Attosekunden-Stoppuhr für Kristalle
Dynamik beweglicher Elektronen in Festkörpern mit zuvor unerreichter Zeitauflösung gemessen.
Wenn sich Elektronen durch Festkörper bewegen, können sie mit anderen Elektronen interagieren, wodurch sich ihre Dynamik ändert. Aufgrund der winzigen Elektronenmasse laufen die relevanten Vorgänge sehr schnell ab. Einem Forscherteam der Uni Regensburg und University of Michigan ist es jetzt erstmals gelungen, die ultraschnelle Bewegung freier Elektronen in Festkörpern mit der Präzision von wenigen hundert Attosekunden zu verfolgen. Diese Auflösung reicht aus, um kleinste Änderungen in der Dynamik von Elektronen durch Anziehung anderer Ladungsträger oder komplexe Vielteilchenkorrelationen zu untersuchen.
Um die Bewegung von Elektronen auf derart kurzen Zeitskalen zu vermessen, entwickelten die Forscher eine neuartige Attosekunden-Stoppuhr. Als Unruh dient die schwingende Trägerwelle von Licht. Das Lichtfeld beschleunigt Elektronen in Halbleiterproben erst in eine Richtung, um sie nach Umpolen der Feldrichtung anschließend mit den Lücken, von denen sie entfernt wurden, zu rekollidieren. Dabei wird Licht emittiert. Die Kollisionen laufen nicht immer gleich wahrscheinlich ab, sondern hängen davon ab, zu welchem Zeitpunkt des beschleunigenden Lichtfelds ein Elektron seine Bewegung beginnt.
Die Forscher vermaßen diesen Kollisionspfad zeitlich genauer als ein Hundertstel der Lichtschwingungsperiode und konnten so zeigen, wie unterschiedlich starke Anziehung zwischen Ladungsträgern ihre Dynamik verändert. Um den Einfluss verschieden starker Anziehungskräfte zwischen Ladungsträgern zu untersuchen, haben die Forscher neben einer Volumenprobe des Halbleitermaterials Wolframdiselenid eine einzelne Atomschicht desselben Materials untersucht. In einem solchen minimal dicken exotischen Festkörper erhöht sich die Anziehung zwischen den Ladungsträgern um ein Vielfaches und die Bewegung der Elektronen verändert sich.
Außerdem konnten noch weitere maßgeblich bestimmende Größen für die Dynamik der Ladungsträger untersucht werden: Wird das beschleunigende Lichtfeld verstärkt, vollenden Elektronen ihren Kollisionskurs schneller. Das gleiche Resultat wird auch beobachtet, wenn viele Elektronen zeitgleich ihre Bewegung starten. Dann schirmen sie sich gegenseitig ab und die Ladungsträger sehen nur noch schwache Anziehungskräfte.
Aus der Zeit, die Elektronen benötigen, um ihre Teststrecke zu absolvieren, lässt sich also nicht nur erschließen, dass Interaktion stattgefunden hat, sondern auch wie. „Auf der Attosekundenzeitskala lassen sich Wechselwirkungseffekte nicht mehr mit den Gesetzen der klassischen Physik erklären sie sind vielmehr rein quantenmechanischer Natur. Direkt in der Zeitdomäne zu verfolgen, wie sie die Bewegung der Elektronen beeinflussen, ist immens hilfreich, um modernste Vielteilchen-Quantentheorien zu testen“, erläutert Mackillo Kira von der Uni Michigan, dessen Gruppe die mikroskopische Dynamik mit quantenmechanischen Rechnungen simulieren konnte.
„Lange war die vorherrschende Meinung, dass die viel langsamere Femtosekunden-Zeitskala ausreicht, um festkörperrelevante Elektronendynamik zu beschreiben; diese Hypothese konnten wir klar widerlegen“, bilanziert Rupert Huber, der die Experimente in Regensburg leitete. „Unsere Attosekunden-Stoppuhr könnte gute Dienste dabei leisten, Vielteilchenkorrelationen in modernen Quantenmaterialien besser zu verstehen und neue Trends für künftige Quanteninformationsverarbeitung zu setzen.“
U. Regensburg / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
J. Freudenstein et al.: Attosecond clocking of correlations between Bloch electrons, Nature 610, 290 (2022); DOI: 10.1038/s41586-022-05190-2 - Huber Group, Experimentelle und angewandte Physik, Universität Regensburg
- Quantum Science Theory Lab, Department of Electrical Engineering and Computer Science, University of Michigan, Ann Arbor, USA