Lichtquanten
Klaus Hentschel: Lichtquanten – Die Geschichte des komplexen Konzepts und mentalen Modells von Photonen, Springer, Berlin 2023, 2. Aufl., brosch., XXVII + 388 S., 37,99 Euro, ISBN 9783662669327
Klaus Hentschel
In einem Meinungsbeitrag warnte der Wissenschaftshistoriker und Autor des vorliegenden Buches Klaus Hentschel davor, dass sich die Geschichte der Naturwissenschaften, darunter auch die Physikgeschichte, nicht von den Objektdisziplinen entkoppeln dürfe. Es drohe „ein wechselseitiges Desinteresse“, das letztlich niemandem dienen könne. Um eine Brücke zwischen der Physikgeschichte, den Fachdisziplinen und ihrer Lehre zu schlagen, müssen sich inhaltlich anspruchsvolle historische Bücher auch auf ein breiteres Publikum einstellen.
Diese Mission erfüllt „Lichtquanten“ vorbildlich, wie zahlreiche Rezensenten der ersten Auflage von 2018 bereits feststellten. Hentschel widmet sich darin dem Wandel der für die Physik im 20. Jahrhundert zentralen, jedoch auch häufig missverstandenen Vorstellungen von der Natur des Lichts. Dabei nimmt er bewusst einen allgemeinverständlichen Standpunkt ohne mathematischen Formalismus ein, um eine möglichst breite Leserschaft aus verschiedenen Disziplinen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen anzusprechen. Gleichzeitig setzt er jedoch voraus, dass sich Leserinnen und Leser mit naturwissenschaftlichem Hintergrund auf Methoden und Konzepte aus den Geisteswissenschaften einlassen. Zentral ist dabei die fortschreitende Anreicherung unterschiedlicher Repräsentationen von Lichtquanten im menschlichen Bewusstsein, den mentalen Modellen. Mit diesem analytischen Zugang und der Bearbeitung eines gewaltigen Quellenumfangs mit über eintausend Literaturangaben gelingt Hentschel die bisher differenzierteste Synthese der Geschichte der Quantenoptik.
In der zweiten Auflage seines Buchs hat der Autor eine Reihe von Korrekturen sowie umfangreiche inhaltliche Ergänzungen vorgenommen. Vom Physiknobelpreisträger Willis Lamb heißt es, dass er oft unzufrieden mit den Lehrbüchern zur Quantenelektrodynamik war, die einen schwammigen Begriff von Photonen pflegten. Demnach dürfe nur noch von Photonen reden, wer von Lamb (mehr oder weniger scherzhaft) eine Lizenz dazu erhalten habe.1) Wer „Lichtquanten“ in Gänze gelesen hat, wird vielleicht einen Eindruck davon bekommen, welcher Weg Lamb im Sinne der Präzision von Begriffen und Konzepten vorschwebte.
Kein Buch von solch umfangreicher Zielsetzung kann ganz ohne Lücken bleiben. So wäre etwa für die Untersuchung der fundamentalen Licht-Materie-Wechselwirkung eine Diskussion der „Drosophila“ der Quantenoptik2) − des Janes-Cummings-Paul-Modells – sowie der Mikromaser-Experimente Anfang der 1980er-Jahre im Abschnitt über Cavity-QED (Kap. 8.8) passend. In der Rekonstruktion der Geschichte der Tests semiklassischer Theorien der 1960er-Jahre wären etwa die experimentellen Arbeiten von Hyatt Gibbs aus dem Jahr 1972 zu erwähnen, deren Interpretation ein vollständig quantisiertes Strahlungsfeld voraussetzt.
Keiner dieser Aspekte schmälert jedoch das große Verdienst des Autors, ein äußerst gründliches und verständliches Werk zu einem gleichermaßen komplexen wie wichtigem Gegenstand der Physik geschrieben zu haben. Das Buch ist damit sowohl Einsteigerinnen und Einsteigern als auch Fachleuten zum Studium nachdrücklich zu empfehlen.
Dr. Johannes-Geert Hagmann, Deutsches Museum
1) L. Cohen, M. Scully und R. J. Scully, Willis Lamb, Jr., National Academy of Sciences (2009) PDF
2) Der Vergleich findet sich u. a. in: W. P. Schleich, Quantum Optics in Phase Space, Wiley, Berlin (2001)