beispiele zeigen aber vor allem eindrücklich, dass Wissenschaft eben nie stehen bleibt. Es bleibt nur zu hoffen, dass auch die Politik nicht stehen bleibt.
Stefan Brönnimann