Die Universalität des freien Falls
Radioastronomen testen Relativitätstheorie mit exotischem Dreifach-Stern.
Neutronensterne und weiße Zwerge bewegen sich in einem Schwerefeld mit der gleicher Beschleunigung. Das konnte jetzt ein internationales Forscherteam anhand der Bewegung des Pulsars PSR J0337+1715 zeigen, eines Neutronensterns in einem ungewöhnlichen Dreifachsternsystem mit zwei weißen Zwergen als Begleiter. Das durch die Verknüpfung von Radioteleskop-Beobachtungen mit den Resultaten von Gravitationswellendetektoren erhaltene Ergebnis bedeutet die bisher beste Überprüfung einer der fundamentalen Vorhersagen der allgemeinen Relativitätstheorie: Die Schwerkraft zieht alle Objekte mit der gleichen Beschleunigung an, unabhängig von deren Zusammensetzung, Dichte oder Stärke des eigenen Gravitationsfelds.
Der Pulsar PSR J0337+1715 ist ein Neutronenstern von 1,44 Sonnenmassen, der sich 366 Mal pro Sekunde um die eigene Achse dreht und dabei regelmäßige Radiopulse dieser Frequenz Richtung Erde sendet. Das Forscherteam unter der Leitung von Guillaume Voisin vom Jodrell Bank Centre for Astrophysics in Großbritannien hat mit dem Nançay-Radioteleskop in Frankreich die Ankunftszeiten der Radiopulse von PSR J0337+1715 über einen Zeitraum von acht Jahren genau vermessen. Als Ergebnis können die Wissenschaftler zeigen, dass Neutronensterne und weiße Zwerge sich mit einer Genauigkeit von zwei Teilen pro Million mit gleicher Beschleunigung in einem Schwerefeld bewegen.
Diese Universalität des freien Falls bildet die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. „Die Bestätigung mit dieser Genauigkeit stellt einen der bisher überzeugendsten Tests überhaupt für Einsteins Theorie dar – und die Theorie besteht den Test mit Bravour“, sagt Voisin. „Das bedeutet, dass für alternative Theorien der Schwerkraft, die in Konkurrenz zur allgemeinen Relativitätstheorie zum Beispiel zur Erklärung der dunklen Energie vorgeschlagen werden, enge Grenzen gesetzt werden.“
Die höchste Genauigkeit bei der Überprüfung der Universalität des freien Falls konnte bisher mit einem speziell dafür entwickelten französischen Satelliten namens Microscope erreicht werden. Die kleinen Prüfmassen im Inneren des Satelliten zeigen eine identische Beschleunigung im Schwerefeld der Erde bis zu einer Genauigkeit von 1 zu 100 Billionen.
Da Experimente wie der Microscope-Satellit die Universalität des freien Falls mit derart hoher Genauigkeit bestätigen konnten, haben die meisten Gravitationstheorien diese als Grundvoraussetzung integriert. Das heißt, dass alle diese Theorien die Gravitation als geometrisches Phänomen beschreiben, das aus der Krümmung der Raumzeit resultiert. Die anderen Theorien unterscheiden sich von der allgemeinen Relativitätstheorie nur dadurch, wie die Raumzeit durch die Massen großer Objekte verbogen wird, was sich durch radioastronomische Beobachtungen von Neutronensternen besonders gut testen lässt.
Obwohl also alle Theorien vorhersagen, dass kleine Objekte sich mit identischer Beschleunigung im gleichen Gravitationsfeld bewegen, ist der Sachverhalt nicht mehr so einfach, wenn es sich statt kleiner Körper um astronomische Objekte mit großer Masse handelt, die durch die Gravitation selbst zusammengehalten werden. In diesem Fall vermittelt die allgemeine Relativitätstheorie das einfachste Bild, dass nämlich die Universalität des freien Falls auch für solche selbstgravitierenden Objekte gilt, während viele alternative Theorien zur Gravitation Abweichungen von einer universellen Beschleunigung vorhersagen.
Diese Abweichungen vergrößern sich in der Regel in dem Maß, mit dem die Raumzeit durch die Masse des Objekts selbst verkrümmt wird. Für Objekte wie die Erde, die Sonne und selbst weiße Zwergsterne ist das Maß der Raumkrümmung ziemlich klein. Im Vergleich dazu ist die Raumkrümmung bei Neutronensternen Millionen bis Billionen mal stärker. In Gravitationstheorien, die eine Verletzung der Universalität des freien Falls in Bezug auf die Eigengravitation der Objekte vorhersagen, ist das Ausmaß dieser Verletzung im Fall von Neutronensternen generell wesentlich stärker als bei allen anderen Objekten.
Im Jahr 2014 entdeckten Radioastronomen, dass der Pulsar PSR J0337+1715 zusammen mit zwei weißen Zwergen ein Dreifachsternsystem bildet. Dieses System stellt ein ideales Labor dar, um die Universalität des freien Falls für einen Neutronenstern zu überprüfen. Durch die systematische Erfassung der Bewegung des Pulsars aufgrund seiner Radiosignale konnte nun ein hochpräziser Test durchgeführt werden, der zeigt, ob der Pulsar sich mit der gleichen Beschleunigung im Gravitationsfeld des äußeren Weißen Zwergs bewegt wie der benachbarte innere weiße Zwerg.
Der neue Test verbessert frühere Untersuchungen des gleichen Systems in zweifacher Hinsicht. Zum einen liefert er einen schärferen Grenzwert für einen Unterschied in der Schwerebeschleunigung zwischen Pulsar und innerem weißen Zwerg, zum anderen verwendet er Ergebnisse zu den Eigenschaften von Neutronensternen, die sich aus der vernichtenden Kollision zweier Neutronensterne ergeben, die mit den LIGO/VIRGO-Gravitationswellenobservatorien beobachtet werden konnte. „Der zweite Aspekt ist besonders wichtig in Hinblick auf die Abgrenzung der allgemeinen Relativitätstheorie zu alternativen Gravitationstheorien“, erklärt Team-Mitglied Norbert Wex vom MPI für Radioastronomie.
MPIfR / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
G. Voisin et al.: An improved test of the strong equivalence principle with the pulsar in a triple star system, Astron. Astroph. 638, A24 (2020); DOI: 10.1051/0004-6361/202038104 - Pulsars and Time Domain Astrophysics, Jodrell Bank Centre for Astrophysics, University of Manchester, Großbritannien
- Radioastronomische Fundamentalphysik, Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn