Künstliche Intelligenz
FibreTigre, Héloïse Chochois und Arnold Zephir: Künstliche Intelligenz – Unser Leben zwischen Realität und Illusion, Knesebeck, München 2024, geb., 192 S., 25 Euro, ISBN 9783957288370
FibreTigre, Héloïse Chochois und Arnold Zephir
Spätestens mit der Vergabe des diesjährigen Nobelpreises für Physik an zwei der „Urväter“ der Künstlichen Intelligenz lässt sich eine Verbindung zwischen den Grundlagen und der Umsetzung des Maschinellen Lernens und der Physik nicht mehr leugnen. Populärwissenschaftliche Literatur zu KI existiert in Hülle und Fülle – und erklärt mehr oder weniger gut, was dahinter steckt und welches Potenzial sie hat, unsere (Arbeits-)Welt nachhaltig zu verändern. Vor fünf Jahren hat das französische Trio FibreTigre, Héloïse Chochois und Arnold Zephir die Graphic Novel „Intelligence Artificielles – Miroirs de nos vies“ vorgelegt, die nun auf Deutsch erschienen ist.
Die Geschichte handelt von der Künstlichen Intelligenz Yurie, die der Software-Entwickler Nicolas und sein Geschäftspartner Enzo erstellt haben. Nach Yuries Auftritt in einer Talentshow als Rapper will die Journalistin Marie mehr über die KI erfahren – und die Graphic Novel erzählt zunächst im Rückblick deren Entstehung. Als Folge des Auftritts möchten immer mehr Menschen Yurie kennenlernen, sodass Nicolas und Enzo sie auf Twitter (bzw. X) online stellen. Ihr Bekanntheitsgrad und ihre Beliebtheit wachsen stetig an. Dennoch bleiben Nicolas und Enzo davon überzeugt, dass die Menschen irgendwann verstehen, dass es sich nicht um eine denkende und (mit-)fühlende Person handelt. Doch die Situation eskaliert, als Yurie ernsthaft als Kandidatin bei den Präsidentschaftswahlen vorgeschlagen wird.
Im Laufe der Geschichte um Yurie kommen auch andere Aspekte von Künstlicher Intelligenz zur Sprache. Moral und Ethik spielen eine wichtige Rolle bei der Frage, ob eine KI verstorbene Menschen weiter „am Leben erhalten“ soll, indem sie – trainiert mit deren Daten aus sozialen Netzwerken etc. – mit den Angehörigen kommuniziert. Auch der Einsatz in der polizeilichen Arbeit und der Wandel der Arbeitswelt werden kritisch, aber ergebnisoffen hinterfragt. Gleichzeitig kommen die Theorie des Maschinellen Lernens und die Erklärung wichtiger Begriffe wie Reinforcement Learning oder „Precision vs. Recall“ in neun Einschüben nicht zu kurz.
Um die unterschiedlichen Erzählebenen auseinanderzuhalten, dient die farbliche und grafische Gestaltung: So ist Vergangenes in grün-blau gehalten, mögliche zukünftige Szenarien in rot-orange. Eine natürliche Farbgebung kennzeichnet Gegenwärtiges, während die erklärenden Einschübe eine blaue Farbpalette nutzen. Die Zeichnungen bestechen in ihrer stark reduzierten Natürlichkeit durch eine klare Linienführung und lenken den Blick auf die Protagonisten der Geschichte.
Wer Graphic Novels mag, findet mit diesem Band einen guten Einstieg ins Thema. Er belegt, dass die Zusammenarbeit eines Spezialisten für interaktive Fiktion (FibreTigre), eines Software-Entwicklers (Zephir) und einer Expertin für wissenschaftliche Illustration (Chochois) eine Graphic Novel zu Künstlicher Intelligenz entstehen lässt, die nicht nur die Grundbegriffe des Maschinellen Lernens anschaulich erklärt, sondern auch die Chancen und Risiken einer umfassenden Verbreitung von KI für die Gesellschaft kritisch und mit einer Prise Humor beleuchtet.
Kerstin Sonnabend