09.01.2024

100 Jahre „Berge Meere und Giganten“

Alfred Döblin: Berge Meere und Giganten, Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2013, brosch., 656 Seiten (mit Nachwort), 14,99 Euro, ISBN 9783596904648; S. Fischer, Frankfurt 2008, geb., 640 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 9783100155511

Alfred Döblin

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Im Januar 1924 erschien der Roman „Berge Meere und Giganten“ des deutschen Psychiaters und Schriftstellers Alfred Döblin (1878 – 1957), der fünf Jahre später mit seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ seinen wohl größten Erfolg feiern sollte. Eher unbekannt ist, dass er mit seinem Roman von 1924 eine höchst ungewöhnliche Zukunftsvision geschrieben hat. Diese hat viele Anklänge an die Science-Fiction, ist aber von sehr eigenständiger Qualität.

Während die Geschichte von Franz Biberkopf im damaligen Berlin spielt, zeichnet „Berge Meere und Giganten“ (ohne Komma im Titel) die Geschichte der Menschheit, ihres Kampfes untereinander und mit der Natur bis ins 27. Jahrhundert. Dieses Zukunftspanorama entfaltet erzählerische Wucht, verlangte und verlangt aber Leser:innen einiges ab.

Der Stadtmensch Döblin thematisiert in unkonventioneller Sprache und Erzählweise, die oft ohne erkennbare Charaktere auskommt, große Umbrüche der zukünftigen Menschheitsgeschichte. Dabei greift er vieles auf, was an heute denken lässt: Megawaffen, Fabriken für künstliche Nahrung und Klimawandel in Form des Abschmelzens von Grönland. Damit entfachen die „Physiker und Techniker“ schließlich die Entwicklung gewaltiger Monsterwesen, denen sich die Menschheit mit künstlich erzeugten „Giganten“ zu erwehren sucht.

Eine besondere Leseerschwernis ist sicherlich, dass keine bekannte Erzählperspektive zu identifizieren ist. Es fehlt ein auktorialer Erzähler und auch Schauplätze und Dimensionen wechseln: Mal wird etwa das das Dreiecksverhältnis zwischen dem Konsul Marduk, seinem Mitstreiter und dann Feind Jonathan und „der Balladeuse“ geschildert, das andere Mal geht es um eine gigantische Maschinerie, die Umwälzungen von geologischen Ausmaßen in gang setzt.

Immer wieder wird man dabei mit Bildern konfrontiert, die zeitgenössische Science-Fiction blass aussehen lässt. Dabei spart Döblin nicht mit drastischen Episoden, etwa wenn Marduk eine Gruppe seiner Gegner von einer Art mutierten Wald verschlingen lässt. Das ist nichts für zart­besaitete Leser:innen und selbst für Fans von Döblins kompromissloser epischen Prosa eine Herausforderung.

Nicht einfach zu entscheiden ist, was im Roman eher an die eigenwillige Natur­philosophie rührt, die Döblin im Anschluss an den Roman entwickelt hat, und was sich auf unsere Gegenwart beziehen lässt. Döblins Leitfrage „Was wird aus dem Menschen, wenn er so weiterlebt?“ stellt sich uns auf jeden Fall mehr denn je und macht den Roman zu einer faszinierenden Lektüre.

Die aktuelle Ausgabe im Fischer-Verlag enthält den revidierten Roman-Text der vergriffenen kommentierten kritischen Ausgabe von 2006 und ist den älteren Buchausgaben vorzuziehen. Seit 2021 existiert sogar eine englische Übersetzung.

Alexander Pawlak

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